Interview

Viagra-Boys-Sänger Sebastian Murphy: „Ich liebe es, wenn Dinge in der Übersetzung verloren gehen“


Die schwedische Punkband Viagra Boys ist bekannt für ihren lauten Sound und ihre zynischen Texte. Wir sprachen mit Sänger Sebastian Murphy über Verschwörungstheorien, Memes, Comics, Kunst und Politik, ein mögliches Country-Soloalbum sowie über ihre neue Platte CAVE WORLD, die am 8. Juli erscheint.

Schweden ist mitunter für aalglatte Pop-Musik bekannt. Eingängige Songs, ohne Ecken und Kanten, die Welt-Hits werden. Die Punkband Viagra Boys aus Stockholm macht das Gegenteil. Ihr Debütalbum STREET WORMS 2018 war laut, selbstironisch und ließ eine treue Fangemeinde entstehen. Das Musikvideo zu ihrer Single „Sports“ erreichte mehr als vier Millionen Klicks auf YouTube.

Viagra Boys liefern wuchtigen Vorgeschmack auf neues Album „CAVE WORLD“

Darauf folgte 2021 WELLFARE JAZZ – ein Album, das neben der üblichen Chaotik auch ein Prise Romantik mit sich brachte. Zum Abschluss gibt es sogar ein Duett. Gemeinsam mit der australischen Punksängerin Amy Taylor, coverte Viagra Boys-Sänger Sebastian Murphy den Country-Song „In Spite Of Ourselves“. Ein bizarres Stück – typisch für die Band. MUSIKEXPRESS sprach mit Sebastian Murphy über das neue Album CAVE WORLD, Memes und Impfgegner.

Oskar Carls, Sebastian Murphy und Henrik Höckert von den Viagra Boys beim Coachella Valley Music And Arts Festival 2022 (Foto: Theo Wargo/Getty Images for Coachella)

ME: Auf dem neuen Album geht es sehr viel um Verschwörungstheorien rund um das Impfen. Wie bist Du damit in Kontakt gekommen?

Ich schaue sehr viel YouTube und habe auch aus den Nachrichten sehr viel mitbekommen. Außerdem habe ich Freunde, die Impfgegner sind. Ich habe mich immer schon für die Ideen dieser Menschen interessiert.

ME: Gibt es in Schweden eine große Impfgegner-Szene?

Sie ist nicht sehr groß, aber es gibt sie auf jeden Fall. Es gab auch ein paar Demonstrationen und Aufmärsche, aber man sieht sie nicht sehr häufig.

ME: Es geht aber nicht nur um Verschwörungstheorien. Du beziehst Dich auch auf das „Return To Monke“-Meme. Wie bist du darauf gestoßen?

Ich habe es wahrscheinlich auf Instagram ein oder zwei Mal gesehen. Ich weiß nicht warum, aber ich fand es sehr tiefgründig. Ich habe es sofort geliebt. Es geht einfach um diese Themen Evolution und De-Evolution–  diese Ideen habe alle eine eigenartige Verbindung, die ich wahrscheinlich in meinem Unterbewusstsein konstruiert habe. Einfach alles, was gerade auf der Welt passiert, hat eine komische Verbindung.

ME: Aber hat Dich das Meme wirklich angesprochen oder ist es nur eine ironische Anspielung?

Es ist ein bisschen von beidem. Ich glaube, dass all meine ironischen Anspielungen schlussendlich eine tiefere Bedeutung für mich haben. Gerade wenn ich mich länger mit Dingen beschäftige, dann bedeutet es mir schon etwas.

ME: Hast Du Angst, dass Menschen die Ironie nicht verstehen? Also, dass auch die Leute mitsingen, über die Du Dich lustig machst? 

Nein, ich freue mich darüber. Ich habe es gerne, wenn so etwas passiert, ich liebe es, wenn Dinge in der Übersetzung verloren gehen. Es ist einfach ziemlich lustig. (lacht)

Sebastian Murphy beim Coachella Valley Music And Arts Festival 2022 (Foto: Rich Fury/Getty Images for Coachella)

ME: Also machst Du einfach gerne Chaos und schaust was passiert?

