Runaways – Vier Ausreisser machen Ärger


Spielen sie nun Punk oder nur lärmenden Hardrock? Hat ihr Aussehen sie bekannt gemacht, haben sexuelle Anzüglichkeiten ein männliches Publikum aufgegeilt? Oder war doch die Musik die Mutter des Erfolgs der Runaways? Es fällt schwer, mit der kalifornischen Mädchenband zurechtzukommen. Auch Ingeborg Schober hatte Probleme, als sie das Quartett in München traf…

Nicht nur „Szene ’78“ -Moderator Thomas Gottschalk fand die vier Runaways „zum Davonlaufen“ und die Show hinter der Bühne „lustlos, müde, patzig und doof“; rundherum waren die Leute im Fernsehstudio des BR in München-Unterföhring angesäuert und sahen sich in ihren Vorurteilen gegenüber einer Mädchen-Band bestätigt. Und es bedurfte schon großer Mühe an diesem Novembernachmittag, nicht die Beherrschung zu verlieren. Die vier „Queens of Noise“ aus Hollywood, Los Angeles, hatten nicht ihren besten Tag und zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite.

Die „Queens Of Noise“ geben sich lustlos, müde, patzig und doof

Vier Stunden lang gab es Verzögerungen und Stunk im Studio und kein Interview. Die Gründe dafür wechselten wie ihre Launen, die von den beiden anwesenden Bodyguards äußerst arrogant kommentiert wurden: Zuerst wollte Sandy West für ihr Schlagzeug einen eigenen Monitor, dann Gitarristin Joan Jett ein längeres Kabel, um dann doch weiterhin wie angewurzelt auf der Stelle zu treten. Später gab es Ärger, weil die Mädchen ihr sauberes Image gefährdet sahen, als ein Mikro umkippte und ein Fotograf ganz ohne Erlaubnis ein paar Bildchen schoß. Selbst die eiligst herbeigeschafften Big Burgers und Milkshakes von McDonalds konnten die Leder-Engelchen nicht beruhigen: Sie verschwanden schmollend in der Garderobe. Abends verließ ich unverrichteter Dinge das Studio, machte dem Bodyguard klar, daß es Hunderte andere, vielleicht bessere, jedenfalls weniger launische Gruppen gäbe und betrachtete den Fall als erledigt. Doch siehe da, ein paar Stunden später ließen die Fräuleins aus USA ausrichten, daß man bedaure und gern im Hotel ein wenig plaudern würde. Und da ja schon früher Hollywood und der Traum vom Superstar scharenweise Mädchen den Kopf verdrehte, gab ich nach und versuchte, einen persönlichen und besseren Eindruck zu gewinnen.

Sandy West und Joan Jett hatten nicht viel zu sagen und was sie sagten, klang reichlich auswendig gelernt und wenig aufregend. Ihre Band-Geschichte hat so viele Variationen, daß man annehmen muß, die Wahrheit kennt nur einer – Kim Fowley, Manager, Produzent und Ko-Autor der Gruppe, ein ewig verrückter, zorniger junger Mann. Er war früher für Hits wie „Nut Rocker“ oder „Alley Oop“ verantwortlich, stellte Gruppen nach der jeweiligen Mode-Welle zusammen, etwa die Rock’n’Roll-Nostalgie-Band Flash Cadillac & The Continental Kids und tauchte auf Platten von The Mothers und John and Yoko auf – ein typischer Hollywood-Exponent, der sich an der englischen Rock-Musik von Move, Yardbirds oder Who orientierte. Und als Kim eines Tages Kiri Krome, Verfasserin von vortrefflicher Teenager-Lyrik, auf einer Party traf, kam ihm eine neue Idee – eine Mädchenband, die jung, hübsch, sexy, eben jene Texte vortragen sollte. Kari hatte eine Freundin, die elektrische Gitarre spielte und für Suzi Quatro schwärmte, das war Joan Jett, und mit ihr wurden nun eine Reihe Teenager getestet, die ihre Jobs in Warenhäusern und Büros über hatten. Das größte Problem war Mädchen zu finden, die ein Instrument spielen konnten, Jungs gab’s ja genug. Man einigte sich am Ende auf Cherie Currie (Gesang, Piano). Lita Ford (Solo-Gitarre), Jackie Fox (Gesang, Baß) und Sandy West (Gesang, Schlagzeug).

Stunk im Münchener Studio

Heute sind Chene, die auf der Bühne mit Fischgrätkorsett auftrat, und Jackie Fox nicht mehr dabei. ,JJie eine kam mit der Musik nicht zurecht, die andere nicht mit dem Musikbusiness“, lautet Sandy’s lapidarer Kommentar zur Umbesetzung. Als Bassistin mischt nun die ruhige Vicki Blue mit. Ihr erstes Album „The Runaways“ (1976), bei uns nicht erschienen, erhielt gute Kritiken und enthält einen Teenager-Standard-Song im bewährten Phil Spector/Shangri-Las-Konzept: „Dead End Justice“.

