Walk-Walk


„Ich bin an Alben interessiert, nicht an Singles“, erklärt der schrullige kleine Herr mit Nickelbrille. „Wir koppeln überhaupt nur Singles aus, weil es von uns gefordert wird. Da suchen wir uns dann einfach die kürzesten Stücke aus. „

Und fällt das profane Wörtchen Popmusik in Zusammenhang mit seiner Band TALK TALK, dann reagiert Sänger und Chefkompositeur Mark Hollis mit entgleisten Gesichtszügen. „Um Gottes willen! Wir machen keine Popmusik. Popmusik ist Musik, die gemacht wird, damit sie populär wird. Nun ist unsere Musik zwar populär, doch dafür können wir nichts, wir arbeiten nicht daraufhin…“

Doch so unlieb ist den Dreien der gewinnbringende Spaziergang durch die deutschen Charts auch wieder nicht. So ermöglichte eine nicht unbeträchtliche Menge schnöden Mammons aus den Erlösen ihres letzten Hit-Albums ITS MY LIFE ganz andere Bedingungen für die Herstellung des bereits ebenso erfolgreichen Nachfolgers COLOUR OF SPRING. „Beim ersten Album mußten wir oft auf Synthesizer zurückgreifen, wo wir gerne Orchester eingesetzt hätten. Jetzt können wir uns das Blech und Holz in natura leisten!“

Daß eine Menge klassischer Komponisten für die neuen, melancholisch-verschrobenen Talk Talk-Stücke Pate gestanden haben müssen, wird niemand bestreiten wollen. Am wenigsten Hollis selbst: „Ich erinnere nur an ein Interview mit dem allen Strawinsky, der beschuldigt wurde, von anderen Leuten geklaut zu haben. Er antwortete nur, daß es so viele bessere Künstler als ihn gäbe, daß es wohl kein Verbrechen wäre, deren kompositorischen Leistungen nacheifern zu wollen.“

Hollis nennt als maßgebliche Inspirationen die Impressionisten der Jahrhundertwende, Bela Bartok, Claude Debussy, Erik Satie, Sibelius. Die letzte Platte, die sich Hollis privat kaufte, heißt bezeichnenderweise „The First Cuckoo Of Spring“ (Delius), und freimütig gibt er zu, mehrere Parts daraus für die Grundplaybacks von COLÖUR OF SPRING verwendet zu haben.

Der musikalische Kontrapunkt zu solch klassischen Ansprüchen liegt bei Talk Talk im schwarzen Soul. „Das ist der Schlüssel zum guten Gesang! Auch wenn bei uns naturgemäß nur weißer Soul rauskommt — Soul bleibt Soul — – und das hat was mit Singen zu tun und nicht mit Technik. „

Für seine Songs läßt sich Hollis ab und an auch von anspruchsvoller Literatur inspirieren. Leider ließen die Plattenaufnahmen dem streßgeplagten Sänger im vergangenen Jahr kaum noch Zeit für seine Lieblingsbeschäftigung:

„In den letzten Monaten habe ich nur zwei Bücher gelesen. Die ‚Ilias‘ von Homer und die Gebrauchsanleitung zu meiner Rolleiflex-Kamera.‘