Sade


Man könnte meinen, Sade sei nicht von dieser Welt. Ihre samtige Stimme streichelt den Hörer, ihre Stoßstangen-Lippen, so war zu lesen, bringen Männer um Verstand und Schlaf, ein Raubtierblick aus ihren exotischen Augen – und ganze Völkerstämme sind hin und weg. Die Kritiker schlagen Purzelbäume, Superlative haben Inflation.

Die Einzige, die bei diesem Affentheater vergleichsweise ruhig bleibt, ist Sade selbst. Die ultra-elegante, dunkelhäutige „Queen of Cool“, Produkt einer kurzlebigen Mischehe zwischen einer englischen Krankenschwester und einem nigerianischen Studenten, wußte wohl, was auf sie zukam, als man Pride, der glücklosen Funk-Band aus Londons In-Club „Le Beat Route“, ihr Gesicht und ihren Namen gab.

„Daß das Hauptinteresse sich voll auf mich konzentrieren würde, war allen Beteiligten klar. Aber daraus wird niemals ein Problem erwachsen, denn die Gefahr, daß ich mich überschätze, besteht nicht. Im Gegenteil. Ich zweifle weit häufiger an meinen Fähigkeiten als die Band, auf deren Zuspruch ich manchmal regelrecht angewiesen bin.“

Die jazzverliebte Demi-Monde Londons liebt Sade jedoch so, wie sie ist: bescheiden und schön, elegant und exotisch. Keiner schien zu bemerken, daß ihre Phrasierungs-Möglichkeiten begrenzt, ihr Stimmumfang beschränkt ist. „Ich fange ja gerade erst an“, wehrt sie sich gegen solche Vorwürfe, „außerdem bevorzuge ich Sänger wie Al Green. Marvin Gaye oder Bill Withers, die songdienlich singen und nicht hinters Mikro treten, um ihre Vokalartistik feiern zu lassen.“

Sade – geboren in Ibadan bei Lagos, aufgewachsen in der englischen Provinz – kam recht spät zur Musik. Mit Punk und New Wave konnte sie wenig anfangen. Erst als sie mit ihrem älteren Bruder Banji die GI-Discos der US-Militärbasen frequentierte, entdeckte sie ihr Herz für Soul, Blues R&B und Jazz. Mit 17 Jahren ging sie nach London, um Mode-Design zu studieren. Ihre kargen Bezüge besserte sie als Fotomodell auf.

Bei der Latin-Combo Ariva und dem Funk-Ensemble Pride stand sie als Background-Sängerin im Hintergrund. Erst als die Solo-Spots von Sade – sprich „Schade“ – zur Attraktion der Konzerte wurden, kam es zur heutigen Konstellation mit Stuart Matthewman (sax. g), Paul S. Denman (b) und Andrew Hale (keys).

Ohne Vertrag und nur mit Hilfe des fast erblindeten Produzenten Robin Millar spielte die junge Band ihre Debütsingle „Your Love Is King“ ein. In Rekordzeit von sechs Wochen stellte man DIAMOND LIFE fertig. „Manchmal‘, so sinniert Sade, „finde ich es schon ein wenig unverschämt, daß wir mit so wenig Arbeit so viel Erfolg haben.“

Daß die Mischung aus schwülem Fifties-Jazz und schwerblütigem Mid-Tempo-Soul derart explosiv sein würde, überraschte selbst die stoische Sade und ihre Mitspieler. Hohe Chartplazierungen, ausverkaufte Japan-Tournee, eine Einladung zum Montreux Jazz Festival, ein Gastspiel in dem Julian-Temple-Film „Absolute Beginners“ – Sade, Band und Namensgeberin, tun gut daran, dem Rummel mit kühlem Kopf zu begegnen.

„Ich hatte auch nie vor. Astrud Gilberto oder Billie Holiday Konkurrenz zu machen. Ich will bloß gute Songs schreiben – und singen“