Rod Stewart – Die folgenreiche Atlantiküberquerung


Rod Stewart hat einen großen Schritt getan! Weder nach vorne noch nach hinten – sondern nach Amerika, was das Cover seiner neuen LP „Atlantic Crossing“ künstlerisch deutlich macht. Bisher gingen Rods Aktivitäten vorwiegend von seiner Heimat England aus. Jetzt, nach seiner Umsiedlung in die Staaten, spielt sich bei ihm alles anders als gewohnt ab. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn er engagierte erstmals nur amerikanische (Session-) Musiker, suchte sich andere Studios und nach langer Zeit wieder einen Produzenten. Dadurch hat sich sein Stil stark gewandelt: Er ist amerikanischer als je zuvor. Und das ist sehr schade!

Mit seinen bislang fünf durchweg fantastischen Solo-Alben hatte er einen unverkennbaren Stil entwickelt und etabliert. Mit Hilfe seiner beiden liebsten Freunde und wichtigsten Helfer, Ron Wood und Martin Quittenton, war es auch spielend gelungen. Musik und die Stimmung waren typisch für ihn und maßgeschneidert. Akustische Gitarren, leise Balladen und satte Bläsersätze verpaßten seiner einmaligen Reißnagel-Stimme das vorteilhafteste Gewand, das man sich denken kann. Seit er jedoch, aus welchen Gründen immer, die Koffer gepackt und sich in die USA verzogen hat, klingt Rod anders. Die legendäre Rhythmusgruppe aus Memphis, die MG’s, und die der Muscle Shoals Studios (Hood/Hawkins/Beckett), sorgen für einen völlig andersgearteten Hintergrund. Und Produzent Tom Dowd machte schon mit Otis Redding seine ersten Aufnahmen. Rod kann ihn gar nicht genug loben.

Neuer Stil

Dennoch ist es schade, daß Stewart an dem Stilrad gedreht hat. Wie er selbst sagt, hat er sich seit Jahren gewünscht, mit diesen R&B-Legenden eine Platte aufzunehmen. Im Überschwang der Gefühle vergaß er vermutlich zeitweise, daß er inzwischen zum Markenzeichen einer Art Musik avanciert ist, deren mit Abstand würdigster Vertreter er ist. Nennen wir es einmal grob „englischer Folk-R&B“. (Oh je, wieder eine neue Klassifizierung. Aber irgendwie muß man’s ja nennen.) Rod hätte gut daran getan, ihm weiterhin die Treue zu halten. Daneben fällt auf, daß er mit dem neuen Album zum erstenmal auf Ronnie, Martin und die alkoholgeschwängerte Stimmung im Studio verzichtet hat, und die donnernden Rock-’n’Roll-Nummern offenbar der Vergangenheit angehören. Der neue Stewart klingt gepflegter und gereift. Der Mod von einst und Hans-Dampf-in-allen-Gassen, der wildeste Säufer Londons und der irrste Kumpel ist scheinbar zahm geworden.

Neue Liebe

Nicht ganz unbeteiligt daran war sicherlich Stewarts neue Flamme, die Schauspielerin und Ex-007-Gespielin Britt Ekland, die „kühle Blonde aus dem Norden“. Seit er sie getroffen, wirkt er „erwachsen“, verantwortungsbewußt und – ach ja, total verknallt. Sie war vermutlich der Hauptgrund, der ihn zum Umzug veranlaßte. Ein anderer, die Steuerprobleme mit good old England, dem er angeblich noch 750 000 Pfund schulden soll. Und schließlich hatten sich die Faces, bei denen Rod ja immer noch mitwirkt, nach der letzten US-Tour darauf geeinigt, daß sie aus musikalischen Gründen geschlossen auswandern würden. Ach ja, die guten Faces …

Die Faces am Ende?

Seit fünf Jahren steht Stewart jetzt mit ihnen auf der Bühne, und das machte ihm bisher auch unheimlich Spaß. Alle fünf sind sie echte Saufköpfe, nie verlegen um einen Witz oder eine Verrücktheit, wie z.B. das Zertrümmern eines Hotelzimmers. Ganz „gesittet“ versteht sich. Auf der Bühne wird herumgetollt, die Flaschen immer griffbereit in der Nähe, während die Musik erst nach dem Spaß rangiert. Kein Wunder, wenn sie nicht sonderlich aufregend ist. Nach einer derart langen, engen Freundschaft, scheint Rod nun langsam die Geduld, oder wie er sagt, die große Loyalität gegenüber der Band zu verlieren. Daß er so ziemlich alle LP’s der Faces beschissen findet, betont er schon jahrelang. Neuerdings passen ihm aber selbst die ausgeflippten Live-Auftritte nicht mehr. Er möchte die Qualität seiner Solo-Produktionen endlich auch auf die Faces-Bühne übertragen. Und wenn das nicht gehen sollte, ist Schluß für ihn! Diesmal meint er’s ernst: Die Auflösung der Faces war noch nie so nahe. Wenn der Sound auf der jetzigen Amerika-Tour nicht in Ordnung geht, ist die Sache für mich gelaufen!“

