„WIR WAREN DIE ERSTEN PUNKS“


Als einer, der die 70er-Jahre nicht miterlebt hat, bin ich auch von YouTube-Clips abhängig, wenn ich mir eure Geschichte erschließen will. Ich finde dann immer wieder ungeheuerliche Videos, in denen ihr vor klatschfreudigem Spießerpublikum TV-Bühnen zerlegt. Diese Clips will ich dann immer jemandem zeigen, und schon sind sie verschwunden. Was ist da los? Habe ich das alles nur geträumt?

Nein, diese Videos gibt es wirklich. Dass du sie nicht mehr findest, hat folgenden Hintergrund: Wir arbeiten gerade mit einer deutschen Firma namens Aviator an einem eigenen YouTube-Kanal für The Sweet, Sweet-Tube. Aviator nehmen gerade viele Videos offl ine, überarbeiten sie und präsentieren sie dann gebündelt bei uns. Da soll es dann alles in HD geben: Live-Aufnahmen, Dokumentationen, Promo-Clips – alles, worüber wir die Kontrolle haben können. Das geht auch nicht an, dass irgendwelche Typen unsere Videos ins Netz stellen und damit Werbegeld verdienen. Auf unserem Kanal sollen dann auch Clips von mir zu sehen sein, auf denen ich über einzelne Songs rede und erkläre, wie ich dieses oder jenes Riff auf der Gitarre spiele. Dummes Zeug halt, aber die Fans wollen so was sehen. Das erzählen mir meine Leute zumindest. So läuft das eben heute: Ich führe nur noch Anweisungen aus.

Hast du das Gefühl, dass The Sweet den Ruf haben, der ihnen zusteht? Das hängt vom Blickwinkel ab: In Deutschland kennt man uns, weil wir hier sehr präsent sind. Und weil wir hier acht Nummer-eins-Hits hatten. Das ist ja eine Sphäre, in der sonst nur die Beatles und ABBA sind. In vielen anderen Ländern gelten wir dagegen als Kultband. Die Anerkennung, die uns zusteht, liegt wohl dazwischen. Und natürlich ist es schwer, unseren Nachlass entsprechend zu präsentieren: Auf der einen Seite spielen wir in Rockclubs auch unsere härteren Stücke, und dann treten wir aber bei diesen Oldie-Festivals in Fußballstadien auf, wo wir maximal eine Stunde spielen können. Da kannst du deinem Werk ja nie gerecht werden.

Was sollten Spätgeborene, die euch im Fernsehen bei einer Oldie-Revue sehen, wissen, um ein ganzheitlicheres Bild von euch zu bekommen?

Das ist schwer, weil wir durch so viele Phasen gegangen sind: Von den sehr poppigen Anfängen über die Glamrockzeit bis zum Hardrock der mittleren 70er. Das war auch ein stetiger Prozess, bei dem es schwierig ist, nur ein Element herauszugreifen. Am besten wäre es wohl, wenn unser Zeug bei iTunes stehen würde. So könnte man sich schnell einen guten Überblick verschaffen. Aber ich habe da leider nicht das alleinige Sagen. Die Leute von unseren Labels werden sich da nicht einig. Das größte Problem ist: In sechs Jahren sind unsere ersten Aufnahmen lizenzfreies Gemeingut, wenn man nicht bald eine Lösung findet. Gott, sind wir schon lange unterwegs

Steve Priest ist bei „Top Of The Pops“ einmal mit Hitlerbart, Hakenkreuzbinde und Pickelhaube aufgetreten. Dazu gab er sich sehr aff ektiert-queer. Es gibt Bilder von euch mit Hakenkreuzen auf euren Jacken. Wie seid ihr mit so etwas durchgekommen? Ihr wurdet doch für Teenies vermarktet.

Wir waren unkontrollierbar damals. Man konnte uns nicht managen.

Aber „Top Of The Pops“ läuft doch bei der altehrwürdigen BBC – die mussten das doch absegnen?

