„Was für eine Schande“


Eines der besten Alben des Sixties-Pop, Odessey & oracle, brachte The Zombies zwar kein Geld ein, aber einen legendären Ruf.

Der Bandname The Zombies mutet Anfang des 21. Jahrhunderts albern bis abschreckend an. Doch das Quintett aus dem Kleinstädtchen St. Albans im Norden Londons kommt auch aus einer anderen Zeit – einer Ära mit weitaus käsigeren Bandnamen wie The Swinging Blue Jeans oder The Beathovens. Und auch „beetles with an a“ und „Rollende Steine“ zeugen nicht gerade von zeitloser Cleverness, man hat sich eben nur daran gewöhnt.

The Zombies, 1961 gegründet, tingelten zunächst wie Tausende anderer Beatbands durch Clubs und Stadthallen, bevor sie 1964 einen Plattenvertrag beim Label Decca erhielten – das damals mit Spott überschüttet wurde, da es zwei Jahre zuvor die Beatles mit der Begründung abgelehnt hatte, Gitarrenbands hätten keine Zukunft. Die Zukunft der Zombies indes sah rosig aus: Bereits ihre brillante Debütsingle „She’s Not There“, komponiert von Keyboarder Rod Argent, erreichte Platz eins der US-Cashbox-Charts. Ein Traumstart. Doch Argent, Sänger Colin Blunstone, Bassist Chris White, Schlagzeuger Hugh Grundy und Gitarrist Paul Atkinson konnten daran nicht recht anknüpfen. Ihre Singles der Jahre 1965 und 1966 waren zwar allesamt gut gemachter Pop – teils mit leichtem Soul-Einschlag und durchweg mit eigenständigem Sound: Argents Keyboards spielten dabei eine prominente Rolle, und Blunstones helle Stimme war unverkennbar.

Kommerziell konnte die Band die in sie gesetzten Erwartungen jedoch nicht erfüllen. Die Zombies verkauften zwar ordentlich und tourten erfolgreich um den Globus, doch im Goldrausch der Mittsechziger war Hitparadenplatz 7 kaum mehr wert als Platz 77. Und wer nicht ganz vorne landete, wurde von der Plattenindustrie selten respektvoll behandelt. Hire & Fire war an der Tagesordnung, denn die Entscheider hatten von Pop schlichtweg keine Ahnung und hechelten den Trends chronisch hinterher: Erst wurde nach den „neuen Beatles“ gefahndet, dann nach dem „neuen Dylan“, und als die Hippieära anbrach, waren die graumelierten Herren komplett überfordert. Der 1967 auslaufende Veitrag mit Decca wurde nicht verlängert, die Band, kreativ auf der Hohe und voller Pläne, stand alleine da. Und wagte ein für damalige Verhältnisse unerhörtes Experiment: Sie plante, ihr neues Album im Alleingang zu produzieren; dieses sollte dann an eine Plattenfirma lizenziert werden, die den Vertrieb übernimmt. Heute ist das vor allem im Indie-Bereich gängige Praxis, doch 1967 sah es nach kommerziellem Selbstmord aus. Die meisten Studios waren Eigentum der Plattenfirmen, Studiozeit war immens teuer und immer zu kurz. Zudem: Plattenfirmen mit anständigem Vertriebsnetz legten wenig Wert darauf, ein Fremdprodukt zu vermarkten. Die schickten lieber Eigengewächse ins Rennen und freuten sich über eine lange Wertschöpfungskette.

Der englische Ableger der US-Plattenfirma CBS, damals gerade im Aufbau und auf der Suche nach lokalen Acts, zeigte sich dennoch interessiert. Schlagzeuger Hugh Grundy: „Wir landeten bei CBS, weil sie bereit waren, uns die Kontrolle zu überlassen. Sie setzten uns keinen Produzenten vor die Nase und gaben uns freie Hand.“ Und Geld, mit dem die Aufnahmen in Londons feinstem Studio bezahlt werden konnten. Toningenieur Peter Vince: „DieAbbey Road Studios waren bislang Künstlern vorbehalten, die bei EMI unter Vertrag standen. Keine Ahnung, wie die Abmachungen zustande kamen, aber irgendwer hatte offenbar gute Verbindungen.“

Die Produktion des neuen Albums odessey & oracle begann am 1. Juni 1967 und zog sich gewaltig in die Länge. Laut Bassist Chris White hatte die Band zwar zuvor in der „Dorfhalle von Wheathampstead“ ausgiebig geprobt, doch EM1-Acts genossen in der Abbey Road eben Priorität und blockierten die Räume. 19 Sessions waren nötig, bis das Album am 1. Januar 1968 gemastert werden konnte, zwischenzeitlich waren die Zombies ins Olympic Studio ausgewichen.

