Viva Punk – so hab ich’s erlebt


Deutschlands letzter echter Punk-Rocker Campino erzählt, wie das war, lange bevor es Die Toten Hosen gab.

März 1977 -— in den Ferien zu Besuch bei der Großmutter in einem kleinen Vorort von London. Fernsehen, soviel man wollte; wunderbare Cream-teas, Kulturprogramm in der Innenstadt von Madame Tussaut bis zu den „Towers of London“. Wie in all den Jahren zuvor…

Dann kam der Tag, der mein Leben veränderte. Mein großer Bruder John holte mich ab, um mich aus der Langeweile zu erlösen und mit ihm ein paar Tage in Brixton zu leben. „Schon mal in ’nem Rock-Konzert gewesen?“ – „Nö.“ -— „Na, dann zieh Dich warm an, heute ist es soweit.“ Am selben Abend ging es die Stufen hinunter zum „Rockgarden“, wo ich die erste Band meines Lebens live erlebte: „The Count Bishops“. Sie waren höllisch laut, voller Energie, und ich bekam einen Schauer nach dem anderen. Um die hundert Zuschauer drehten völlig durch, stiegen auf Tische, krachten durch Stühle, tanzten Pogo. Alles war da: Hippies, Ausgeflippte und so ungefähr 40 Punks in totaler Eintracht. Und mittendrin ich — ein ordentlich gekämmter 14-jähriger Gymnasiast, der von nichts eine Ahnung hatte. Nur eines war mir Idar: Das hier ist das Ding. Hierfür lohnt es sich zu leben …

Am nächsten Tag wurden sämtliche Plattenläden der Stadt abgeklappert, auf der Suche nach irgendwelchen Punk-Singles und allen Bands aus diesem Umfeld -— ein Programmpunkt, der für viele Jahre ein Hauptbestandteil jeder London-Reise werden sollte. ‚New Rose‘ von den „Damned“, ‚Pretty Vacant“ von den „Sex Pistols“, aus Versehen eine Tom Petty-Single (immerhin mit farbigem Vinyl) —- das alles war die Spitze eines riesigen Eisbergs.

Zurück in Deutschland wurde die Veränderung in mir zu meiner Freude zur Kenntnis genommen („Junge, wie siehst Du schon wieder aus. Kämm Dich, siehst Du nicht, daß die Hose ein Loch hat? Du bist so negativ… usw. usw.“). In Düsseldorf hatte sich relativ schnell eine Punk-Szene im Ratinger Hof gebildet, wo man nichts bestellen mußte, wenn man kein Geld hatte. Das „Rock on“, ein von Vinyl-Freaks geführter Schallplattenladen, der wöchentlich mit Raritäten aus London beliefert wurde, entwikkelte sich zum lebenswichtigen Treffpunkt für alle Vinyl-Adicls. Tagsüber noch der Schule stundenlang im „Rock on“ rumhängen -— wenn man nicht sowieso den ganzen Tag lang blau gemacht hatte -— und abends in den Ratinger Hof, das war für die nächsten Jahre der Tagesablauf. Berlin, Hamburg und Düsseldorf -— hier lief am meisten ab, und sehr fix kannte man sich untereinander, denn wenn schon mal eine englische Band irgendwo in Deutschland auftrat, war kein Weg zu weit, und man traf immer wie der auf die selben Gesichter. Was uns damals alle miteinander verbunden hat, hatte viele Gründe. Natürlich war es hauptsächlich diese wütende, krachige und ultralschnelle Musik und die Aussage der Texte. Es war ein einziger Protest gegen Langeweile, Routine und gedankliche Stumpfheit. Man war gegen die Rock-Dinosaurier und für kleine Eintrittspreise, Dilettantismus wurde groß geschrieben. „Do it“ – „Mach es selbst“ war die Religion, und wer nicht in einer eigenen Band war, wurde Fonzine-Schreiber oder war sonstwie aktiv. Aus der puren Provokation und der Lust zu schockieren, war inzwischen viel mehr geworden. Es hatte sich eine klare Ideologie gebildet, und die war nicht nur „No fun“ -— ganz im Gegenteil.

