Tears For Fears


Pure Handarbeit. Sieben Jahre und eine Urschrei-Therapie brauchte das britische Pop-Duo, um alle Synthies, Sequenzer und Sampler auf den Sperrmüll zu werfen. Sylvie Simmons durfte am derben Musikerschweiß des neuen Bio-Albums SEEDS OF LOVE schnuppern

Irgendwie haben sie es immer geschafft, dem Trend einen Schritt vorauszueilen. 1981 begannen sie als „zwei junge, etwas schwul aussehende Typen mit Synthesizern“, als der Markt nach eben jenen jungen, etwas schwul aussehenden Tastendrückern gierte. Ihr zweites Album, SONGS FROM THE BIG CHAIR. war ein „rockiges, bewußt auf Erfolg getrimmtes Album „, saubere, hitträchtige Musik – und neun Millionen Yuppies griffen zu.

Heute nun finden wir sie, wieder voll im Trend, an der Spitze einer neuen „organischen“ Bewegung, einem musikalischen „Zurück zur Natur“; schließlich haben sie auf ihrer neuen Platte SEEDS OF LOVE „ihre Sequenzer gegen Seele und die Emulatoren gegen Emotion eingetauscht“, wie es in ihrer Biografie blumig heißt.

„Sicher, wir haben uns im Lauf der Jahre verändert“, sagt Curt Smith, Jeder tut das. Das ist ein natürlicher zyklischer Prozeß, den man durchläuft. Die Leute erkennen allmählich, daß diese ganze konservative Wohlstands-Kultur unsere Umwelt zerstört. Ich glaube, daß in den 90er Jahren und bis in das kommende Jahrhundert hinein eher ein Gefühl wie in den 60ern vorherrschen wird, dieses Peace-And-Love-Gefiihl, Gemeinsamkeit. Wir haben schon vor zweieinhalb Jahren mit der Arbeit an der ersten Single, ,Sowing The Seeds Of Love‘, begonnen, aber sie jetzt zu veröffentlichen, da die Welt mehr Mitgefühl, mehr Engagement und weniger Yuppie-Mentalität braucht, ist für mich irgendwie perfektes Timing. „

Der große Wendepunkt kam für Smith und Roland Orzabal bereits sechs Monate nach Beginn ihrer Welt-Tournee zu SONGS FROM THE BIG CHAIR.

„Wir halten gerade ein großes Konzert beendet, Kansas City war total ausgeflippt, aber Roland und ich verließen die Bühne mit dem Gefühl, daß alles an uns vorbeirauschte, daß das alles wenig Ausdruckskraft hatte. Wir taten nichts weiter, als den Musikern ihre Parts zu geben – das, was sie auch auf dem Album gespielt hatten – und schränkten uns dadurch selbst ein. Weil wir auf diesem Album so viel Maschinerie eingesetzt hatten, konnten wir das Material eigentlich auch nicht viel anders bringen; Sequenzer lassen kaum Raum für spontane Ideen, sie diktieren dir jeden Song genau vor. Und nach fünf oder sechs Monaten auf Tour fingen wir an, uns zu langweilen.

Und in dieser Nacht, auf der Suche nach dem Grund unserer Unzufriedenheit, sahen wir diese trau in einer Hotelbar spielen, begleitet nur von einem Schlagzeuger und einem Bassisten – drei Leute, die ein wirkliches Verhältnis zueinander hatten und Musik spielten, die einfach unglaublich soulful war. Sie konnte damit mehr rüberbringen als wir mit einer achtköpfigen Band und all der hochgezüchteten Technologie. Sie öffnete uns wirklich die Augen, zeigte uns, was wir eigentlich tun sollten.

