Sigur Ros


München, Herkulessaal

Atemberaubender Klangrausch oder kunsfgewerblerische Prävention? Die isländischen Ätheriker werfen Fragen auf.

So. Heute stellen wir mal ein paar Dinge in Frage. Wie wäre es zunächst mit der beruflichen Qualifikation des Rezensenten? Seit vor gut 15 Minuten die Theaterschelle die Konzertgänger auf ihre Plätze gerufen hat, sitzen studentisch aussehende junge Menschen an Keyboardwall, Gitarre, Cello und Schlagzeug auf der Bühne des hehren Herkulessaales in der Residenz und produzieren ambiente Klangflächen. Es ist schön. Es ist auch ein wenig länglich. Und was geht eigentlich mit dem Falsettgesang? Man wagt es schließlich, der Begleitung zuzuflüstern, etwas erregender habe man Sigur Ros nun doch in Erinnerung. Ein verwunderter Blick. „Ja gut, das ist ja ober auch erst die Vorband.“ Pling. Ah. Na. Richtig, die Vorband. Die Vorband.

Es hat eine längere Umbaupause gegeben, während derer sich die Sitzreihen mit den restlichen (vielleicht nicht so scharf auf die, hm, Vorband gewesenen) der 1000 Leuten gefüllt haben, die in diesen Hort der Hochkultur reinpassen. Und während derer man plaudernd versucht hat, die erschütternden Konnotationen des erlebten Peinlichkeitsschocks zu verdrängen. Jetzt sind die Deckenlüster erloschen und mehr studentisch aussehende Menschen auf die Bühne gekommen: Vier junge Männer an Keyboards, Bass, Gitarre und Schlagzeug und vier junge Frauen, das Streichquartett Amina, schulaufführungesque im Halbkreis gruppiert. Und es hebt fürwahr grandiose Musik an. Aus der ehrfürchtigen Stille, die sich über den gewaltigen Saal mit seinen spukigen Wandmosaiken gelegt hat, erhebt sich ein ätherisches Flirren, das anschwillt, ausufert, sich emporschraubt und auftürmt zu einer Kathedrale aus Klang, funkelnd, betörend, überwältigend. Sigur Ros, na also.

Aber irgend etwas stimmt nicht. Die Saat des Zweifels ist gesät an diesem Abend. Und je mehr er fortschreitet, von Elegie zu Elegie, desto mehr nagen Fragen. Ist das jetzt total großartig, weil alles so gut passt, der gravitätische Rahmen, das Fragil-Sakrale der Musik, die andersweltliche Atmosphäre? Oder ist es eigentlich ganz fürchterlich, weil alles so gut passt, der gravitätische Rahmen, das Fragil-Sakrale der Musik, die andersweltliche Atmosphäre? Ist das hier großes Kino oder prätentiöser Kunstscheibenkleister? Der Herkulessaal, meine Fresse. Der x-te effektvolle Kontrast zwischen Stecknadelfallenhör- und Jumbostartlautstärke. Wäre es jetzt toll oder doof, wenn die einfach maleine Chuck-Berry-Nummer zwischen zwei ihrer Epen schieben würde, so aus Spaß? Oder wenigstens mal eine lustige Ansage? Oder wenigstens mal eine Ansage? Will man hier wirklich Brechung, oder gilt das nur für Leute, die auf Sigur Ros insgeheim ein bisschen böse sind, weil sie aussehen wie ihre Vorgruppe? Man sollte sich solche Fragen nicht stellen, wenn man ein Konzert dieser Band in vollen Zügen genießen will.

Fasziniert sitzt man da, während sich schon wieder eine schier nie gehörte Klanglandschaft ausbreitet und Jon Thor Birgisson, ein schmaler Jüngling mit Flossenfrisur, ins Mikro leidet. Und dann muss man wieder kichern und die ganze Andacht ist hin, wenn einem Deichkind einfallen, die Birgissons Falsettgesang beim ME-Blind Date recht trocken mit dem Sound von „Walsterben“ verglichen. Hm.

Und dann ist man wieder entwaffnet, wenn sie auf einmal den Rahmen zusammenschrumpfen lassen, und sich für ein leises Stück von bezaubernder Magie zu viert auf engstem Raum um Kjartan Sveinssons Keyboards sammeln. Oder wenn sie zum ohrenbetäubenden Finale alle Dämme sprengen und ein Soundpandemonium entfesseln, das einen wegpustet wie Gospeed You Black Emperor!, Mogwai und Spiritualized zusammen. Wam.

Jetzt noch rüber zur Russendisko?, ist hernach die Frage. Einige wollen lieber nicht mit, weil das jetzt irgendwie nicht so passen würde, Wodka saugen und rumhopsen. Andere müssen gerade deshalb nichts wie hin.

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