Nachruf

Zum Tod von XXXTentacion: Ein gewalttätiger Held von Millionen Menschen


XXXTentacion war ein schlechter Mensch und ein guter Rapper. Wie gehen wir mit dem Tod eines solchen Menschen um?

Jahseh Dwayne Onfroys kriminelle Karriere dürfte in keinen Nachruf der Welt passen: Schon als Sechsjähriger soll er versucht haben, einen Mann zu erstechen, der über seine Mutter herfiel. Später flog er erst aus dem Chor, dann aus der Schule, weil er seine Mitschüler attackierte. Als er wegen Waffenbesitzes einige Zeit in Jugendarrest verbrachte, prügelte er auf einen schwulen Häftling ein. Nach seiner Entlassung verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Einbrüchen, bedrohte seine Freundin mit Glasflaschen, Messern und wollte ihr die Zunge abschneiden, weil sie im Auto die Strophe eines anderen Rappers mitgesummt hatte.

Jetzt wurde Onfroy vor einem Motorradgeschäft erschossen, wohl bei einem bewaffneten Raubüberfall. Sein Leben ist vorbei, mit 20 Jahren ist er ein Paradebeispiel dafür geworden, wie früh manche Menschen in eine Spirale von Gewalt und Kriminalität rutschen und nie wieder aus ihr herausfinden, bis sie ihr irgendwann selbst zum Opfer fallen. Schicksale wie das seine gibt es viele. Der Unterschied: Onfroy hat es auf Platz eins der Billboard-Charts geschafft und war der Held von Millionen junger Menschen. Wie passt das zusammen? Und wie gehen wir damit um?

XXXTentacion wäre ein unmöglicher Superstar geworden

XXXTentacion bricht posthum Taylor Swifts Streaming-Rekord
Einem größeren Publikum wurde Onfroy unter seinem Künstlernamen XXXTentacion bekannt, als 2016 seine besonders aggressive, kaum genießbare Lo-Fi-Single „Look At Me!“ erschien. Die meisten seiner Songs passen nicht in herkömmliche Hip-Hop-Raster. Man hört ihnen an, dass sich Onfroy selbst Klavier und akustische Gitarre beigebracht hat, aber auch, dass er in seiner frühen Jugend Nu-Metal-Fan war. Auf seinem letzten Album „?“ gibt es sowohl zarte Balladen als auch Death-Grips-artige Ausbrüche, dazu karibische Beats, Kakophonie und alles dazwischen. Seine Musik spiegelt perfekt wider, wie die Generation Soundcloud Genregrenzen einreißt. Sie spiegelt auch wider, wie grenzenlos verzweifelt Onfroy persönlich war.

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Suizidgedanken spielten in seinen Songs immer wieder eine Rolle, auch in einer seiner vielen Instagram-Storys simulierte der Rapper eine Hängung. Andererseits spendete er seinen Fans gerade durch seinen offenen Umgang mit psychischen Krankheiten Trost und sprach stets von seiner „positiven Message“, die er rüberbringen wolle. In einem älteren Instagram-Live-Video erzählte er selbstbewusst, mindestens fünf Millionen Kids glücklich machen zu wollen, bevor ihn das Zeitliche segnen sollte. Angesichts seines unglaublichen kommerziellen Erfolgs ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass er das auch geschafft hat.

XXXTentacion: Möge er in Frieden ruhen und seine Fans und Opfer gleichermaßen in Frieden weiterleben

Diese Rolle als Vorbild, als Antwortgeber auf die Fragen und Ängste junger Menschen, die XXXTentacion für viele einnahm, steht in einem krassen Widerspruch zu seiner Strafakte. Fast über seine gesamte aktive Rapkarriere befand sich Onfroy entweder auf Bewährung, vor Gericht oder im Knast. In der Zeugenaussage seiner Ex-Freundin, die er sogar während ihrer Schwangerschaft misshandelt haben soll, finden sich so viele so heftige Vorwürfe gegen den Rapper, dass ihn auch Spotify aus seinen Playlists (nicht jedoch aus dem Katalog) entfernte, bis eine Drohung aus dem TDE-Lager kam, man würde dem Streamingdienst die Alben von Kendrick Lamar entziehen, wenn XXXTentacion nicht sofort wieder in die Playlists aufgenommen würde. Der Streamingdienst gab klein bei und wünscht ihm nun, er möge in Frieden ruhen.

Wer in XXXTentacion nur einen durchgeknallten Triebtäter sieht, verkennt die eine Hälfte der Wahrheit. Und wer ihn für einen nicht weiter verwerflichen Soundcloud-Rapper hält, sollte dringend an seinem moralischen Kompass schrauben. Es ist schwer, mit dem Tod einer solchen Figur umzugehen, schwer seine melancholischen Miniaturen zu genießen, wenn man weiß, in welcher ständigen Angst seine Partnerin leben musste, während er als Rapper immer berühmter wurde. Mit XXXTentacion ist ein ohne Frage talentierter und ohne Frage furchtbarer Mensch von uns gegangen. Möge er in Frieden ruhen und seine Fans und Opfer gleichermaßen in Frieden weiterleben.

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