Genau. Und Chaos kann schlussendlich nie ganz von den falschen Menschen adaptiert werden.

ME: In „Troglodyte“ singst Du von einem Typ Mensch, der sich nur online informiert. Wie stehst Du grundsätzlich zum Internet?

Ich bin sehr viel online. Wenn ich auf Tour bin, sitze ich häufig im Auto und schaue mir nicht nur Videos von Verschwörungstheorien an. Ich schaue Dinge an, die mich interessieren. Es ist wie dieses Sprichwort mit dem Autounfall. Es sind Dinge, wo man einfach nicht wegschauen kann. Man findet einfach sehr schnell sehr obskure Orte – ich schaue sehr oft Videos, in denen es über Geschichten geht, die im Netz spielen.

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ME: Zum Beispiel?

Ich lese sehr gerne über Personen wie Chris-Chan, oder schaue mir YouTuber an, die sich mit eigenartigen Phänomenen beschäftigen. Ich liebe zum Beispiel „Internet Comment Etiquette“, durch ihn habe ich die die eigenartige Q-Anon-Verschwörungstheorie kennengelernt. Ich erfahre die Nachrichten des Tages oft nur von ihm. „Channel 5-News“ finde ich auch sehr cool. Den Text von „Creepy Crawlers“ habe ich aus einem Interview von „Channel 5“-News übernommen.

ME: Wann habt Ihr angefangen, das neue Album aufzunehmen?

Sebastian Murphy: Eigentlich gleich nachdem unser letztes Album WELLFARE JAZZ veröffentlicht wurde. Wir haben im Januar 2021 und ein bisschen schon davor in einem sehr bekannten schwedischen Studio auf dem Land zehn Songs aufgenommen. Ein paar Monate später mussten wir alles noch einmal aufnehmen. In Stockholm haben wir dann sehr viel umgeschrieben. Schlussendlich sind nur drei oder vier Songs gleichgeblieben.

ME: Was unterscheidet CAVE WORLD von dem Vorgänger WELLFARE JAZZ?

Wenn es um das Songwriting geht, ist CAVE WORLD weniger persönlich. Ich schaue eher was in der Welt um mich herum passiert, während es auf den ersten zwei Alben um mich und meinen Bullshit gegangen ist. Musikalisch ist es ein bisschen offener. Das Album hat unseren Sound, aber wir mischen ihn auch mit anderen Genres.

ME: Hast Du einen Lieblingssong auf dem neuen Album?

Vielleicht „Big Boy“ oder „Return To Monke“ oder „Troglodyte“. Das wird sich über die Zeit wahrscheinlich verändern.

ME: Fans hofften, dass es auch einen Country-Song auf dem Album geben wird, aber das ist leider nicht der Fall. Warum?

Mir tut der Rest der Band leid. Ich glaube, sie stehen nicht so sehr auf Country wie ich und ich will sie nicht mehr damit nerven. Ich werde meine Ideen vielleicht für eine Solo-Album sammeln und eine traditionelle Country-Platte machen. Dann müssen sich die anderen Boys nicht damit auseinandersetzen.

ME: Habt Ihr Euch eigentlich alle gemeinsam darauf geeinigt, dass es auf dem neuen Album um Impfgegner gehen soll?

Nein, die anderen haben nichts mit dem Songwriting zu tun. Wir arbeiten alle bei der Musik zusammen, aber wenn es um den Text geht, warten alle darauf, was ich vorbereitet habe. Ich schreibe einfach einen Song und dann sagen sie meistens: „Um was zur Hölle geht es da?“ Aber ich würde nie etwas machen nur um sie zu nerven.

ME: Zum Video zu „Punk Rock Loser“: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, Dich als Cowboy zu verkleiden?

