Tangerine Dream – Tangerine Dream ’70-’80

Cassetten mit drei, wer, fünf und noch mehr Platten sind bei der Schallplattenindustrie in Mode gekommen, vor allem vor Weihnachten. Nicht immer halten die Klangpakete, was sie versprechen: erst vor drei Monaten erschien eine Alan-Parsons-Cassette, in der nicht einmal ein billiges Beiblatt, geschweige denn ein bebildertes Booklet mit biografischen Angaben zu finden war. Der Versuch, die nunmehr zehnjährige Karriere von Tangerine Dream zu dokumentieren, fiel glücklicherweise konsumentenfreundlicher aus: zu acht Plattenseiten gehört hier eine 28seitige, zum Teil vierfabige Broschüre mit vielen guten Informationen in Wort und Bild. Außerdem wurde das Album von einer Spezialfirma gefertigt, die Pressung ist außerordentlich gut.

Auf Anhieb fällt bei diesem LP-Objekt auf, daß Edgar Froese und Christoph Franke ihren langjährigen Partner Peter Baumann gleichberechtigt behandeln, obwohl er im Jahre 1977 wegen schwerwiegender Differenzen die Gruppe verlassen hatte. Angesichts der ins Kraut schießenden Egotrips in der Rockmusik ist dies ein ebenso ungewöhnliches wie erfreuliches Zeichen für geistige Disziplin. Schließlich hat Peter Baumann, der Romantiker, die Musik der Berliner Elektronik-Band in der Tat zu einem Drittel mitgeprägt. Sogar das jüngste und bislang beste Album von Froese und Franke, TANGRAM, knüpft eher an die Zeit mit Baumann an, als die ersten Gehversuche ohne ihn.

Tangerine Dream ’70 – ’80 wurde mit Sorgfalt und Geschick ediert. Auszüge aus zwölf LPs tauchen auf. einschließlich des Soundtracks für den Friedkin-Film „Sorcerer“, der auf MCA erschien. Aus rechtlichen Gründen fehlen Klänge des Debütalbums „Electronic Meditalion“, das 1970 herauskam und noch in der Besetz jng Froese, Klaus Schulze und Conrad Schnitzler eingespielt wurde. Als Trostpflaster gibt’s jedoch drei bislang unveröffentlichte Titel, offensichtlich jeweils Soloprojekte von Froese, Franke und Baumann. Der im Plattenladen für rund 50 Mark aushegende Querschnitt durch die Karriere der nach Kraftwerk weltweit populärsten deutschen Elektronik-Band vermittelt vor allem eines: einen beeindruckenden Beweis für die seit zehn Jahren ununterbrochen fließende kreative Kraft dieser Gruppe, für ihre gewaltige Sensibilität im Umgang mit einer noch immer nicht ausgeloteten neuen Generation von Musikinstrumenten, für ihre Unbestechlichkeit im Konflikt zwischen musikalischem Selbstverständnis und.den vermeintlichen Forderungen eines von Hitparaden beherrschten Marktes. Nicht jeder Titel dieser acht Plattenseiten ist ein Geniestreich, aber keiner ist schlecht oder uninsptriert, und die Glanzlichter überwiegen. Für mich persönlich bilden die Auszüge aus PHAEDRA (1973), RICOCHET (1975) und TANGRAM (1980) die Höhepunkte. Hier erreicht die Musik Schwingungsebenen, die mehr vermitteln können als nur zeitgemäße Unterhaltung.