Talking Heads – Remain In Light

Die erste Reaktion auf REMAIN IN LIGHT dürfte bei allen Talking Heads-Fans Verwirrung, aber auch Faszination sein. Die Talking Heads haben mit ihrem vierten Album einen musikalischen Dschungel geschaffen, in dem es nur wenig bekannte Orientierungspunkte gibt, in dem es sich aber hervorragend herumirren läßt. Das ist so, als ob man bei guten Freunden zu einer Party eingeladen ist und dann ein Labyrinth vorfindet, in dem man seine Gastgeber höchstens mal hin und wieder am Ende eines Korridors erblickt, bevor sie wieder verschwinden. Was da geschieht, läßt sich nicht so einfach erklären – es ist höchst myteriös. Die Talking Heads haben zusammen mit Brian Eno, der Mitautor aller Stücke ist, den geometrisch geordneten New York-Sound nach Afrika verpflanzt oder einfach Afrika in New York wuchern lassen. Und dabei gingen sie so vor, wie es Musikwissenschaftler tun würden, die den Ursprung der Rockmusik bis an den Anfang zurückverfolgen. Allerdings nicht chronologisch, sondern im Spiegelbild positiv/negativ. Ethnische Musik, magische Rituale, Tamla Motown-Soul, Funk und seine degenerierte Form Disco sind so verschachtelt zu einem Traum, der aufgeregt fröhlich beginnt und immer stiller und bedrohlicher wird.

Songstrukturen laufen durch den Chorgesang gegeneinander, während David Byrne auf „Born Under Punches/The Heat Goes On“ und „The Great Curve“ so beschwörend singt, als habe er allein die Zauberformel für des Rätsels Lösung in der Hand. Auf der zweiten Seite dann klingt er, als würde er allmählich in Trance fallen.

Brian Enos Einfluß ist auf diesem Album so stark, wie er es nur auf David Bowies „Low‘ war. Sein Interesse für schwarze, speziell afrikanische Musik, dürfte wesentlich den Stilwechsel der Talking Heads mitbestimmt haben. Vor allem die Seite 2, auf der uns der stabile Funk–Boden der ersten Seite zugunsten einer schwebenden Fata Morgana unter den Füßen fortgezogen wird, trägt ganz deutlich seine Handschrift. Und trotzdem, was man da allmählich im Dickicht ausmacht, sind und bleiben die Talking Heads. REMAIN IN LIGHT macht schwindelig, man kann dabei seinen Kopf, sein Herz und möglicherweise auch seinen Verstand verlieren. Selten habe ich Musik von solcher Suggestion und Intensität gehört.