The Strokes :: Angles

Die Väter des gestrigen „The“-Sounds tragen ebendiesen zu Grabe und adoptieren dafür zeitgemäßen, discolastigen Rock.

Um eine eigenartige, weil die Lüge als Norm voraussetzende Redewendung zu bemühen: „Seien wir doch mal ehrlich!“ Von der Rückkehr der Strokes war wenig zu erwarten. Eine gute Single vielleicht. Die Soloprojekte der einzelnen Mitglieder aus den vergangenen Jahren waren bis auf kleine Ausnahmen wie Yours To Keep, dem warmherzigen Debütalbum von Albert Hammond Jr., und „11th Dimension“, der viel versprechenden Leadsingle aus Julian Casablancas‘ dann enttäuschender Soloplatte, mittelmäßig (Fabrizio Morettis Band Little Joy, deren Debüt nur in einem Monat mit sehr schwacher Konkurrenz Platte des Monats im ME werden konnte) bis sterbenslangweilig (Nikolai Fraitures Alleingang als nasal nölender Nickel Eye). Dazu ist das Garagenrockrevival, das die Bilderbuchband vor zehn Jahren lostrat, heute toter als tot. Erstaunlicherweise scheint das niemandem klarer zu sein als den Strokes. Denn das, was sie heute als Endprodukt zweier anstrengender Jahre präsentieren, hat entgegen der Vorabbehauptung von Fraiture, das vierte Album der New Yorker würde eine Rückbesinnung auf ihren Ursprung werden, nicht allzu viel mit Is This It zu tun. Der größte Unterschied zum Jahrzehntmonolith liegt in der sofortigen Unterscheidbarkeit der Stücke. Is This It war und ist großartig, aber niemand wird bestreiten können, dass seine Songs viele gemeinsame Nenner hatten: Tempo, Strukur, Dynamik, Genre. Elf zeitlose Midtempo-Rocker, keine Ballade, kein Experiment. Nichts, was in die Nähe des ächzenden Spukschleichers „Call Me Back“ oder des mit Discoversatzstücken arbeitenden „Machu Picchu“ auf Angles käme. Was auf First Impressions Of Earth versucht wurde, aber in Verkrampfungen endete, gelingt der Band nun: stilistische Vielfalt um der Songs, nicht um der Demonstration eines Reifeprozesses willen. Die Strokes sind immer noch eine Rockband, was „Under Cover Of Darkness“, ihre beste Single seit „12:51“, und der betrunken wirkende Schunkler „Gratisfaction“ beweisen. Aber die Strokes sind keine dem Gestern nacheifernde Rockband mehr. Obwohl sie in popkultureller Hinsicht 2001 den Zeitgeist prägten wie niemand sonst, sind sie in künstlerischer Hinsicht erst eine Dekade später im damals besungenen Modern Age angekommen. Heute stehen sie fest im Hier und Jetzt. Sie durchziehen „Life Is Simple In The Moonlight“ selbstbewusst mit Synthieflächen, hinterlegen „Two Kinds Of Happiness“ mit gesampeltem Harmoniegesang, grooven mit dem auf den Punkt produzierten „Taken For A Fool“ wie nie zuvor. Angles kommt mit zehn Songs aus, mehr braucht der unter Informationsoverkill leidende moderne Mensch auch nicht. Aber bei aller lobenswerter Rücksichtnahme: Fünf Jahre Verschnaufpause waren etwas übervorsichtig. Alle zwei bis drei Jahre verträgt der Mensch schon eine Strokes-Platte. Und dazwischen würde er die Band auch endlich gern mal auf einer vernünftigen Deutschlandtour live beklatschen. You only live once, oder?

Artverwandtes: Steve Miller Band „Abracadabra“ (1982), Pulp „Common People“ (1995)