Dass die Band bei den Aufnahmen ihrer Kreativität freien Lauf lassen konnte, war letztlich ein zweischneidiges Schwert. Mochte das Album künstlerisch ein noch so großer Wurf werden, sollte es kommerziell floppen, gab es keine übergeordnete Instanz, der man die Schuld in die Schuhe schieben konnte. Es ging also um alles oder nichts. Noch bevor das Album fertig war, wurden im Herbst 1967 zwei Outtakes als Singles veröffentlicht: „Friends Of Mine“ und „CareOfCeIl44“. Zermürbt VOn den langwierigen Arbeiten und einer wechselhaften, finanziell unergiebigen Profikarriere, hatte die Band inzwischen eine stille Übereinkunft getroffen: Sollte „Care Of Cell 44“ floppen, würde man die Zombies auflösen, odessey & oracle sollte das Meisterstück werden: Ob Schlusspunkt oder endlich klar vernehmbarer Startschuss ihrer Karriere – die Zombies wollten es „so gut wie möglich machen „, wie sich Rod Argent erinnert, und „gingen mit großer Begeisterung ans Werk“.

Im Kanon der „legendären“ Spätsechziger-Alben spielt odessey & oracle bis heute die Rolle des noblen Außenseiters: pet sounds der Beach Boys und allerlei Werke der Beatles sind ebenso konsensfähig wie Pink Floyds Debütalbum und der frühe Jimi Hendrix. odgen’s nut gone flake der Small Faces schrieb zumindest dank seiner runden Plattenhülle ein kleines Kapitel Popgeschichte, und nicht einmal die peinlichen Rentenbeschaffungstourneen der verbliebenen Doors können ihren frühen Ruhm schmälern, odessey & oracle taucht zwar regelmäßig und zu recht in Bestenlisten auf, ist vom popkulturellen Allgemeingut aber dennoch weit entfernt. Dabei kann das Werk mit besagten Legenden substanziell mithalten: großer Pop, kompetent umgesetzt, sanft, melodisch, ein wenig verschroben und ausgesprochen englisch. Und doch war es das (erste) Ende der Zombies: „Care Of Cell 44“ blieb den Charts beiderseits des Atlantiks fern. Sie zogen die Konsequenzen und ver kündeten am 30. März 1968. ihre Auflösung. Das Album erschien am 19. April – und es floppte, wie erwartet, „odessey &¿ oracle hätte nicht das Ende sein sollen, sondern ein Neuanfang“ sagte Colin Blunstone später, „doch niemand schien sich dafür zu interessieren. Was für eine Schande.“

Die Songwriter Chris White und Rod Argent hatten an der Studioarbeit Gefallen gefunden, gründeten die Produktionsfirma Nexus und hegten bereits Pläne für eine neue Band namens Argent. Für die anderen drei Bandmitgheder, die keine Tantiemen kassierten, wurde es „finanziell langsam eng“ (Blunstone). Hugh Grundy versuchte sich als Autoverkäufer und Paul Atkinson als Programmierer, bevor beide bei CBS als A&R-Manager einstiegen. Atkinson sollte später Acts wie Abba, Paul McCartney und Judas Priest betreuen. Blunstone arbeitete kurz für eine Versicherung und begann später eine – erfolglose – Solokarriere. Die Zombies in der Originalbesetzung waren Geschichte.

Im November 1968 erschien in den USA eine weitere Single-Auskopplung; „Time Of The Season“, hymnischer Pop mit Hippie-Aroma und gewiss nicht der stärkste Track von odessey & oracle. Das Publikum ignorierte auch diesen Song. Im Februar 1969 koppelte die Plattenfirma „Time Of The Season“ mit einer anderen B-Seite und versuchte es noch einmal. Und endlich: Das Publikum kaufte – Platz eins in den Cashbox-Charts.

Al Gallico, der für die Zombies den US Markt betreute, konnte sein Glück kaum fassen – bis er gewahr wurde, dass der Vertrag mit CBS mittlerweile ausgelaufen war. Ein Nummer-eins-Hit ohne dazugehörige Band war nicht nur kommerziell eine Katastrophe, sondern lud auch noch Trittbrettfahrer dazu ein, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern: Eine amerikanische Amateurband nannte sich flugs The Zombies und tingelte mit „ihrem“ Nummer-1-Hit durch die Provinzclubs.

Gallico tobte, flog nach England und versuchte, Rod Argent zur Reunion zu bewegen. Der lehnte ab: „Sicher hätte man damit Geld verdienen können, doch die Zombies waren Geschichte, und es hätte sich falsch angefühlt, nur deswegen einen Neustart zu wagen. Man stelle sich vor, die nächste Single wäre wieder ein Flop geworden …Außerdem hatte ich bereits eine neue Band.

Eine Reunion der Zombies hätte kreativen Stillstand bedeutet.“

Reich und berühmt sind die Zombies also nicht geworden, doch etwas ganz Wunderbares kann ihnen niemand mehr nehmen: Sie gehören zweifellos zu den talentiertesten englischen Bands der Beatära und haben in wenigen Jahren hörenswerte bis großartige Musik geschaffen. Die Karriere der Zombies begann nicht nur mit einer Nummer 1 in den USA, sie endete auch damit. Wer kann das schon von sich behaupten?

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