The Jam – Direction Reaction Creation :: Jam Session

Getreu dem Motto „Hier sind drei Akkorde, formiere eine Band“ schickte sich Paul Weller in der Post-Glam-Periode an, den 2ominütigen Instrumentalsoli der Hippies den Garaus zu machen. Damit lag der etwas altklug wirkende Teenager nur knapp neben dem Geist jener Zeit. Seine frühen weltanschaulichen Songthemen („Carnaby Street“, „London Traffic“, „London Girl“) kreisten nämlich ausschließlich um das Lebensgefühl in der Pop-Metropole des Jahres 1965. Eigenartigerweise störte sich die noch junge, aufbegehrende Punkszene 1976 weder an den akkuraten Haarschnitten noch am Mod-orientierten Pop-Art-Outfit oder dem aus R & B, Motown Soul, Beat und Pop zusammengeklaubten Stil von The Jam. Klettenartig klebte der manische Who-, Small Faces- und Kinks-Fan Weller bei den ersten beiden Alben am rudimentären Rhythm’n’Blues-Beat seiner Idole, den er originalgetreu mit obligatorischer Rickenbacker-Gitarre durch Vox-Verstärker jagte. Erst mit dem Album ALL MOD CONS löste sich der sozial immer schärfer dichtende, nun knapp 20jährige Musiker von dieser einsilbigen Formel. Vielschichtige Arrangements-vom Weillschen Streichercouplet („Smithers-Jones“) über die akustische Folk-Ballade („Englisch Rose“) und bläsergetriebene Soul-Adaptionen („War“,“Move On Up“) bis hin zu eigenartig swingendem Cool Jazz („Shopping“) – werteten das Jam-Universum gigantisch auf. Gleichzeitig legten sie den Grundstein für heutige Brit-Popper wie Blur, Oasis, Pulp, Cast oder Gene. Wellers tanzbare Elaborate („A Bomb In Wardour Street“, „Down In The Tube Station At Midnight“) waren zwar oft bitter sarkastisch, jedoch selten resignativ. Seine zunehmend ambitionierte Herangehensweise an Longplayer wie SETTING SONS und SOUND EFFECTS drückte sich nicht nur in Verkaufszahlen positiv aus. Sie bewirkte zudem das Auseinanderdriften von Wellers völlig desinteressierten Mitmusikern. So erreichte das Jam-Oberhaupt erst mit dem letzten Werk vor der Trennung von seinen Weggefährten einen durchgehend hohen Standard und erstmals die Nummer 1 der britischen Album-Charts. THE GIFT enthielt Songs wie die Anti-Thatcher-Hymne „A Town Called Malice“, die bissige TV-News-Persiflage „Just Who Is The 5 O’Clock Hero?“, harsche Kritik am Durchschnittsbürger („The Planners Dream Goes Wrong“) und eine düstere Vorschau auf die Entwicklung Großbritanniens in den 8oern („The Great Depression“).

Und nun also die umfassende, aus fünf CDs bestehende Retrospektive auf The Jam, Songs in Hülle und Fülle. DIRECTION REACTION CREATION versammelt 117 digital remasterte Tracks (davon 22 zuvor unveröffentlicht) sowie sechs Single-B-Seiten. Das 88seitige, vierfarbige Booklet kommt in seiner Detailfreude-Biographie, Discographie, Gig-Liste, Memorabilia, seltene Fotos, Plattencover, Band-Tagebuch etc.- der bis dato eindrucksvollsten Beilage zu einer Box (MAXIMUM R&B von The Who) erfreulich nahe. Erfreulich auch die streng chronologische Abfolge der Songs. Wobei ausgerechnet in dem fein säuberlich zusammengestellten Gesamtwerk von Paul Weller und Co. der einzige Haken der Retrospektive liegt. Denn sämtliche Alben von The Jam sind bereits im CD-Format erhältlich. So wurden SNAP, IN THE CITY,THIS IS THE MO-DERN WORLD, ALL MOD CONS, SETTING SONS, SOUND EFFECTS und THE GIFT als digitale Remasterings gerade erst von Polydor wiederveröffentlicht – übrigens einer der Gründe, weswegen sich Paul Weller von der hier besprochenen Box distanziert. Verständlich, denn vor dem Hintergrund der ohnehin erhältlichen Re-Releases hätte es vielleicht ja schon gereicht, Archiv-Raritäten, Alternativ-Takes, Single-B-Seiten und Jam-Versionen berühmter Sixties-Songs (darunter „Rain“, „Dead End Street“ und „Stand By Me“) als Sampler auf den Markt zu bringen. Sei’s drum. Der wahre Weller-Fan wird sich auch über die opulente Box von The Jam freuen – und dabei wehmütig an die Einzigartigkeit ihrer urkräftigen Konzerte zurückdenken.