Kommentar

The Beatles mit „Now And Then“: Abspannmusik nach dem Showdown?


Wie gut ist der letzte Song der Fab Four? Vor allem handelt es sich eher um eine Coda als das große Finale.

Der Preis für den Songtitel des Jahres hat „Now And Then“ ungeachtet seines Inhalts schon mal sicher, bezieht er sich doch gewitzt sowohl auf den letzten Satz, den John Lennon zu Paul McCartney gesagt haben soll: „Think of me every now and then, old friend“ und schlägt gleichzeitig eine Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit. Genauer gesagt, denn ganz genau bekommt man’s wohl nicht eingeordnet: in die Jahre 1978/’79. Zu dieser Zeit hat Lennon den Song auf seinem ikonischen weißen „Imagine“-Flügel zuhause im New Yorker Dakota-Building aufgenommen. 1994 war McCartney mit der Planung des „Anthology“-Projekts der Beatles beschäftigt und fragte Lennons Witwe Yoko Ono, ob diese noch unveröffentlichtes Songmaterial ihres Mannes habe. Sie überreichte ihm daraufhin Kassetten mit Demos zu „Free As A Bird“, „Real Love“, „Grow Old With Me“ und eben „Now And Then“.

The Beatles: Kurzfilm zu „Now And Then“ sehen

Vorletzterer sollte Platz auf Lennons posthumem Soloalbum MILK AND HONEY (1984) finden, die ersteren bildeten die durchwachsen aufgenommenen „Anthology“-Auskopplungen – „Free As A Bird“ kam damals, als Weltsensation der ersten „neuen“ Beatles-Single nach Split der Band 25 Jahre zuvor, sogar im britischen Heimatland der Gruppe in den Charts nicht an Michael Jacksons „Earth Song“ vorbei. „Now And Then“ war als Abschlusssingle anvisiert, doch dann legte George Harrison sein Veto ein; der Song sei „fucking rubbish“.

22 Jahre nach dem Tod des ach so „stillen“ Beatles erschien das Stück nun doch; am 02. November um 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Angepriesen als letzter Song der Fab Four vereint er neue Gesangs- und Instrumentalpassagen von McCartney und Ringo Starr mit archivierten Aufnahmen Harrisons aus dem März 1995. Darüber liegen Lennons mithilfe einer eigens für die Beatles entwickelten K.I. von der Klavierbegleitung und einem Brummton des Demos getrennte, nun kristallklare Vocals.

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„Now And Then“ berührt und wärmt

Natürlich stellt „Now And Then“ eher eine Coda als das große Finale des gewaltigsten Werks populärer Musik dar. Abspannmusik nach dem Showdown. Die herbstliche Klavierbegleitung legt es nicht darauf an, uns wie eine saisonal bedingte Windböe umzufegen. Aber sie berührt uns. Die wie Schlingpflanzen sich durchs Laub bohrenden Gitarrenlicks umranken uns, geben Halt. Satte Streicher wie aus „Eleanor Ribgy“ wärmen uns wie Holzscheite im Kaminfeuer. Und um ganz sicher zu gehen, dass wir’s auch wirklich gemütlich haben, hüllt Lennon uns in eine Kuscheldecke aus Zeilen wie „I know it’s true/It’s all because of you/And if I make it through/It’s all because of you“. Die Lyrics sind autobiografisch: Lennon verarbeitete damals sein 18 Monate währendes „Lost Weekend“ ab 1973, während dem er sich May Pang und dem Alkohol hingab und von Ono getrennt lebte.

In einer von Horror, Angst und Unvorhersehbarkeit geprägten Zeit, in der die Welt hart am Abgrund steht, tun diese um Verzeihung bittenden, auf Versöhnung bedachten Phrasen, tut diese „Give Peace A Chance“-Stimme einfach gut – insbesondere im Zusammenspiel mit denen von Paul & George & Ringo im Hintergrund. „Now And Then“ ist auch aufgrund seiner Herstellung der beste Song, den man aus Onos Kassette gezaubert bekam. Litten „Free As A Bird“ und „Real Love“ noch unter Lennons LoRes-Gesangsspuren, bekommt man hier den Eindruck, als hätten alle vier tatsächlich zusammen im Studio gestanden. Vielleicht ist K.I. eben doch nicht unser Untergang – man muss sie nur sinnvoll einsetzen (solange sie das noch mit sich anstellen lässt).

Ein hübscher Tonträger ist „Now And Then“ dank der stilvoll von US-Grafiklegende Ed Ruscha gesetzten Letter allemal. Auf der B-Seite der offiziell als Doppel-A-Seite geführten Single wartet „Love Me Do“, die erste Single der Beatles. Der Kreis schließt sich und bleibt doch immer offen für zahllose Folgegenerationen, die in seiner Mitte tanzen, lieben, lernen, lachen und weinen werden.

Apropos Kreis: „Herr der Ringe“- und „Get Back“-Regisseur Peter Jackson hat das Video zum Song gedreht. Das gibt’s dann morgen.

PS: Bock, sich mal richtig alt zu fühlen? Der zeitliche Abstand von „Now And Then“ zu „Free As A Bird“ ist erheblich größer als der von „Free As A Bird“ zum Ende der Band.

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