Rod’s Solopfade

Seine Solo-Alben beweisen selbst dem verwöhntesten Kritiker, daß er weder die Faces noch irgendeine andere Band benötigt, um sich durchzusetzen. Jede seiner LP’s wurde vergoldet, aber das soll noch nichts heißen … Jede der fünf Platten stellt ein Meisterwerk dar. Auch „Atlantic Crossing“ fügt sich da nahtlos ein, selbst wenn es mit den übrigen nicht zu vergleichen ist. Eben ein anderer Stewart, an den man sich erst gewöhnen muß. Mit dem „Rod Stewart Album“ startete Rod seine Sololaufbahn. Später erhielt es den Titel „An Old Raincoat Won’t Ever Let You Down“. Eine herrliche LP mit seinen ersten typischen „Folk-R&B“-Nummern. Erstmals taucht das Dreigespann auf, das sämtlichen Stewart-Produktionen seinen Stempel aufdrückte: Die zwei Jeff Beck Group-Kollegen, Micky Waller und Ron Wood, sowie der akustische Gitarrist Martin Quittenton, von der inzwischen aufgelösten Steamhammer. Das war 1969, noch während seiner Zeit bei Jeff Beck.

„Gasoline Alley“

Als zweiter Streich folgte ein Jahr später „Gasoline Alley“. Wood, Waller und Rod hatten sich inzwischen von Beck getrennt, und nachdem Ron ihn mit Kenny Jones von den Small Faces bekanntgemacht hatte, der ihn fragte, ob er nicht bei ihnen einsteigen wolle, stand die neue Band fest. Fortan nannten sie sich Faces, Ronnie vertrat Steve Marriott an der Gitarre, und Rod sang. Ronnie Lane und Kenny Jones finden sich denn auch in der Gästeliste von „Gasoline“. „Only A Hobo“ von Bob Dylan bildet den Anfang einer ganzen Serie von Dylan-Songs, die jedes weitere Album zieren. Stewarts Eigenkompositionen werden persönlicher und besitzen meist autobiographischen Charakter. Lou Reizner, der später das „Tommy“-Spektakel in Szene setzte, produzierte die beiden Erstlingswerke, konnte jedoch noch keine Linie hineinbringen.

Rod überflügelt die Faces

1971 übernimmt Rod selbst das Ruder. Eine neue Firma ist gefunden, und „Every Picture Tells A Story“, von ihm selbst produziert, leitet seinen Superstar-Status ein. Bis dahin fehlte ihm eine Hitsingle, die sich jetzt in doppelter Form einstellt: Neben der A-Seite „Maggie May“ wird ebenso die B-Seite mit „Reason To Believe“ ein großer Charterfolg. Aber jeder der Songs auf dem Album ist einmalig. Das prächtige „Mandolin Wind“, das sensible „I’m Loosing You“ und der Titelsong sind nur ein paar davon. Weder der Dylan-Tribut, noch die bereits obligatorische R&B-Nummer fehlen. Die Scheibe wird ein derart riesiger Erfolg, daß fortan in immer kürzeren Zeitabständen die Frage nach dem Fortbestehen der Faces auftaucht. Rod wird nicht müde, sein „Definitely Not“ darauf zu antworten. Allerdings besteht kein Zweifel mehr daran, daß die Gruppe künftig allein von seiner Popularität existiert. Im gleichen Jahr wird Stewart vom „Rolling Stone“ mit dem Titel „Rockstar des Jahres ’71“ ausgestattet. Niemals hatten die Faces derart hervorragende Kritiken und hohe Verkaufszahlen verbuchen können. Und das sollte so bleiben.

Neues bahnt sich an

Der Titel des vierten Albums klingt hochgestochen und arrogant: „Never A Dull Moment“ (Niemals ein langweiliger Moment). Sein Vorgänger wäre sicher besser damit gefahren. „You Wear It Well“, eine Auskoppelung wird zum dritten Hit, während sich Hendrix‘ „Angel“ und Dylan’s „Mama You Been On My Mind“ als intimere Versionen als ihre Originale erweisen. Rod stellt einmal mehr seine sichere Hand bei der Auswahl von fremdem Material unter Beweis. Die Gästelisten werden länger und länger, die Arrangements vielseitiger, die Aufnahmen ohne Zweifel disziplinierter. Mit „Smiler“ seinem ’74er Album folgt er diesem Trend, und es ist sein absolutes Meisterstück bis heute, inclusive „Atlantic Crossing“. Die Songs „Farewell“, „Sailor“ und „Bring It On Home To Me/You Send Me“ von Sam Cooke, Rods einzigem großen Vorbild, werden diesseits und jenseits des Ozeans zu riesigen Erfolgen. „Atlantic Crossing“ beweist aber, daß dies alles Stewart noch nicht genügte. Er wollte nicht nur gut, er wollte „echt“ sein.

