Wolf Maahn – Unrasiert und fern der Heimat


Unter den deutschsprachigen Sängern galt er als einer der engagiertesten. Daß sich gerade Wolf Maahn von Deutschland verabschiedete, um in London ein "englisches" Album einzuspielen, überraschte selbst seine Plattenfirma. ME/Sounds-Mitarbeiter Martin Brem besuchte den Deserteur im Exil.

Zwei pummelige Teenager stehen in einem Hinterhof und kämpfen in dünnen Mänteln gegen den kältesten Tag des britischen Winters. „Nein, die warten nicht auf mich“, sagt Wolf Maahn mit einem wissenden Schmunzeln. „Die A-ha-Leute arbeiten im Studio nebenan… „

Ein abgedankter Deserteur in London. Im Zentrum der wichtigsten popmusikalischen Erschütterungen der letzten 25 Jahre unternimmt Wolf Maahn einen neuen Anlauf. In den traditionsreichen Roundhouse-Studios entsteht mit viel Zeit und viel Geld THIRD LANGUAGE, Maahns erstes englisches Album unter eigenem Namen.

Ein mutiges Unterfangen, zweifellos. Denn während die Freunde der deutschen Zunge ihn nun der Fahnenflucht beschuldigen werden, hört man schon die Häme der Anglophilen, die sich bei diesem weiteren Beweis des Scheiterns einer heimatlichen Pop-Identität schadenfroh auf die Schenkel klopfen. Warum also englisch, Herr Maahn?

„Es war ein langer zäher Kampf mit mir selbst. Auf der einen Seite stand das Lust-Prinzip, sogar eine gewisse Intuition, die mir gesagt hat, du mußt jetzt was in englisch machen. Auch die große Herausforderung. Denn wenn du in dieser Sprache singst, mißt du dich halt mit den Weltmeistern. Auf der anderen Seite stand natürlich der Verlust der Verständlichkeit. Nach langem Hin und Her kam ich zu dem Schluß, daß nur das wichtig sein kann, was mir jetzt Spaß macht. Mein Publikum würde ja auch nicht von mir erwarten, daß ich das täte, wozu ich weniger Lust hätte.“

Aber was wird aus dem politischen Auftrag? Was wird jetzt aus Tschernobyl, aus Nicaragua?

„Auftrag?“ – fragt er so, als wäre die Vokabel überhaupt nicht in seinem Repertoire. „Nun, ich habe bestimmt ein gewisses Verantwortungsgefühl, auch wenn sich das in jüngster Zeit ein wenig relativiert hat. ,Tschernobyl‘ war sicher der Gipfel. „

Hat er vielleicht gar kalte Füße bekommen? Immerhin wurde ihm von vielen Kritikern vorgeworfen, es sei geschmacklos, das atomare Grauen in einen flotten Refrain zu kleiden.

„Aber andererseits war das meine erfolgreichste Single. Ein paar Leuten muß die Nummer also gefallen haben. Das Video war monatelang Nummer I in den Videocharts bei RTL plus!

Was ich im Nachhinein allerdings nicht gut finde: Es hätte nicht ,Tschernobyl‘ heißen sollen, sondern vielleicht… ,Die Welt steht still, das letzte Signal vor dem Overkill, das wäre besser gewesen.

Aber letztlich war diese Aktion für mich nichts anderes als die Teilnahme an einer Demo. Ich hatte heimlich die Idee, das könnte vielleicht mal so eine Demo-Hymne werden …“

Die „Lust“ an THIRD LAN-GUAGE ist hörbar, besonders dann, wenn die Live-Atmosphäre der Studiosessions greifbar wird. Daß Maahn von der letzten U2-Show besonders beeindruckt war. dürfte nach diesem Album kein Geheimnis bleiben. “ Wenn dir eine Band gefällt, ist ihr Einfluß nicht aufzuhallen. Aber ich habe keine Ambitionen, vom ,deutschen Springsteen‘ zum .deutschen Bono Vox‘ zu avancieren…“ Es ist auch mehr der Einfluß der Gitarre, die von Co-Deserteur Axel Heilhecker in einigen Songs so gespielt wird, daß U2-Gitarrist The Edge seine helle Freude hätte. THIRD LANGUAGE hat nichtsdestotrotz seine eigene Handschrift. Titel wie „Civilisation Sucks“ geben sich forsch bis ruppig, und vor allein die Single „Language Of Love“ zeigt den einst in diesem Blatt als „Müsli Maahn“ titulierten Kölner von einer selten rockigen Seite.