Die hätten uns fast rausgeworfen damals. Aber wir wollten damals eben einfach provozieren. Wir sagten: „Fuck you. Wir machen das so, wie es uns passt.“ Wenn wir damals in TV-Sendungen aufgetreten sind, in denen wir zu Playback spielen sollten, schnallte sich unser Schlagzeuger Mick Tucker einfach den Bass um. In einer Show in Belgien oder Holland sitze ich am Schlagzeug, und Mick tut so, als würde er Gitarre spielen. Kein Schwanz hat das bemerkt! Einmal sind wir im deutschen Fernsehen aufgetreten, in unseren typischen Glitzeranzügen -plötzlich drehten wir uns um, und die Zuschauer konnten die Rückenaufschriften unserer Anzüge sehen: Auf meinem stand „Bollox!“, bei Steve stand „Fuck You!“, und Mick hatte ein Hakenkreuz hinten drauf. Das war allerdings ein nach links gewinkeltes Hakenkreuz -anders als bei den Nazis, wo es nach rechts geht. Und das Hakenkreuz war ja ursprünglich ein Symbol für Frieden. Aber das ging damals einfach alles. Niemand konnte das verhindern. Wenn du es so sehen willst, waren wir die ersten Punks.

Genau! Sid Vicious schockierte die Welt mit seinem roten Swastika-Shirt Jahre nach euch. Das ist doch genau das, was nach all der Zeit und all den Oldie-Shows mit Carmen Nebel und Bubblegum-H its wie „Funny Funny“ in Vergessenheit geraten ist: dass The Sweet eine, nun ja: gefährliche Band waren.

Wir hatten immer zwei Gesichter: Selbst in den frühen Jahren, in denen wir all diese Riesenhits vom Songwriter -Team Nicky Chinn/Mike Chapman auf den A-Seiten hatten, packten wir eigene, härtere Songs auf die B-Seiten. Nachdem die kleine Schwester also zur A-Seite getanzt hatte, drehte der große Bruder die Single um und schüttelte seinen Kopf zur B-Seite.

Einer dieser B-Seiten-Hörer muss Brian May gewesen sein: Sein Queen-Hit „Tie Your Mother Down“ erinnert stark an eure selbst geschriebene B-Seite „Done Me Wrong All Right“.

Und weißt du was? Zu der Zeit, in der Queen an „Bohemian Rhapsody“ saßen, gab Brian May ein Interview, in dem er gefragt wurde, was sein aktuelles Lieblingslied sei. Er antwortete: „Action“ von The Sweet. Und jetzt hör dir mal diesen Hardrock-Teil von „Bohemian Rhapsody“ an, dieses „So you think you can stone me and spit in my eye“, und vergleich das mit der Strophenmelodie von „Action“:“So you think you’ll take another piece of me „

Oha!

Wenn dir etwas gefällt, dann findet es seinen Weg in dich hinein. Auf den Sweet-Singles gibt es viele Jeff-Beck-Gitarrenlicks. Das passiert ganz unbewusst. Brian May ließ bei den 70er-Jahre-Platten von Queen aber auch immer stolz „No Synthesizers“ ins Booklet schreiben, weil er dachte, die Hörer könnten seine Gitarreneffekte für Synthesizerspuren halten. Dabei ist das doch dein Job als Gitarrist, bei deiner Gitarre zu bleiben und mit ihr zu experimentieren! Wir haben zwar Synthesizer eingesetzt, aber nie, um Gitarren zu imitieren. Aber wir hielten es nicht für notwendig, irgendwo hinzuschreiben, dass das, was sich bei uns nach Gitarre anhört, auch tatsächlich eine Gitarre ist.

Wie war das denn, als andere eure Hits für euch schrieben? Kommen da Chinn/Chapman ins Studio und sagen: „Hey! Wir hätten gerne, dass ihr diesen Song spielt. Der Refrain geht so: ‚Hoo-chi-kaka-ho‘. Alles klar?“

