Ultravox – Systems Of Romance

Spät, aber nicht zu spät kriegten auch die Engländer noch die Kurve. Zwei Alben lang hatten sie eine der kreativsten und weitsichtigsten Bands, die ihr Heimatland je hervorgebracht hat, ignoriert oder mit ein paar dummen Sprüchen abgetan. Jetzt, nach Veröffentlichung von „Systems Of Romance“, der dritten LP der fünfköpfigen New Wave-Formation, häufen sich plötzlich Interviews und Artikel, gibt es bemerkenswertes Lob in Plattenkritiken. Mag sein, daß die in London derzeit grassierende Zuneigung zu deutschem Elektronik-Rock da nachgeholfen hat – die neue Ultravox-LP entstand nämlich in der Nähe von Köln in Conny Plank’s Studio (Devo arbeitete ebenfalls hier) und weist deutliche Einflüsse von Elektronikern wie Kraftwerk, Neu oder Tangerine Dream auf.

Das Wort „Romance“ im Plattentitel verwirrt zunächst. Denn im Deutschen gibt es dafür die Wörter Romantik, Märchen, Romanze. Begriffe, die anheimelnd nach guter alter Zeit klingen. Ultravox aber – das haben schon die ersten beiden Alben gezeigt – blickt genau in die entgegengesetzte Richtung: Orwell’s „1984“, Huxley’s „Brave New World“ (zwei wichtige Science Fiction-Romane) sind hier die Richtpunkte; der Mensch als kontrollierter Mutant in einer total technisierten und durchorganisierten Welt. Der Soundtrack, den Ultravox für die Reise in diese Welt liefert, ist aber in der Tat durchsetzt mit einer Art neuer Romantik: In der Kälte und Verlorenheit der elektronischen Klänge, die „Systems Of Romance“ stärker durchziehen als die beiden ersten Ultravox-LP’s, liegt irgendetwas, was den Zuhörer innerlich rührt; genau die gleiche Wirkung haben auch viele Titel von Tangerine Dream und einige von Kraftwerk, trotz ihrer absoluten Künstlichkeit.

In den Texten dieses Albums – sie sind übrigens auf einem Beiblatt abgedruckt dominieren zwei Gedanken: Flucht und Entfremdung. In fast jedem Song tauchen Ausdrücke auf wie „I can’t stay long“, „Running Down an empty street“, „Slow Motion“, „We passed a turning point“. Die Bewegung scheint ziellos zu sein; die, die sich da bewegen, verlieren immer mehr den Bezug zur Umwelt und zur Realität. Als Beispiel mag der Song „Dislocation“ stehen: „Running down an empty street/ Perhaps it was a railway Station/ A smell of Eau de Cologne/ The sound of .celebration/ Oh oh oh/Dislocation.“ Niemand weiß, wohin die Reise geht. Aber an ihrem Beginn stehen bereits Angst und Verwirrung. Es gibt derzeit wohl keine Rockgruppe, die diese Gefühlswelt so sensibel und farbenreich wiedergibt wie Ultravox. Devo argumentieren musikalisch klarer und direkter. Ultravox vollziehen den Schritt vom Traum zum Alptraum feinfühliger.