Von Motorrädern Und Superschlitten


Diese Serie basiert auf Interviews mit jugendlichen Straftätern. Namen, Ort lind Zeit wurden von der Redaktion bewußt geändert, um die Anonymität zu erhalten.

Diese Serie basiert auf Interviews mit jugendlichen Straftätern. Namen, Ort lind Zeit wurden von der Redaktion bewußt geändert, um die Anonymität zu erhalten.

Uwe ist gerade nach Hause gekommen, will sich umziehen, da klingelt es. Seine Mutter öffnet die Tür, gleich darauf steht sie bei ihm im Zimmer: „Kannst du mal kommen?“ Sie sieht verstört aus, und Uwe ahnt nichts Gutes. Im Wohnzimmer sitzt ein Beamter der Polizei. Jetzt hatten sie ihn also erwischt. Irgendjemand muß ihn und seine drei Freunde verraten haben. Aber erst einmal wollte er so tun, als wisse er von nichts. Doch der Beamte nennt Zeugen, und Uwe beginnt zu stottern. Die Sache war also aufgeflogen. Dabei hatte das Geschäft mit den in Einzelteile zerlegten Motorrädern so gut floriert. Der Jugendrichter sprach diesmal noch Bewährung aus. Doch zwei Monate später wurde Uwe wieder geschnappt. Diesmal wegen gemeinschaftlichen Autodiebstahls. Das brachte ihm mehrere Monate Jugendhaft ein.

Die Sache mit den Motorrädern war für Uwe und seine Freunde nicht nur Mittel und Zweck, um zu Geld zu kommen. Dahinter stand ganz einfach der Drang, sich so schnell wie möglich eine eigene Maschine anschaffen zu können. Alle vier wollten unbedingt in die Rockerclique ihres Ortes aufgenommen werden, aber ohne Motorrad? Was nützt die schönste nietenbeschlagene Lederkluft, wenn man noch auf einem mickrigen Moped durch die Gegend kutschiert. Die Jungs aus der Clique grinsten schon immer, wenn sie abends in ihren Lederjacken leicht verlegen in die Kneipe schlurften. Die Mopeds hatten sie schon immer einige Straßen weiter abgestellt. „Na, Uwe“, flachste Tim, „wo hast du denn deine Honda?“ und boxte ihn gegen die Schulter. „Oh, die habe ich heute gerade bestellt!“ log er und beschrieb die neue Maschine schon in allen Einzelheiten. Die Hänselei hatte er satt, also prahlte er gegen das Gelächter der anderen an. Das Motorrad mußte her! Jetzt klauten sie die Motorräder unvorsichtig von der Straße weg und verscheuerten die Einzelteile so arglos, daß es einfach auffallen mußte.

Ein kleiner Aufschneider

Uwe hat ein ungeheures Geltungsbedürfnis und damit verbunden einen Hang zum Aufschneiden. Die Tatsache, daß er sich kein Motorrad leisten konnte und mit seinem Moped nicht für voll genommen wurde, brachte ihn fast um. „Ich konnte mir ja nicht einmal das Moped leisten“, erklärt er. „Meine Eltern haben mir 20 DM Taschengeld im Monat gelassen, der Rest des Verdienstes kam aufs Konto.“ Uwe behauptet, damals als Kranführer bereits einen Monatslohn von 1500,- DM erhalten zu haben. Immerhin hat er sich damals schon mit diesen illegalen Nebengeschäften unter Wasser gehalten.

Im Gespräch macht er einen unbekümmerten Eindruck, brüstet sich im Beisein einer Sozialarbeiterin mit Autodiebstählen beachtlichen Kalibers, obwohl er nur für einen verurteilt wurde, und präsentiert eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit nach dem Motto: „Wenn ich hier schon sitze, dann muß ich wenigstens etwas Spektakuläres zu bieten haben.“

Nachwirkung der Heimerziehung

Uwe, heute 19 Jahre alt, kam als Säugling ins Heim und mit 16 Jahren wieder hinaus. Seine Mutter – neu verheiratet – hatte jetzt mehr Zeit für ihn. Doch alles, was mit Lehre zusammenhing, klappte nicht. Nach diversen Fehlschlägen habe er, wie er sagt, dann als Kranführer gearbeitet. Zuhause lief es schlecht und recht. Der neue Vater setzte ihn unter Druck und verbot Uwe den Umgang mit seinem Freund. Uwe verstand es nicht. An die Jahre im Heim hat er zwar bewußt keine negativen Erinnerungen, hatte auch keine Kontaktschwierigkeiten, doch echte Freundschaften gab es dort nicht. Außerdem hatte er die Eltern im Verdacht, daß das Geld, das sie ihm monatlich sparten, weniger ¿für ihn als für unbezahlte Raten angelegt wurde. Mit seinem Freund mußte er sich heimlich treffen, außerdem hatte er nichts imponierendes vorzuweisen. Die Clique lachte ihn aus, und er klaute verbissen für sein Motorrad. Dieser Situation setzte die Verhandlung vor dem Jugendgericht ein Ende.