Jugendkriminalität, Sex und Parties sind noch heute die Themen, über die die Runaways mittlerweile auch selbst schreiben, vorwiegend Joan Jett. Sind das auch ihre Probleme? „Nicht alle, wir machen ja, was wir wollen – Musik. Und unsere Eltern zum Beispiel sind großartig. Obwohl sie zuerst skeptisch und ängstlich waren, haben sie uns voll unterstützt.“ Überhaupt scheint bei den Mädchen allen Gerüchten zum Trotz, alles in bester Ordnung zu sein. Sie wohnen nicht mehr zuhause, und fühlen sich auch nicht behütet, eingesperrt oder bevormundet von Kim Fowley: „Wir sind nicht Kim’s Puppen, er ist kein Diktator. Er hat uns anfangs einfach eine Menge Ratschläge gegeben.“

Nach dem zweiten Album „Queens of Noise“, das mit „Born To Be Bad“, „Neon Angels On The Road To Ruin“ oder „Heartbeat“ eine Reihe guter Songs enthält, kam eine Englandtournee, der nun im Rahmen einer Europatournee die zweite folgte. „Zuerst kamen die Leute nur aus Neugierde, weil sie’s einfach nicht glauben konnten. Aber wenn sie uns live hören, kapieren sie, daß wir es mit unserer Musik ernst meinen“, sagt die Band.

Kims Idee: eine Mädchenband, jung, hübsch und sexy

Nun, ich habe die Runaways nur im Fernsehstudio gesehen, wo sie ihre neue Single „School Days“ spielten. „Danach sollte man uns bitte nicht beurteilen“, sagten sie, „denn wir fühlen uns bei Fernsehaufzeichnungen immer sehr komisch. Wir mögen das Mimen nicht, es fehlt einfach die Energie. Wir sehen lieber Leute statt Kameras.“ Ihr soeben erschienenes Album „Live In Japan“ konnte mich dennoch trotz einiger Rock ’n‘ Roll-Standards wie „W ild Thing“ und Lou Reed’s „Rock V Roll“ nicht so überzeugen, wie die Studioproduktionen, auf denen jener schnoddrige Pubertäts-Charm und die jugendliche Energie nur so sprüht. Das gilt auch für die vierte LP „Waitin‘ For The Night ‚. Da spürt man plötzlich den Enthusiasmus und den Spaß, den ich bei diesem Gespräch so sehr vermißte: „Viele Leute glauben noch immer, wir hätten nur ’ne Band gegründet, um berühmt zu werden und in die Zeitungen zu kommen. Aber wir lieben die Musik, wir lieben Rock’n‘ Roll. Die Runaways bedeuten für uns alles.“ Warum dann dieses Image der Leder-Lolitas, das auf die Männerherzen von 8-80 spekuliert? „Wir können wohl nicht verleugnen, daß wir Mädchen sind, aber unser Image ist Leben, Energie, Agressivität und Ehrlichkeit“.

Leder-Nacht in der Disco-Szene

Viele Mädchen gibts im Rock-Geschäft ohnehin nicht, Bands kaum, man darf doch annehmen, daß es in einer solchen Band spezielle Probleme gibt? „Vielleicht werden wir anders behandelt, weil die Leute dazu erzogen werden, Jungs und Mädchen unterschiedlich zu behandeln. Man tendiert dazu, uns für dumm zu halten, für einen Witz.“ Nun, viel haben die Runaways ja nicht dazu beigetragen, dieses Vorurteil auszuräumen, und so haben sie auch von anderen Mädchen im Geschäft wenig Respekt: „Fanny, das waren gute Musiker, aber doch ziemlich langweilig.“ Die Mädchen der Gruppe stehen eher auf Suzie Quatro, die Sweet oder die Sex Pistols. Und dann legten Sandy und Joan volle Leder-Montur an, um der Münchener Discothek „Sugarshack“ einen Besuch abzustatten. Daß Yicki und Lita längst im Bett lagen, habe nichts mit Ego-Problemen zu tun: , J)ie entstehen doch nur, wenn man sich besser vorkommt als das Publikum.“

Ihre Fans lieben die Runaways, daran gibt es keinen Zweifel. Und zumindest für einen von ihnen schien an diesem Abend soetwas wie ein Traum in Erfüllung zu gehen: Schlagzeuger Colin Allen, früher bei Focus, jetzt in Donovans Band, verwickelte Sandy bei mehreren Longdrinks in ein Fachgespräch. Na bitte!