Doch das Glück war nicht von langer Dauer… Schnell stieg die Industrie ein als sie ahnte, daß die Punkbewegung das „Riesending“ werden könnte. Mode wurde kreiert, Verhaltensregeln wurden aufgestellt, mit Plattenverträgen wurde um sich geschmissen. Es kam wie es kommen mußte: Punkrock wurde zu einem toten Furz erklärt und Anfang 1979 galt in England die ganze Sache als vergessen und begraben. Die, die Punk ohnehin nur als Phase angesehen hatten, die Trendsetter, die Modefreaks und die Wellenreiter waren wieder weg und das sprach sich auch in Deutschland rum. Wer 1982 noch als Punk sein Glück versuchte, galt als hoffnungslos zu spät, daneben und dumm.

Ich hatte damals schon 3 1/2 Jahre als Sänger von ZK auf dem Rücken -— einer Fun-Combo, für die Johnny Moped Gott, Captain Sensible der Papst und Bruce Springsteen der Teufel war. Wir hatten uns gerade aufgelöst, aber um mich war es geschehen: Zu fünft in einem kleinen PKW, die Gitarren auf’s Dach geschnallt, mit Wochenend-Tarif 1.800 km in 3 Tagen fahren um Konzerte vor 50 bis 120 zahlenden Zuschauern zu geben, Held zu sein für ein Wochenende, bevor einen das Leben wieder einholte, darauf wollte ich nicht mehr verzichten. Also rief ich damals meine vier besten Freunde an und wir nahmen den Kampf wieder auf…

Unser Weg von einer Lieblingsband der Hausbesetzer-Szene bis bin zur ausverkauften Westfalenhalle in Dortmund war sehr lang -— und vieles, was heute bei uns anders ist, hat sich nicht über Nacht verändert, sondern in einem andauernden Entwicklungsprozess. Was wir versucht haben von damals hinüberzuretten, sind gewisse ideologische Werte, unser Selbstverständnis und die Tatsache, daß wir uns selbst nie zu ernst genommen haben. Wir kennen jede Toilette dieses Landes, die sich „Live Club“ nennt, und haben den Geruch noch deutlich in der Nase. Aber es wäre Selbstbetrug noch so zu tun, als sei man derselbe wie vor 12 Jahren. Wir waren damals ein Paradebeispiel für erfolglose, verlierermäßige Punks, die trotzdem viel zu lachen hatten — far from home and far from talent… das können wir — ob wir wollen oder nicht, heute nicht mehr für uns in Anspruch nehmen. Aber vielleicht sind die Hosen ja heutzutage wenigstens so weit gekommen, daß sie für sich stehen -— nicht mehr und nicht weniger -— und sich nicht hinter dem Begriff „Punk“ verstecken müssen.

Wenn ich heute in den Zeitungen lese: „Punk kommt wieder…“, dann muß ich milde darüber lächeln. Nur weil ein Modedesigner seine Models auf fetzig trimmt und ruft: „Im Sommer trägt man wieder Punk-Look!“, und Guns N‘ Roses ihre Vergangenheit mit einer verklärten Punk-Erinnerung [was zum Teufel hat „Nazareth“ mit Punk zu tun?] bewältigen, werde ich noch nicht nervös. Jede von den Medien vorhergesehene musikalische Revolution ist eine künstliche und zum Scheitern verurteilt. Eine Bewegung mit richtiger Power wurde von den Medien bisher noch immer viel zu spät erkannt und nicht zu früh … aber Gott sei Dank entscheiden die Kids ja immer noch selbst wie es weitergeht. Jeder Generation ihre eigenen Helden, daran sollte niemand rütteln. Ich selbst werde das auch nicht tun, versprochen …