The Notwist, Berlin, Volksbühne


Herrlich sind sie sowieso, aber ein bisschen mehr Kraft wäre nett gewesen beim ersehnten Konzert der Weilheimer Indie-Institution. Aber das sind Marginalien...

140 Euro? Für ein Ticket? Schlimm, einerseits. Andererseits: Marktwirtschaft funktioniert, wie gute Musik auch, als Ökonomie der Knappheit. Kaum eine andere Band dürfte diese Erkenntnis derzeit so konsequent verinnerlicht haben wie The Notwist. Als im Januar 2002 ihr Album neon golden veröffentlicht wurde, galten sie auf Anhieb als die vielleicht beste, mit Sicherheit als die wichtigste deutsche Band. Nicht nur, weil hier der Rock und das Elektronische aufs Zärtlichste zueinander fanden, sondern auch, weil diese schlaue neue Klangwelt von Typen präsentiert wurde, die fast ebenso dezent und schlau und uneitel waren wie ihre Musik. In den folgenden, satten sechs Jahren beteiligte sich die Gruppe an allerhand Projekten, mehrte sich, schrumpfte zum Trio aus den Gitarrengebrüdern Acher nebst Elektroniker Martin Gretschmann alias Console, musizierte mal hier, mal dort, und ließ sich alle Zeit der Welt für das immer sehnlicher erwartete Nachfolgealbum.

In diesen sechs Jahren wandelten sich The Notwist in das, was man ein knappes Gut nennt. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an the devil, you + me. Und entsprechend den Gesetzen der Ökonomie war das Konzert in Berlin seit Wochen ausverkauft, gab’s auf dem Schwarzmarkt vor der Volksbühne Tickets für 140 das Stück. Ein Hype, dem die Band eigentlich unmöglich gerecht werden konnte, und der ihr sicher auch nicht recht gewesen sein dürfte. Es war schon schwer genug, neon golden zu toppen; aber „roppen“, also sich selbst immer wieder übertreffen, ist auch nur eine jener kapitalistischen Kategorien, die für die Kunst keine Geltung haben.

Wie aber müsste der ideale Ort für ein Notwist-Konzert aussehen? Wir haben keine Ahnung, wissen aber, wie die Volksbühne aussah an diesem Abend. Hinten, in der Tiefe des Raums auf der Bühne, drängten sich auf einem Podium die Musikanten; davor, noch immer auf der Bühne, drängten sich die hartgesotteneren Fans in einer Art Moshpit; es folgte toter, weil abschüssiger Raum, von dem aus nur Hinterteile, mitnichten aber die Musiker auf ihrer Bühne einsehbar waren — desgleichen in den ersten Reihen der Bestuhlung, pardon: Besesselung. Erst mit den im Halbrund aufsteigenden Sitzreihen wurde der Blick wieder besser, wobei vereinzelt tatsächlich mit dem Opernglas nachgeholfen wurde. Dafür ließ der Klang nichts zu wünschen übrig, wie ein herrlich knackiges „Pick Up The Phone“ ganz am Anfang unter Beweis stellte. Die Band, live zum Quintett angewachsen, arbeitete sich gewohnt unprätentiös und zunächst schweißfrei durch ein überraschend nostalgisches, neon- golden gefärbtes Repertoire.

Es dominierten alte Bekannte, Leider nicht immer so originell interpretiert, wie man sich das gewünscht hätte. So verkamen der subsonische Originaldub und der peitschende Elektrobeat von „This Room“ zu recht kümmerlichen Simulationen ihrer selbst. Eine Enttäuschung, die ein episches „Pilot“ aber gleich wettmachte. Wie ruhig und fein sich das Underacting von Markus Achers Stimme gegen die allgegenwärtige Energie behauptete! Wie drollig Console dort, wenn er mal nicht über Knöpfchen brütete, zwei schnurlose Nintendo-Controller mit offenbar irgendwie klangrelevanten Bewegungssensoren durch die Luft schwang! Und mit welcher übersprudelnden Spielfreude da der neue Schlagzeuger Andi Haberl ans Werk ging!

Vor allem die verhältnismäßig schüchternen Vertreter der neuen Platte überraschten denn endlich auch mit druckvollen, interessant prononcierten Arrangements. „Good Lies“, „Gloomy Planets“ und das Titelstück erstrahlten sofort in einem Glanz, den sie auf CD erst nach mehrmaligem Hören preisgeben; wobei ausgerechnet das famose „On Planet Off‘ dem Studioeindruck wieder hinterherhinkte, weil die Beats nicht annähernd so fett kamen, wie sie sollten. So klanglich homogen sich Songs von the devil, you + me, neon golden und shrink (verschlafenes „Day 7“, mitreißendes „Chemicals“) aneinanderreihten, so aufputschend anders wirkten die sparsam gestreuten Reminiszenzen an die Hardcore-Frühphase der Band. Davon hätte man sich mehr gewünscht, von der Kraft und der Herrlichkeit, für das aktuelle Album – und das Konzert sowieso, zumal spätestens bei den Zugaben mancher hoffte, sie würden es doch noch einmal krachen lassen. Sie haben es sein lassen und auch dieser Versuchung widerstanden. Künstler halt.

Fest steht: Die Band ist auf der Bühne genauso maulfaul wie im Interview. Das beruhigt. Über ein sporadisch ins Mikro genuscheltes „Danke!“ gingen die Ansagen nie hinaus. Und auch das war eigentlich okay so.

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