Kritik

Die zweite Staffelhälfte von „Star Trek: Picard“ aus Sicht eines Nicht-Trekkies: Cameo-Auftritte statt kosmopolitischer Utopie


Eine schnell erzählte Handlung verliert sich in zahlreichen Zwischenspielen – das Ergebnis ist ein dramaturgisch wenig spannender Fan-Service. Die kosmopolitische Utopie des „Star Trek“-Universums verläuft im Sand, droht sich teilweise sogar ins Gegenteil zu verkehren. Und Picard wird vom Anführer zum Messias befördert. Die zweite Staffelhälfte aus Sicht eines (weiterhin) bekennenden Nicht-Trekkies.

In der dritten Folge von „Star Trek: Picard“ brach das Raumschiff „La Sirena“ auf, um das Mysterium um eine neue Androiden-Generation zu lüften. In der vorletzten Folge ist sie tatsächlich am Ziel angelangt, gerade rechtzeitig für den Showdown zwischen Mensch, Künstlicher Intelligenz und Romulanern. Dass das alles so lange dauert, dass die Crew unterwegs mit zahlreichen Schwierigkeiten und unerwarteten Wendungen konfrontiert werden muss, ist klar – schließlich braucht es einen ordentlichen Spannungsbogen, bevor die Held*innen zur eigentlichen Tat schreiten können. Von Nervenkitzel kann angesichts der zahlreichen eintönigen Zwischenepisoden, die nur marginal zum Fortschreiten der eigentlich einfachen Handlung beitragen, aber nicht die Rede sein.

„Star Trek: Picard“ aus Sicht eines Nicht-Trekkies: Serien-Bruchlandung statt Aufbruch in neue Welten

Dass der Funke nicht überspringen will, liegt allerdings eher an fehlender Tiefe, als an zu wenig Action. Gleich die nächste Folge nach Abflug wird auf einen Abstecher Picards (Sir Patrick Stewart) auf den Planeten „Vashti“ verwendet, der letztendlich einzig dazu dient, den mittlerweile erwachsenen romulanischen Waisenjungen Elnor (Evan Evagora) mit an Bord zu holen. Eine Darstellung der komplexen Beziehung zwischen den beiden Figuren, die einen längeren Exkurs rechtfertigen könnte, bleibt aus. Beim nächsten Ausflug auf den Planeten „Freecloud“ wird Bruce Maddox (John Ales), der verantwortliche Wissenschaftler hinter der neuen Androiden-Generation, auf das Raumschiff gebracht. Dafür ist einiges an Fausthieben und Geballer notwendig – unterhaltsam ist das Ganze aber nicht.

Ein Gastauftritt jagt den anderen – auf Kosten der Dramaturgie

Das größte Problem der Dramaturgie in „Star Trek Picard“ ist aber, dass die meist nur eine einzige Folge umspannenden Intermezzi immer nach demselben Schema ablaufen und sehr forciert wirken. Stets gilt es einen neuen Planeten zu erkunden, stets wartet dort ein weiteres altbekanntes Gesicht. So erscheint die Mehrheit der Episoden, als wären sie ausdrücklich so konzipiert, dass sie weitere Cameo-Auftritte ermöglichen. Die hinzugekommenen Figuren sind für den Plot allerdings meist nicht förderlich.

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In der vorletzten Folge vor dem Finale wird dieses Vorgehen auf die Spitze getrieben: Als sich Picard auf den Borg-Kubus „Artefakt“ begibt, um Dahjs Androiden-Schwester Soji aus den Klauen des romulanischen Agenten Narek (Harry Treadaway) und dessen fieser Schwester Narissa (Peyton List) zu retten, kommt es nicht nur zu einem weiteren Gastauftritt – diesmal ist Ex-Borg Hugh (Jonathan Del Arco) an der Reihe – sondern auch zu unerwarteten Komplikationen. Per Notfall-Transportsystem beamen sich die beiden, wie passend, auf den neuen Heimatplaneten von Will Riker (Jonathan Frakes) und Deanna Troi (Marina Sirtis). Ein erneutes großes Wiedersehen, noch mehr Nostalgie. Über Umwege kann dort endlich die genaue Herkunft Sojis herausgefunden werden, um mehr über die Androiden und ihre vermeintliche Verschwörung gegen die Menschheit zu erfahren. Ansonsten ist auch dieser Schlenker vor allem eines: dramaturgisch öder Fan-Service.

Auf Coppelius wird es vielleicht doch noch spannend

Und so nehmen nun nicht nur die Romulaner, sondern auch die „La Sirena“ schließlich Kurs auf Sojis Heimatplaneten „Coppelius“, wo es zuletzt doch noch zu so etwas wie Spannung kommt. Und zu einem weiteren Gastauftritt, natürlich: Dieses Mal von Data-Darsteller Brent Spiner, der in die Rolle Dr. Altan Inigo Soongs, dem angeblichen Sohn des Schöpfer Datas, schlüpft. Ja, man hat wirklich keine erzählerischen Mühen gescheut, um so viele Altstars wie möglich unterzubringen.