Die ersten Jahre wurden wir mehr oder weniger gelenkt. Gleich mit unserer ersten Single „Funny Funny“ waren wir auf Nummer zwei in England und in vielen europäischen Ländern auf Platz eins. Danach bringst du nicht etwas wie „Whole Lotta Love“ oder „Paranoid“ heraus. Du bleibst erst mal bei deiner Erfolgsformel mit diesen Tongue-in-cheek-Platten; „Little Willy“ und „Wig-Wam Bam“ – das ist ja Comedy, das waren unanständige Kinderlieder, die hätte man Kindern gar nicht vorspielen dürfen. Aber mit diesen Songs hatten wir einen Sound erreicht, hinter dem wir auch als Band standen, ein Mittelding aus The Who und Deep Purple. Unser Mitspracherecht wurde immer größer -und die Singles immer erfolgreicher. Unser Songwriter-Team muss davon ganz schön angepisst gewesen sein. Für die wurde es immer schwieriger, Songs in diesem Sound zu schreiben. Auf einmal hatten wir Erfolg in Amerika. Unsere erste selbst geschrieben Single, „Fox On The Run“, wurde unser größter Hit.

Das Verrückteste, was ich von euch gesehen habe, ist ein bizarrer Introfilm, den ihr vor Konzerten eurer 76er-Tour gezeigt habt. Zu „The Stripper“ von David Rose läuft ein Countdown, die Ziffern sind unter anderem auf Billardkugeln geschrieben, die aus einer Vagina und einem Anus ploppen. Dazu reiben sich nackte Frauen über Brüste und Hintern. Dann steht da, in Anspielung auf euer Album GIVE US A WINK auf einer Wand: „Winking will make you go blind“, also eine Verballhornung der Ansicht, dass Masturbation zu Sichtverlust führt. Wie seid ihr damit am Jugendschutz vorbeigekommen?

Ich weiß noch, dass der Film in Neuseeland ab 18 Jahren freigegeben wurde. Aber natürlich kamen viele Minderjährige zu unseren Konzerten. In vielen Ländern wurde er komplett verboten. Natürlich war unsere Reaktion damals, den Film doch zu zeigen und den Zensurbehörden ein „Fuck off!“ entgegenzubringen. Aber dann kamen Leute auf die Bühne und beendeten die Vorführung. Wo wir aber schon vom Jugendschutz sprechen: Wir ließen uns damals oft für die „Bravo“ fotografieren. Die Geschichten in der „Bravo“ waren damals alle erlogen, wie unser angeblicher Streit mit den Bay City Rollers. Alles Lüge. Aber die hatten gute Fotografen, wie Bubi Heilemann. Neulich ist ein Coffeetable-Buch mit vielen unserer Fotos von damals erschienen, und für eine der darin abgebildeten „Bravo“-Strecken ließen wir uns oben ohne und in Jeans ablichten. Auf einem der Bilder aus der Serie hängt Brians Schwanz aus seinem Hosenstall. Das war ein Shooting für ein Teenie-Blatt!

Dann gab es diesen Auftritt in einer französischen Fernsehshow für Jugendliche, in der ihr „Teenage Rampage“ spielt und Steve Priest die Zeile „Imagine the sensation of teenage occupation“ abwandelt in „Imagine the sensation of teenage masturbation“. Hat sich da kein Zuschauer beschwert?

Das hat wohl niemand verstanden. Aber die angeblich abgewandelte Zeile ist die Originalzeile! So lautete der Text ursprünglich. Aber das Label -und selbst wir als Band -sagten damals, dass das nicht geht, dass wir eine „clean version“ fürs Radio brauchen und die „Masturbation“-Version aufs Album packen. Doch „Teenage Rampage“ erschien nie auf einem Album, und so kennt jeder nur die zensierte Fassung.

Ihr müsst euch doch damals den Arsch abgelacht haben: Auf der einen Seite wird man als Teenie-Band vermarktet, hat unzählige „Bravo“-Cover, und auf der anderen Seite nutzt man jede Gelegenheit zur Provokation.

Zur Zeit von „Wig-Wam Bam“ wurden wir in Belgien verhaftet, weil unser Bühnenverhalten zu sexuell aufgeladen war: Unser Sänger Brian ließ sein Mikro in seiner Hose verschwinden, ich tat so, als würde ich meiner Gitarre einen runterholen, na ja. Wir durften dann auch in britischen Ballsälen nicht mehr spielen. Dabei tanzt heute doch Beyoncé nackt um ihren Jay-Z herum, und wie heißt die, die ihren Arsch in den Schoß von so einem Typen gehievt hat?

Miley Cryus.

Okay. Aber siehst du: Teenie-Acts von heute machen doch auch nichts anderes.