Rod’s großer Traum

Die sogenannte „Echtheit“ beruht auf seiner Vorliebe für den R&B der späten 50er Jahre und deren wohl beste Studiomusiker, die Memphis Group (MG’s) mit Steve Cropper, Duck Dünn und Al Jackson. Sie haben früher fast alle die Stax-Soulkünstler begleitet, u.a. auch Otis Redding. Dort muß man Rods Wurzeln suchen, und hier werden sie erneut ausgegraben. Einer seiner größten Träume ging in Erfüllung, während ein anderer noch offensteht: Ein Solokonzert! Mit Rücksicht auf die Faces hat er ihn bis heute vor sich hergeschoben. In letzter Zeit wird allerdings wieder kräftig gemunkelt. Und die MG’s hätten nichts dagegen, mit ihm auf Tour zu gehen … Aber Rod ist anspruchsvoll geworden. Kompromisse liegen nicht mehr drin, ein für allemal.

Die Jeff Beck Group

Obwohl Rod schottische Eltern besitzt, wurde er anno 1945 in London geboren. Neben etlichen anderen Jobs war er auch mal Semiprofi im Fußball; eine Liebe, die ihn noch heute fesselt. Er begann schon früh, Gitarre zu spielen, von seiner Stimme war er jedoch nie so recht überzeugt. Erst mit 20 Jahren begann er, sein unglaubliches Organ vorzustellen. Er spielte zeitweise bei „Steampacket“, einer Band, der mitunter auch Julie Driscoll, Brian Auger, Long John Baldry und Jeff Beck angehörten. Und gerade dieser Jeff Beck sollte ein neues Kapitel aufschlagen. Mit ihm gründete Rod. „The Mod“, 1967 die Jeff Beck Group, mit Ron Wood am Baß, Micky Waller am Schlagzeug und Nicky Hopkins am Piano. Zwei ausgezeichnete Platten dokumentieren ihren „Weg („Truth“ und „Beck-Ola“) bis zur Trennung zwei Jahre später. Ron und Rod hatten fast ständig Krach mit ihrem Brötchengeber und schließlich, als Beck Ronnie feuern wollte, verließen Rod und Micky ebenfalls die Gruppe. Freilich nicht ohne kurz zuvor Stewarts erstes Solowerk aufgenommen zu haben.

Die besten Texte

Neben der Musik heimste Rod sich mit seinen Texten viel Lob ein. Die intimsten findet man auf den ersten beiden Platten. Meist liefern die Jugend in London, irgendeine Liebelei von ihm oder das Leben in einer Rockband die Themen der Stücke. Bernie Taupin, der Texter aller Elton John-Songs, selbst einer der stärksten Rock-Lyriker, hält seinerseits Rod für den kompetentesten Songschreiber weit und breit. Die Ehrlichkeit und Offenheit, mit denen Stewart etwas aussagt oder erzählt, bewegt sich zwar nicht in den Dimensionen einer Joni Mitchell, vermittelt einem aber dennoch ein klares Bild der schillernden Persönlichkeit des Rod Stewart. Er bekennt sich zum Arbeiterkind, das die Erfolgsleiter erklettert hat, zum nicht immer perfekten Liebhaber und sehr oft zum liebenswerten, traurigen Tramp und Herumlungerer, der die Vergangenheit sucht. Außerdem fällt es ihm offenbar nicht schwer, sich mit dem hervorragend ausgewählten Fremdmaterial zu identifizieren, wie Dylan’s Hobo zum Beispiel. Theoretisch könnte es durchweg von ihm selbst stammen.

Genauer betrachtet, hat sich denn sein Stil doch nicht sooo stark gewandelt, wie man anfangs zu meinen glaubt. Das balladenhafte auf „Atlantic Crossing“ ist ebenso ergreifend wie auf den älteren Aufnahmen. Einzig der Background, die Rhythmusgruppe und Teile der Arrangements haben sich veramerikanisiert. Rod fand drüben neue Produktionsbedingungen, eine andere Mentalität und natürlich andere Musiker vor. Nach einer gewissen Zeit des Eingewöhnens wird er sich sicher schnell an all die schönen alten Dinge erinnern und hoffentlich auch an Martin und Ronnie, die seinen Stil prägen halfen. Rod’s Mischung aus Gentlemen-Rockstar, der er immer war, und dem versoffenen, duften Kumpel, der inzwischen ein wenig ins Hintertreffen geriet, hat sich etwas verlagert, die Qualität und der Standard haben jedoch nicht im mindesten darunter gelitten.