Yes – Going For The One

Fast zwei Jahre hat man auf ein Yes-Lebenszeichen warten müssen, und für exakt 5 Minuten 30 Sekunden ist da die Hoffnung, daß es sich doppelt gelohnt hat. Beim ersten Stück, dem Titelsong des neunten Gruppenalbums nämlich, geschieht folgendes: Zuerst wirft man einen Blick aufs Label, um sicherzugehen, daß da keine falsche Scheibe in die Hipgnosis-Hülle geraten ist, und dann kommt der Gedanke, „Mein Gott, endlich eine Übergruppe, die sich nicht als reproduzierendes Denkmal versteht, sondern Mut zu Neuem hat – auch wenn es etwas Altes ist.“ Denn „Going For The One“ rockt solide drauflos, für Yes-Verhältnisse überraschend launig und unkompliziert.

Dann allerdings läßt sich die Gruppe schon wieder von den kalt-ästhetischen Klangkonstruktionen ihrer Vergangenheit einholen: „Turn Of The Century“ ist musikalisch ebenso schicksalsschwanger wie sein Titel, ein klassizistisch-orchestrales Geplänkel, ohne größere Faszinationskraft, und „Parallels“, ein unverbindliches, vokalbetontes STück mit geradem Beat-Rhythmus und starken Orgel-Akzenten. „Wondrous Stories“, melodiösromantischer Auftakt der zweiten Seite, lohnt wieder ein mehrmaliges Hinhören. Er steht direkt in der „Topographie Oceans“-Tradition, ebenso wie das abschließende 15-Minuten-Monster „Awaken“, das zwischen zerbrechlicher Traumatmosphäre und pathetischer Materialschlacht pendelt. Überhaupt läßt sich das ganze Platten-Opus ziemlich exakt zwischen den faszinierenden „Tales From…“ und dem nicht minder brillanten „Relayer“ ansiedeln, ohne daß es allerdings das Niveau eines der beiden unmittelbaren Vorläufer erreicht. Rick Wakeman, nun wieder dabei, steckt hörbar zurück, zumindest, was seine Spezialität anbelangt, den wabernden Klangbombast. Und auch Jon Anderson, dem Hauptkonzeptor des Albums, haben seine Mitstreiter auf die Finger geschaut: das Gruppenprodukt fällt kompakter aus als dessen versponnenes Soloalbum. Unterm Strich eine solide Arbeit, die trotz Schattenseiten beweist, daß der Rock-Dinosaurier Yes (im Gegensatz zum Artgenossen Floyd) den Marsch in die Sterbesümpfe (noch?) nicht angetreten hat.