Ein Pionier ist Sting nicht. Nie gewesen. Aber er beobachtet mit wachem Blick, besser: hört mit offenen Ohren, was um ihn herum vorgeht, sucht sich aus, was zu ihm paßt, formt es behutsam zu etwas Neuem oder spielt mit den Versatzstücken,bis man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht. Zum Beispiel „Fill Her Up“ vom neuen Album Brand New Day: Beginnt wie der „O.C.S.“, der „Obligatorische Country-Song“ incl. Steelguitar und allem, prallt wie aus heiterem Himmel auf sakralen Chorgesang und gefällt sich am Ende in jazziger Improvisation. Oder das Titelstück: Stevie Wonder bläst im Intro die Harmonika, was keine andere Funktion hat als die, daß Stevie Wonder im Intro die Harmonika bläst, ansonsten geht’s sanft soulig zu, wird ohne ersichtlichen Grund „wait a minute, wait a minute“-„Please Mr. Postman“ zitiert, und am Ende entschwebt der Song – in höhere Sphären vermutlich. Sting hat Triphop („AThousand Years“) gehört, arabische Musik („Desert Rose“), Samba („Big Lie, Small World“), läßt rappen („Perfect Love… Gone Wrong“), erinnert sich an Police („After The Rain“), trauert zu Branford Marsalis‘ Klarinetten-Kabinettstückchen um Kenny Kirkland: „Tomorrow We’ll See“ ist ein Ohrwurm, elegisch und elegant. Wie das ganze Album: Erratisch. Eklektizistisch. Perfekter Pop nach Gutsherrenart. Lieben darf man das natürlich nicht. Aber man kann es toll finden.