Summer Jam ’88, Loreley, Freilichtbühne


Das Reggae Sunsplash Festival hat nun schon Tradition. All diejenigen, die nach dem Tode Bob Marleys auch den Tod des Reggae vermuteten, strafte der Erfolg dieser Festivals Lügen. 13000 strömten aus der ganzen Bundesrepublik herbei. Für die Nordlichter ein willkommener Stop auf dem Weg in den sonnigen Süden.

Zwei Tage nur Reggae hält aber auch der stärkste Rasta nicht aus. So bot das Programm zusätzlich noch Abstecher in andere musikalische Regionen: James Brown versprach stampfenden Soul, King Sunny Ade ausgelassene JuJu-Music und Kassav‘ hüpfenden Zouk. Das Reggae Sunsplash hatte sich zum Summer Jam gemausert. Nur das Summer wollte nicht so recht passen. Dicke Regenwolken und blauer Himmel gaben sich die Klinke in die Hand. Als bei Kassav‘ zum erstenmal die Sonne durch die Wolken brach (zuvor hatten Phase IV und Rhapsody erfolgreich gegen den Nieselregen angespielt), jubelte das Volk, als sei Bob Marley persönlich zur Erde zurückgekehrt.

Die 15köpfige Truppe von den französischen Antillen rief mit ihrer explosiven Mischung aus quirligen Rhythmen, mitreißenden Melodien und fetzigen Bläsersätzen die Sonne förmlich herbei. Zwei Tänzerinnen in ständig wechselnden Kostümen zogen mit aufreizenden Bewegungen alle Blicke auf sich. Kurzum: Kassav‘ boten eine farbenprächtige Show für Augen und Ohren. Der grandiose Sound-Cocktail aus karibischen, afrikanischen und westlichen Musikelementen, in Frankreich längst ein Hit, könnte sich auch hierzulande viele Freunde machen. So eingestimmt, nahm das buntgemischte Publikum — Birkenstock-besohlte Alternativos und Dreadlockstragende Rastas tanzen einträchtig neben schwarz gelederten wavern und imagelosen Pop-Fans — die Absage des Roots-Rappers Yellowman gelassen hin. Er war irgendwo zwischen Jamaika und Loreley verschütt gegangen.

Dafür versprachen Sly Dunbar und Robbie Shakespeares „Rhythm Killers“ Reggae vom Feinsten. In einem eindreiviertelstündigen Set bewiesen sie, wie breitgefächert ihr Verständnis von Reggae ist: Ob im federnden Dub-Stil (als Grundlage für freie Improvisationen der drei Bläser) oder Roots-orientiert (zur Begleitung des jamaikanischen Sängers Donavan), ob melodieverliebt (zur Unterstützung des Gesangstrios Foundation) oder im knallharten Hip-Hop-Beat (zu den endlosen Versen der New Yorker Rammelzee’s Gettovett’s Rappern): Stets unterstrichen Sly & Robbie ihren Ruf als beste Reggae-Rhythmus-Section.

Damit auch gar keiner vergaß, welcher Ruf James Brown vorauseilt, ließ sich der Altmeister als Soul-General ankündigen. Seine 12 Mann und eine Frau starke „Las Vegas“ — Gruppe heizte mit einem prächtigen Klang-Teppich ein, bevor der Godfather die Bühne erklomm. Prompt groovte die Truppe nur noch auf Sparflamme, damit der alte Herr erstmal in die Gänge kam. Nur langsam steigerte sich „Mr. Dynamite“ von Stück zu Stück und verband geschickt neues Material mit alten Klassikern, knalligen Funk mit schmachtenden Soul-Balladen. Bei „It’s A Man’s World“ wurde die Loreley zur Kirche und James Brown zum Gospel-Prediger in schwarzer Soutane.

Der zweite Tag servierte den Tanzbesessenen dann fast nur noch Durchschnittskost. Weder der Headliner Ziggy Marley mit seinem glattgeschhffenen Jungbrunnen-Reggae noch die britischen Burning Spear, die mit Tempowechseln, Pop-Melodien und viel Technik aufwarteten, boten Überraschendes. King Sunny Ade & His African Beats schössen gar am Ziel vorbei: Die 20 Musiker aus Zaire

Generationswechsel! Ziggy Marley versuchte sich in DEN FUßSTAPFEN DES vaters. und auch Robbie Shakespeare gab dem Nachwuchs eine Chance entzündeten ein virtuoses, rhythmisches Feuerwerk, dem das Gros des Publikums kaum zu folgen vermochte. Für Reggae mögen die Hüften der Westeuropäer noch geeignet sein, bei JuJu-Music bleiben die steifen Knochen auf der Strecke.

Als eindeutiger Tagessieger entpuppte sich das jamaikanische Stimmbandwunder Eek-A-Mouse. Auf monotoner Dub-Basis zelebrierte der hochaufgeschossene Sänger das Oktaven-rauf-und-runter-Spiel wie kein anderer. Das Publikum klebte an seinen Lippen. Er ist einer jener Musiker, die man nur mit einem gezielten Pistolenschuß von der Bühne holt.

Soweit kam es natürlich nicht. Denn mit Gewalt oder Ausschreitungen hatte das Summer Jam nichts zu tun. Überall, wo man hinblickte, nur fröhliche, tanzende Menschen, umhüllt von sanften Haschischwolken. Hier bedeutete Festival wirklich noch Festival.