Langeweile macht dumme Gedanken

Zuhause wollte er nicht bleiben. Das Jugendamt zahlte ihm die Unterkunft in einem Jugendwohnheim. Hier saß Uwe den ganzen Tag herum, fand keine Arbeit und langweilte sich zu Tode. „In dieser Situation muß man ja auf dumme Gedanken kommen“, sagt er heute. „Dann habe ich mich mit zwei Typen angefreundet, die waren in einer ähnlichen Situation. Einer von ihnen hat auch schon mal Autos geknackt.“ Der nächste Schritt war nicht schwer. Tagelang hockten sie zusammen, tauschten Erfahrungen aus und gingen erst einmal los, um die „einfachen“ Modelle nur so zur Übung aufzuknacken. Den Nervenkitzel im Nacken, schlichen sie durch dunkle Nebenstraßen, um sich „einzuarbeiten“. Und hier setzt Uwes Version ein:

Die Superschlitten

Zuerst habe man sich auf kleine Modelle konzentriert, dann sei es aufwärts gegangen. Er habe mittlerweile selbst einen klapprigen Wagen gehabt – gekauft! Wie man die gestohlenen Wagen an den Mann gebracht habe? Ganz einfach, gar kein Problem: über Anzeigen in den Zeitungen. Ist denn niemand mißtrauisch geworden? Immerhin ist es doch recht ungewöhnlich, wenn junge Typen Superschlitten verkaufen. (Uwes Schilderung hatte nämlich schließlich in Mercedes und Jaguar-Modellen gegipfelt.) „Jung? Sooo jung sehe ich doch wohl nicht aus!“ meint er fast empört. Ja, aber an der Kleidung muß man es doch gemerkt haben, daß hier keine seriösen Verkäufer am Werk waren. „Ich war immer gut gekleidet, betont Uwe. „Ich habe immer Samtjacken getragen, immer teure Hemden und gute Krawatten!“ Und die anderen hätten sich entsprechend gut ausstaffiert. Und auf die Frage, warum man sich denn um Gotteswillen gleich auf Superschlitten stürzen mußte, erklärt er erhaben, mit Kleinkram hätte man lange genug Zeit verschwendet. Die Fahrgestellnummern hätte sie säuberlich entfernt und neue eingestanzt, das sei ganz einfach. Ja, und wann hat er überhaupt seinen Führerschein gemacht? Führerschein? Ach was, fahren konnte er schon lange! „Das habe ich mir selbst ausgetüftelt“, behauptet Uwe und erzählt, daß er früher immer mit einem alten Pritschenwagen durch die Gegend gekurvt sei. Gangschaltung und andere technische Details hätten für ihn kein Problem bedeutet, das lief schon irgendwie.

Verhaftet – wegen eines Volkswagenbusses

Die gestohlenen Wagen hätten sie immer in einer gemieteten Garage in der Nähe des Heims untergebracht, vervollständigt Uwe seine Story von den Superdiebstählen. Und eines Tages hätte ein Volkswagenbus, der mit eingeschlagener Heckscheibe vor dem Garagentor stand, die Aufmerksamkeit der Polizei erregt. Der Bus gehörte einem von Uwes jungen Komplizen. In der Garage war kein Platz, weil dort ein gestohlener Wagen verborgen war. Die Polizisten glaubten, der Bus sei gestohlen und hier abgestellt worden. Ihre Nachforschungen in der näheren Umgebung führten sie schließlich ins Heim, geradewegs zu Uwe und seinen Freunden. Sie überprüften die Wagenpapiere, blieben jedoch mißtrauisch. „Wir hörten, das sei Ihre Garage. Warum stellen Sie den Wagen nicht hinein?“ fragten sie. „Es ist doch eigentümlich, einen Wagen mit eingeschlagener Scheibe im Freien stehen zu lassen!“ Das war’s. Die Polizisten bestanden darauf, daß der Wagen eingeschlossen wurde, die Drei drucksten ungeschickt herum, versuchten sich in fadenscheinigen Erklärungen und mußten die Garagentür öffnen. Dort liefen die Beamten direkt in eine hellblaue Limousine mit geöffneter Motorhaube und fielen geradezu über verstreute Werkzeugteile.

Nach der Entlassung erstmal zur Freundin

Damals waren gerade zwei Monate von Uwes Bewährungszeit abgelaufen. Jetzt hat er die Hälfte seiner Haftstrafe abgesessen und macht Pläne für die ersten Monate danach. „Ich werde erst einmal zu meiner Freundin ziehen“, meint er. „Sie besucht mich hier und macht mir keine Vorhaltungen. Aber wenn ich nochmal so einen Scheiß bringen würde, dann würde sie mich in den Hintern treten. Ich tu’s auch nicht mehr, ich hab‘ die Nase voll. Rückfällig – ich? Nie. Da kann kommen, was will, wenn ich mir mal was in den Kopf gesetzt habe, dann setz ich das auch durch! Wetten?