Rock vom Roboter


Zugegeben, würde nicht Michael Shrieve bei Automatic Man mitmischen, wäre diese neue Band sicher weit weniger gespannt auf der Szene erwartet worden. Michael ist der langjährige, bewährte (Ex) Santana-Drummer und besitzt natürlich einen glänzenden Ruf, so daß man allgemein interessiert die Ohren spitzte, was er wohl mit seiner ersten eigenen Gruppe auf die Beine bringen würde. Die Band besteht nur aus Amerikanern, wenn auch der Countdown fast ausschließlich in England stattfand, wo Mike, direkt im Anschluß an sein "Go"-Gastspiel mit Stomu Yamashta und Stevie Winwood, mit seiner neuen Truppe ins Studio ging, um die ersten Stücke für die Nachwelt zu konservieren. Selbst die erste Tour unternahm man in England.

Neben Mike, den ja jeder zur Genüge kennen dürfte, fällt insbesondere der Tastenvirtuose Bayete sofort auf. und das nicht nur optisch. Seine Keyboardbehandlung ist mindestens ebenso „outstanding“ wie sein exotisches Aussehen. Gitarrist Pat Thrall. ein noch kaum bekanntes Gesicht, stammt aus San Francisco wie die drei übrigen Automatic-Leute. Am Bass steht Doni Harvey, ebenfalls noch relativ unbekannt.

Verfremdung ist Trumpf

Automatic Man ist nämlich keine der üblichen Rockbands, wie sie Tag für Tag aus dem fruchtbaren Boden auf beiden Seiten des Atlantik schießen, selbst wenn sie auf den ersten Blick diesen Anschein erwecken. Es ist eine Theorie-Band, um der Sache irgendwie beizukommen. Das fängt bereits bei den bewußt und vorrangig verwendeten elektronischen Instrumenten an: vom Synthesizer über Michaels elektronische Schießbude bis hin zu den irresten Effekt- und Verfremdungsgeraten. Bayete zur Theorie: „Wir gehen davon aus, daß jeder Mensch einen speziellen Ton besitzt und versuchen nunmehr, so viele Töne als möglich zum Klingen zu bringen, im Einklang mit uns selbst. Wenn wir das erreichen, haben wir’s geschafft.“ Oder Pat Thrall:“.Wir werden schon sehr bald soweit sein, daß jeder von uns das spielt, was der andere gerade spielt, so daß die Gruppe wie ein einziges Instrument klingt. Die Töne werden dabei so flexibel gehalten, daß man nicht mehr ohne weiteres von einer typischen Gitarre, einem Bass oder z.B. einer Orgel sprechen kann.“

Doni sortiert noch

Doni ist noch nicht ganz soweit:“.Eine Menge davon ist mir noch völlig neu. Ich weiß zwar, daß die Philosophie vorhanden ist, ich spüre sie sogar, aber darüber zu sprechen wie die andern, ist bei mir noch nicht drin. Ich will aber lernen, so viel ich kann!“ Nun gut. eine Philosophie haben sie wenigstens schon mal, aber wie sieht die Praxis aus? Beim ersten Hören erscheint die Musik merkwürdig fremd, und man achtet wirklich nicht auf einzelne Instrumente oder den damit verbundenen Sound. Da geht es ungemein energiegeladen und angespannt zu. es gibt kaum Melodien, und vorwiegend wird man mit Bayetes rasenden Tasten-Rhythmen konfrontiert. Diese musikalische Ausdrucksweise in Worte zu fassen, scheint schier unmöglich. Es steckt ebenso viel Jazz- und E-Musik darin wie lateinamerikanische und ebenso viele Space-Musik-Elemente, obwohl man zugeben muß, daß trotz allem die Kompaktheit und kompromißlose Eigenwilligkeit nie in Gefahr gerät.

Die Masse entscheidet

Wieviel Mühe hinter solch konsequenter Fortführung der theoretischen Basis steht, kann man nur ahnen. Und ebenso ergeht es einem mit den Erfolgsaussichten dieser Gruppe. Die Typen, die ohnehin ständig nach „neuen Wegen“ und nach Alternativen schreien, dürften jetzt ihr neues Spielzeug gefunden haben. Ob die Zeit allerdings schon für diese eher „kalte“ und übertrieben technische Seite der Musik reif ist, wird letztlich nur die breite Masse entscheiden. Sollten die Aussichten auf einen großen Erlolg jedoch eher gering sein, kann man nur hoffen, daß dieses so gut vorbereitete Unternehmen nicht sofort wieder im Sande verläuft. Ohne diesen Ansporn verliert man schnell den Ehrgeiz…

Gute Schule läßt sich nicht verleugnen

Gefunden haben sich die Vier in San Francisco, dem einmaligen musikalischen Schmelztiegel der USA. Durch seinen Bruder stieß Mike auf Pat, der früher Schlagzeug gespielt hatte, dann aber auf Gitarre umstieg. Bayete scheint an der Westküste schon seit geraumer Zeit einen guten Namen zu besitzen, denn Mike ist bereits seit Jahren scharf auf ihn und wollte ihn auch damals bei San tana unterbringen. Zwei Solo-Alben gibt es von Bayete. außerdem kann man ihn auf Platten von Herbie Hancock, Julien Priester, Bobby Hutcherson und vor allem John Klemmer’s „Intensity“ hören, alles Interpreten aus den freieren Jazzlagern. Und diese „Schule“ ist nicht immer leicht zu vertuschen. Doni Harvey schließlich landete eines schönen Tages bei den Dreien in einem Probestudio, wo sie gerade mal wieder am Diskutieren und Jammen waren. Doni jammte mit und stieg kurz später ein.

Michael, der Pionier

Mike besaß von jeher eine ausgeprägte Vorliehe für Electronics. Er experimentierte als einer der ersten überhaupt mit einem voll elektronischen Schlagzeug. Nachdem er Ende ‚7.* Santana verlassen hatte, begann er zunächst einmal mit den Aufnahmen zu seinem ersten Solo-Album, das sich mehr oder weniger Tamla Motown-orientierten Songs widmete und das die CBS komischerweise noch immer nicht auf den Markt geworfen hat. (Warum eigentlich??) Michael erhielt Angebote von George Harrison, David Bowie und unzähligen anderen, weit weniger populären Leuten. Aber er lehnte dankend ab und packte seine Koffer, um nach London zu gehen, wo sein alter Schulfreund aus der Berkeley-School-Zeit Stomu Yamashta auf ihn wartete, mit dem zusammen er große Pläne schmiedete. Das einzige, was jedoch dabei herauskam, war das leider total unorganisierte „Go“-Spektakel, über das ME kürzlich berichtete. Letzten Endes fand er sich im Studio mit Automatic Man wieder, der sicherlich einzigen Gruppe, hinter der er wirklich steht und die seinen Anforderungen gerecht werden dürfte.

Er möchte sich nämlich nicht mehr mit der Rolle des reinen Drummers zufriedengeben: „Da gibt es so unwahrscheinlich viele Klänge, besonders für die. die damit umgehen können, und ich bin eben auf der Suche nach solchen Möglichkeiten. Er ist eben doch so viel mehr als ein Drummer!

Automatic Man sollte trotzdem darauf achten, daß nicht durch allzuviel Theorie und Technik das Feeling leidet. Neues bringen die Vier ohne Zweifel, fragt sich nur. welcher Teil mit der Zeit die Oberhand behält. Zu viel wissenschaftliches Gerede hat schon immer das menschliche Gefühl in Mitleidenschaft gezogen. Hoffentlich bilden die „Roboter“ auch hier die rühmliche Ausnahme.