Tortoise – TNT

Blicken wir zurück: 1993 gründen Bassist Doug McCombs und Schlagzeuger Johnny Herndon in Chicago Tortoise. Eine Band, die bewußt als Kontrapunkt zur damals ultraschicken, sich selbst bemitleidenden Citarrenrockfraktion antritt mit luftig-leichter jazzig-swingender und stark perkussiver Instrumentalmusik. In der Folgezeit sind Kritikerlob und unzureichende Hilfsbezeichnungen wie „Chicago-Szene“ und „Post Rock“ für die Musik von Tortoise garantiert. Und heute, zwei Alben – TORTOISE (1994), MIUIONS NOW LIVING WILL NEVER DIE (1996) -, ein Remix-Album – RHYTHM, RESOLUTIONS & CLUSTERS (1995) – und fünf Jahre später? Tortoise sind nicht stehengeblieben. Die Multiinstrumentalisten Dan Bitney, Johnny Herndon, Doug McCombs, John McEntire, der mittlerweile ausgestiegene Dave Pajo und Jeff Parker haben die Erkenntnisse, die sie in ihren zahllosen Nebenprojekten (The Sea And Cake, Isotope 217, Directions In Music etc.) gewonnen haben, einfließen lassen in die Musik des dritten regulären Tortoise-Albums. Und dieses ist schlichtweg genial geworden. TNT ist nicht der dritte Aufguß von Post-Rock, wie wir ihn kennen, TNT ist nicht der verzweifelte Versuch einer Band auf dem einmal eingeschlagenen Weg zu bleiben, sondern TNT ist das reife Album einer Band, für die „Entwicklung“ und „Innovation keine Fremdwörter sind, und TNT ist – so unhip dieses Statement in Zeiten, in denen Bands, die schon nach ihrem ersten Demo-Band als angepaßt angesehen werden, – das bislang beste Tortoise-Album.“Es ist unsere Pflicht, die Erwartungen, die an uns gestellt werden, in Frage zu stellen und die Traditionen zu zerstören“, erklären Tortoise, und sie erfüllen diese „Pflicht“ auf ganzer Linie. TNT ist ein unheimlich dichtes, schlüssiges, zusammenhängendes Werk geworden, in dessen Schatten die Vorgänger als – natürlich hochklassige – Fingerübungen verblassen. Beispiele? In „Swung From The Gutter“ mündet leichter Latin-Rhythmus in atonale Elektronik-Spielereien. Der meditative Minimalismus von „Ten-Day Interval“ könnte auch von David Cunningham stammen. „I Set My Face To The Hillside“ beginnt mit Flamenco-Citarre (I) und gerät mittels Mundharmonika, twangy E-Citarre und Streichern aus dem Computer zu einer Art imaginären Ennio Morricone-Soundtrack. „The Suspension Bridge At Iguazú Falls“ klingt südländisch-lässig. In „Almost Always Is Never Enough“ verschmelzen antiquierte Moog-Synthies mit postmodernen Beats. Und schließlich gibt’s da noch das ambiente „Everglade“, das an die Anfänge von Tortoise erinnert. Natürlich stehen diese eklektischen Farbtupfer fest auf dem Boden des Tortoise-Post-Kraut-was-auch-immer-Rock. Nur, noch nie hat die Band aus Chicago ein derart homogenes Werk zustande gebracht. TNT Ist eine Platte wie aus einem Guß. Und das hat man selten.