Tindersticks – Second Album
Man stelle sich vor: Ingmar Bergman dreht einen Schwarz-Weiß-Western in der sibirischen Tundra. Der zweite Longplayer der sechs aus Nottingham wäre der perfekte Soundtrack dazu. Im Vergleich zu dem Sensationsdebüt FIRST ALBUM (1993) sind die Tindersticks nämlich düsterer, schwermütiger geworden, die schmissigen Stücke fehlen weitgehend. (Ausnahme ‚Snowy In F # Minor‘). Geblieben ist das traurige Timbre in der lakonischen Stimme von Stuart Staples und die minimalistischen Kompositionen. Gewohnt atonal: der Einsatz von Dickon Hinchcliffe, dessen Violine entweder als klagende Windsbraut soliert (‚My Sister‘), in gepflegten Streichergruppen aufgeht (‚A Night In‘) oder an den charakteristischen Geigen-Wall-Of-Sounds beteiligt ist (‚El Diablo En El Ojo‘). Das weitere Instrumenten-Aufkommen im Tindersticks-Kosmos ist beachtlich: Klavier, Posaunen, Trompeten, Zither, Vibraphon und eine 50er )ahre Orgel geben sich ein Stelldichein und einmal taucht sogar ein Susaphon auf (‚Vertrauen 3‘). Die Songs sind größtenteils melancholische Balladen, die es aber in sich haben. ‚She’s Gone‘ beispielsweise, kommt daher, als würde sich eine bekiffte mexikanische Folklore-Truppe an einem Walzer versuchen. Eines der Highlights: ‚Vertrauen 2‘. Hier darf man eine ansonsten recht seltene Akustikgitarre begrüßen, flankiert von einem Inferno aus schrägem Klimperklavier, bedrohlich an- und abschwellenden Jazz-Bläsern, stoischen Congas und einer Italowestern-Gitarre, die Enrio Morricone vermutlich in die Nervenheilanstalt bringen würde. Bei ‚Traveling Light‘ leisten sich die Tindersticks mit dem Einsatz einer Sängerin den einzigen Ausrutscher: Der Song läßt den Schluß zu, daß die musikalischen Themen der Tindersticks im Grunde banal sind und nur durch die vielseitigen Arrangements und den unverwechselbaren Gesang von Stuart Staples ihre Delikatesse beziehen. Staples Präsenz aber läßt auch das vergessen. Selbst in den depressivsten Momenten (‚Cherry Blossoms‘) bringt er immer einen Funken Hoffnung ein. Beispielsweise kennt der Mann genau das Gefühl, im Bett zu liegen und von der Welt nichts mehr wissen zu wollen. Die Umsetzung: eine Schnulze (‚Tiny Tears‘). Daß Mr. Staples beim Singen häufiger mal nuschelt macht auch nichts. Bei den Tindersticks muß man halt genau hinhören, um etwas zu verstehen. Und das kann ein jahrelanges Vergnügen werden.
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