An dieser Stelle sei auch die neue Band vorgestellt, die für Maahn traditionell mehr ist als nur eine anonyme Begleitgruppe: an der Gitarre immer noch Axel Heilhecker, am Baß Hans Baär (Wolfs Bruder mit Künstlername und Fehlfarben/Kowalski/Gianna Nannini-Vergangenheit) und Ralph Gustke, ein 22jähriges Talent am Schlagzeug. Bei den Sessions für die Platte half außerdem Keyboarder Mathias Keul (früher Food-Band, zuletzt Niedecken-Solo-Album) mit aus.

Ein „großer Name“ taucht auch noch auf: Bruce Lambcov, früher rechte Hand von Produzenten-As Bob Clearmountain, der an der letzten Pretenders, letzten Lloyd Cole, bei Peter Gabriel, Bryan Ferry und den Simple Minds gearbeitet hat, mischte fünf Titel. Maahn: „Von dem habe ich einiges gelernt. Diese Leute arbeiten unglaublich intensiv; es gibt im Studio kaum Smalltalks. Was mir imponiert hat, war die Genauigkeit, die Gradlinigkeit, wie der einen Mix durchzieht. Du gibst ihm die fertigen Bänder und 12 Stunden später hast du deine Mischung.“

Wie hat Maahns Plattenfirma, die EMI Electrola in Köln, reagiert, als er von seinem englischen Ansinnen erzählte?

„Erstmal mit Unsicherheit. Dann kamen so ein paar Signale wie ,Lieber nicht!‘, aber wir haben sehr viel mit denen geredet, und irgendwann standen sie dann voll dahinter. Wir haben’s geschafft, die so zu motivieren, daß sie uns bis zum Umfallen unterstützen.“

400.000 Mark wurden als Budget für THIRD LANGUAGE veranschlagt, eine nicht gerade übliche Summe für deutsche Produktionsverhältnisse; Maahns KLEINE HELDEN kosteten z.B. nur 180.000.

„Da wurde nicht getrödelt, sondern endlich so gearbeitet, wie man eigentlich arbeiten sollte. Als wir in Köln die Basic-Tracks aufgenommen haben, wurde oft vier Tage nur über eine Nummer gelammt. Und der 54. Take

Der Maahn hat gut lachen. Mit 400.000 DM unterstützt seine Plattenfirma das England-Abenteuer.

wurde dann genommen, weil gerade da das Feeling stimmte.“

Und warum mußte es gerade London sein?

„Zum einen wollte ich mit der Sprache wieder familiärer werden, zum anderen ist Trevor Hallesy, der in Köln die Basics aufgenommen hat, Haus-Ingenieur im Roundhouse. Das ist übrigens der Mann, der vor zehn Jahren die erste Platte meiner früheren Gruppe Food Band aufgenommen hat!“

Apropos „food“. Wolf Maahn ernährt sich neuerdings makrobiotisch. Erleichtert um stolze 12 Kilogramm, wirkt er drahtig, fast schon asketisch.

„Die Ernährung der allen Japaner, die ist richtig. Die geschichtliche Entwicklung hat die Ernährung bei uns über Jahrhunderte ziemlich pervertiert. Ich glaube wirklich, daß Milch für Kälber, Honig für Bienen und Getreide für Menschen da ist. Seit ich so esse, geht’s mir einfach besser. Ich wache nach vier Stunden Schlaf auf, habe keinen Brummschädel mehr, laufe Treppen rauf wie in den besten Tagen. Ich warte eigentlich nur darauf, einmal dem Blixä Bargeld von den Einstürzenden Neubauten über den Weg zu laufen; der kauft nämlich in demselben makrobiotischen Laden in Berlin ein, wo wir auch unsere Sachen bestellen …“