Der Regisseur hatte die Idee und wusste genau wo wir das Video filmen sollten. Mein Beitrag war der bescheuerte Tanz. Zu der Zeit habe ich mich sehr viel mit TikTok-Tänzen beschäftigt und habe mir gedacht: „Die sind echt dämlich“. Aber dann wollte ich eben auch einen TikTok-Tanz machen.

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ME: Wird es noch mehr Musikvideos geben?

Für das Album wahrscheinlich nicht, nein. Aber für das nächste Album dann.

ME: Das Country-Album?

Ja, genau! (lacht)

ME: Du hast einmal gesagt, dass Du nicht gut bist, wenn es um politische Kommentare geht. Hat sich das verändert?

Hm, vielleicht versuche ich ein bisschen besser zu werden. Ich hatte lange Angst über Politik zu reden, weil ich immer befürchtet habe, etwas Falsches zu sagen. Inzwischen ist es mir egal. Mir ist klar geworden, dass alles um mich herum politisch ist. Sich nur um andere Menschen zu kümmern, ist mittlerweile ein politisches Statement. So lange es nicht erzwungen wird, lass ich es jetzt einfach passieren.

„Man sollte niemals Dinge machen, weil es andere Leute von einem erwarten“

ME: Du hast in dem Interview auch gesagt, dass Bands ihre politischen Ansichten nicht in ihre Musik einfließen lassen müssen. Stimmst Du dem noch zu oder hat sich das auch verändert?

Ich glaube nicht, dass man das als Band machen muss. Man kann einen guten Song über alles schreiben – zum Beispiel darüber, dass man einen Hamburger isst. Ich hasse diese Einstellung, wenn Leute sagen: „Du hast eine Plattform und Du musst etwas zu diesem Thema sagen“. Nein, du musst einfach machen, was sich für dich gut anfühlt und das ist alles. Man sollte niemals Dinge machen, weil es andere Leute von einem erwarten.

ME: Habt Ihr jemals von einem Label Druck in dieser Hinsicht verspürt? 

Nein, niemals von den Plattenfirmen. Aber ich bin mir sicher, dass es Leute in meinem Umfeld oder in der Musikszene gibt, die sagen: „Ihr müsst dies und jenes machen“. Aber ich muss genau gar nichts machen. Ich schreibe Songs, worüber ich will. F*** you.

Sebastian Murphy mit den Viagra Boys beim NOS Primavera Sound Festival in Porto. (Foto: Diogo Baptista/SOPA Images/LightRocket via Getty Images)

ME: Hast Du das Albumcover selbst gezeichnet und was war die Idee dahinter?

Ich habe ein paar Ideen gesammelt und habe dann meine Freundin gefragt, ob sie es machen kann. Sie zeichnet Comicbücher und ist einfach viel besser als ich, wenn es um visuelle Dinge geht. Das Cover ist sehr cool geworden.

ME: Wirst Du von Bildern inspiriert, Musik zu schreiben oder umgekehrt?

Ein bisschen von beidem. Wenn ich Songs schreibe, zeichne ich oft auch blöde, kleine Bilder. Ich bin auf jeden Fall sehr stolz, dass ich für das neuen Album eine eigene Welt erschaffen konnte, das wollte ich schon seit STREET WORMS machen. Damals habe ich so eine Fantasie-Welt mit Fröschen und Geheimagenten für das Album erfunden. Mir hilft das sehr beim Storytelling.

ME: Wie schaut denn CAVE WORLD aus?

Da sind viele Höhlen, viele Computer und Menschen, die sabbern, eine riesige Stirn haben und mit Affen kämpfen. Und Menschen in Supermärkten, die Aufstände anzetteln. Es ist eine chaotische Welt. Aber ich werde in ein paar Monaten noch etwas veröffentlichen, wo man mehr von dieser Welt sehen kann.

Viagra Boys live in Deutschland 2022:

  • 7. Dezember 2022: Astra Kulturhaus Berlin
  • 8. Dezember 2022: Substage Karlsruhe
Theo Wargo Getty Images for Coachella
Rich Fury Getty Images for Coachella
SOPA Images LightRocket via Getty Images