In jenem Augenblick brauchten wir etwas, das uns erkennen ließ, wie sehr wir mit dem Kopf im Sand steckten, daß es nötig war, wieder mit echten Musikern zu arbeiten usw., was wir auf diesem Album versucht haben. Ich glaube, dieses Mal schafften wir es, ins Studio zu gehen, die Verkaufszahlen zu vergessen und einfach zu versuchen, eine Platte zu machen, mit der wir wirklich glücklich sind. „

Im Covertext wird dieser Frau, der 35jährigen Oleta Smith, dafür gedankt, daß sie „unsere Seele geläutert hat“. Curt windet sich ein bißchen. „Ich denke, ‚zurückgegeben‘ wäre ein besseres Wort gewesen. Als wir anfingen, hatte die Musik sicher mehr Seele – nicht im musikalischen Sinn, es war kein Soul, aber sie kam mehr aus dem Herzen. Du weißt zwar, daß du das in dir trägst, aber du wirst so in Anspruch genommen von der Arbeit mit Maschinen oder einer langen Tour, dem ganzen Pop-Hype, daß du es schließlich irgendwie verlierst. „

Mit geläuterten Seelen beendeten Roland und Curt die Tour und begannen mit der Arbeit an einem „echten“‚, „organischen“ Album. Aber da sie „denselben Produzenten und dieselbe Technologie“ wie bisher verwendeten, liefen ihre Versuche ins Leere. Sie flogen einigermaßen enttäuscht zurück nach Kansas, spürten Oleta auf und brachten sie als festes Mitglied der Band nach England. Immer noch nicht organisch genug.

Schließlich „gab es einen Punkt, an dem alles den Bach runterging, jeder sauer war und wir merkten, daß wir nur weiterkommen und uns ändern konnten, wenn wir die Sache selbst in die Hand nahmen, denn ein Produzent hätte uns unweigerlich in eine andere Richtung gezogen, eine eher Business-orientierte Richtung. Deshalb dauerte es so lang – anderthalb Jahre. Die Jahre davor waren eben ein unverzichtbarer Lernprozess. Wenn wir das nicht durchgemacht hätten, wäre dieses Album vielleicht nicht entstanden. “ Curt grinst, stolz auf das Resultat – und das mit Recht.

Neben Oleta wurden an organischen Musikern Phil Collins, Pino Palladino, Simon Clarke, Manu Katche und Jon Hasseil engagiert. Sich selbst überlassen, spielten sie ihre Parts 15, 20 Mal hintereinander. Roland und Curt suchten die ihrer Meinung nach besten Teile aus und schnitten sie digital zusammen – ein besonders moderner Weg zur organischen Realität. Sie werden im November auf Tour durch England und Europa gehen, mit einer zehnköpfigen Band „und nur ein paar Maschinen. Nur so viele, daß wir mehr Spaß haben und verschiedene Versionen der Songs spielen können. „

In ihrer Anfangszeit sagten Tears For Fears einmal, daß sie nur deswegen ins Musikgeschäft gegangen seien. um genug Geld für eine Urschrei-Therapie zu verdienen, dem von Arthur Janov entwickelten System zum Lösen von Neurosen und Ängsten (Fears) durch Emotion (Tears). Haben sie nicht allmählich genug Geld verdient?

Curt zögert: „Das ist so nicht ganz richtig. Wir haben nie behauptet, mit der Musik ganz aufhören zu wollen, wenn wir genug Geld für eine Therapie hätten.“

Haben sie die Therapie denn inzwischen gemacht?

„Nein, ich nicht. Roland ist immer noch dabei. Ich habe mich oft so gefühlt, als könnte ich eine Therapie gebrauchen, aber während der letzten – drei oder vier Jahre war ich ziemlich zufrieden, und eine Therapie sollte man dann anfangen, wenn man sich schlecht fühlt: Die Barrieren sind dann nicht so stark, man dringt leichter zur Wahrheit vor.“

Ist Roland also der kosmische Teil des Duos?

„Ich würde nicht gerade sagen, daß einer von uns mit den Füßen auf dem Boden steht und der andere auf einem ganz anderen Planeten lebt, aber Roland ist tatsächlich – nicht kosmisch, ich würde sagen vergeistigt.“

Im Moment ist der vergeistigte Roland schwer mit etwas beschäftigt, das sich „Psycho-Astrologie“ nennt. Aber das zu erklären, würde wohl selbst den Rahmen eines Tears For Fears-Interviews sprengen …