Velvet Goldmine
Wham bam, thank you, Clam: Gerade einmal zwei Jahre tobte der Paradiesvogel Clamrock durch englische Großstädte, und doch hat er nichts von seiner mysteriösen Aura verloren. Artifizialität statt Echtheit, Dekadenz statt Aufrichtigkeit, Androgynie statt Love and Peace: Aggressiv hinterfragte Glam überholte Konzepte von Sexualität und Identität und konterte mit rauschartigen Gegenentwürfen, in denen der Schein lässig über das Sein triumphierte. Todd Haynes‘ VELVET GOLDMINE, von Michael Stipe mitproduziert, ist eine exaltierte Annäherung an diese Ära, so komplex und schillernd wie die Bowies, Bolans und Ferrys es Anfang der 70er waren. Ein opernhafter, manierierter Bildercocktail mit einer labyrinthischen Handlung, in der der Journalist Stuart sich in den tristen 80er Jahren aufmacht, nach dem zehn Jahre zuvor spurlos verschwundenen Rockstars Brian Slade (Rhys-Myers) zu fahnden. Der hatte auf dem Höhepunkt seiner Karriere bei einem Konzert seine eigene Ermordung gefeiert und war danach untergetaucht. Wie in CITIZEN KANE macht sich Stuart daran, mit der Befragung von Slades Wegbegleitern Licht ins Dunkel zu bringen. Unverkennbar die Parallelen zwischen Brian Slades und David Bowies Leben und dessen „Rock ’n‘ Roll Suicide“ 1973, als er sein Alter ego Ziggy Stardust ins Jenseits beförderte. Aber Haynes ist nicht an biografischer Korrektheit interessiert. Eine Liebesbeziehung zwischen Slade und seinem heruntergekommenen US-Vorbild Curt Wilde (McGregor) mag verdammt nach Bowies Allianz mit Iggy Pop riechen, ist aber doch nur eine Abstraktion der holprigen Rock-Lovestory zwischen London und New York. Vieles aus der überlieferten Historie wird in dieser Art aufgegriffen in VELVET GOLDMINE, doch wie bei einem Remix neu arrangiert und in andere Zusammenhänge gesetzt. Das ist nur logisch bei einem Spacemärchen wie diesem, das mit dem Besuch von Außerirdischen im England des 19. Jahrhunderts beginnt, bei dem sie das Findelkind Oscar Wilde aussetzen – als den unmittelbaren Vorfahren jener Außenseiter, die sich mehr als 100 Jahre später die Gesichter schminken und den Triumph der Bisexualität feiern. Haynes unternimmt in seiner Ausstattungsorgie alles, um die Gesetze der Rationalität auszuhebein, doch bleibt sein Zauberwürfel merkwürdig distanziert. Das irritiert, macht aber Sinn: VELVET GOLDMINE will vor allem ein Headtrip sein, der allen Klischees gängiger Rock-Success-Storys trotzt. Indem der Filmemacher den emotionalen Zugang zu seinen Figuren verweigert, entsteht ein kopflastiges, aber immer lustvolles Rollenspiel bekannter Versatzstücke, das besser als jeder Film zuvor zeigt, was Rock ’n‘ Roll einst bedeutete – und warum er in den „Corporate 80s“ vor die Hunde gehen mußte.
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