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Wesentlich wichtiger jedoch: Ein Showdown zwischen Romulanern, Künstlicher Intelligenz und den Menschen bahnt sich an. Angetrieben von einer vernichtenden Weissagung, wollen die Romulaner den Androiden den Gar ausmachen, die haben es wiederum auf die „Organischen“ abgesehen, die ihre Existenz nicht respektieren wollen.

Picards diplomatisches Angebot, die Androiden zur Föderation zu bringen und für ein Umdenken im Umgang mit ihnen zu streiten, wird abgelehnt. Um ihrer künstlichen Allianz den Zugang zu ermöglichen, macht sich Soji daran, eine Barke zu öffnen und eine romulanische Armee von 200 Raumschiffen bringt sich gegen die „La Sirena“ in Stellung. Die Situation scheint aussichtslos, doch Picard wäre nicht Picard, wüsste er den Tag nicht doch noch zu retten: Mit viel Empathie und rhetorischem Talent kann er Soji schließlich einwickeln. In allerletzter Minute natürlich. Um den großen Schaden doch noch abzuwenden. Ganz ohne Tote.

Picard wird vom Anführer zum Messias erhoben

Ein Finale, das zur charismatischen Führerrolle passt, auf die Picard auch in der zweiten Hälfte der Staffel reduziert wird. Durch seinen Märtyrertod wird seine Idealisierung sogar noch auf die Spitze getrieben. Denn wie sich rechtzeitig vor Staffelende herausstellt, weist Picards Gehirn eine Anomalie auf, die letztlich zu seinem Tod führen wird. Die Tatsache, dass ihm sein Schicksal schon längst bekannt ist und er sich dennoch höheren Aufgaben widmet, gleicht fast schon mehr einem Messias als einem Anführer.

Allerdings ist die Serie nicht konsequent genug, um sich von ihrer zentralen Figur zu trennen. Die Todesdrohung ist nur Effekthascherei. Zufälligerweise steht ein „Golem“, ein Ersatzkörper auf den menschliches Bewusstsein übertragen werden kann, schon bereit – genau wie die zweite Staffel. Kurz nach seinem vermeintlichen Ableben darf Picard á la Space-Jesus wieder auferstehen.

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Dass eine andere Figur in der Fortsetzung der Serie eine tragende Rolle hätte übernehmen können, ist nicht allein wegen des Titels schwer vorstellbar, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass alle anderen Charaktere im Licht des perfekten Picard auf die Größe von Pappkameraden schrumpfen. Eine Perfektion im Sinne uneingeschränkter charakterlicher Integrität, nicht einer Unfehlbarkeit im Handeln, wohlgemerkt. Denn natürlich wird seine Vollkommenheit immer wieder getestet – macht er Fehler, weiß er jedoch stets, wie diese mit Großmut auszubügeln sind. Dasselbe gilt übrigens auch für die Föderation und die zugehörige Sternenflotte. Zeigte sie sich zu Beginn der Staffel noch kaltherzig, weiß sie sich im allerletzten Moment doch noch auf ihre Werte zu besinnen. Sie rückt an, um Coppelius gegen die Romulaner zu verteidigen und das Verbot von Androiden wird aufgehoben.

Fatalistische Botschaften statt kosmopolitischer Utopie

Im Laufe der zweiten Hälfte wird dieser Vollkommenheit des Guten allerdings ein ebenso karikatureskes Böses gegenübergestellt. Während die Aggression der Androiden aufgrund ihrer akuten Bedrohung durch die Menschen zumindest einen Grund vorweisen kann, entpuppen sich die Romulaner nämlich zunehmend als Inkarnation des Niederträchtigen. Es scheint, als würden sie in der Föderation eben nicht allein aus xenophoben Motiven heraus auf Ablehnung stoßen, sondern aufgrund einer langen Gewaltgeschichte. Damit wird ein unüberwindbarer Graben zwischen den Spezies aufgemacht, der so gar nicht zum Potenzial des „Star Trek“-Universums, positive gesellschaftspolitische Signale auszusenden, passen mag. Derartig unüberbrückbare Zerwürfnisse zwischen den Völkern stehen im Konflikt mit einer vielgepriesenen kosmopolitischen Utopie, mit der man auch als Nicht-Trekkie vertraut ist.

Die Tatsache, dass die scheinbar wenigen Ausreißer unter den Romulanern ausgerechnet als Diener Picards in Erscheinung treten – gemeint ist sowohl das Hauspersonal im familieneigenen Château als auch der unterwürfig gezeichnete Elnor – entschärft diese Botschaft nicht. Der einzige Lichtblick der Spezies, Narek, der sich im entscheidenden Moment auf die Seite des Guten stellt, wird sobald er sein Opfer erbracht hat, von der Serie vollkommen außer Acht gelassen. Sein Schicksal bleibt unbekannt. Egal, denn die Ordnung wurde wiederhergestellt. Und – Picard sei Dank –  bleibt alles beim Alten.

Amen.

„Star Trek: Picard“, Staffel 1, seit 24. Januar 2020 ist jeden Freitag eine neue Folge auf Amazon Prime Video erschienen.

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