Zuviel Harmonie? Da kommt die Axt!


Tomte haben sich neu aufgestellt, ihr Produzententeam sehr genau ausgesucht und feilen nun mit Tobias Kuhn und Torsten Otto im Studio an einer Platte mit neuen Möglichkeiten und überraschenden Details. Wir notieren: "RAAWK!", "extreme Erotik!" und "Monta-Momente".

Tomte nehmen gerade die letzten Spuren für ihr fünftes Album auf. Der musikexpress darf dabei für einen Nachmittag zuschauen. Egal, wen wir dabei fragen, egal, in welchen Aufnahmeraum wir unsere Nase stecken: Überall schlägt uns allerbeste Laune entgegen. „Wir sind alle sehr innig gerade, auch mit den Produzenten und so“, erzählt Thees Uhlmann, “ und dass auch noch unsere halbe Posse da ist, geht mir schon fast nahe, ehrlich gesagt.“

So viel erst einmal zur Harmonie.

Berlin-Kreuzberg. Draußen: die Schlesische Straße. Mit dem Udo – früher Kino, heute Club und Bühne, ziemlich angesagt. Drum herum eine Kneipe an der anderen. Szenecafes, Restaurants, Boutiquen. Alles irgendwie alternativ. Menschen in hippen Klamotten tummeln sich auf Weinkisten und anderen Sitzmöbeln und versuchen, cool auszusehen. Ein oder zwei Tore hinter dem Trubel: das Berliner Hinterhof-Paralleluniversum. In einem finden wir das Klingelschild: „T. Otto“. Durch ein kühles, dunkelrotes Treppenhaus geht es in den dritten Stock. Die Tür steht einen Spalt offen. Das Radio Buellebrueck Studio. Seit Wochen Lebensmittelpunkt für die Band, die noch als Hamburger Band gilt, obwohl längst alle Mitglieder in Berlin leben.

Tomte warten schon. In einem Aufenthaltsraum, der wie eine riesige Wohnküche einer Studenten-WG aussieht („riesig“ bei normalen Mietpreisen, für Berlin-Verhältnisse bestimmt nur so mittelgroß), sitzen sie auf alten Sofas herum und machen Pause. Auf der Küchenzeile am Fenster stapelt sich Geschirr, frischer Kaffee gluckert durch die Maschine, die Nachmittagssonne fällt durch das Fenster, das von einem Holzstuhl aufgehalten wird. Draußen zwitschern Vögel.

Mit „Posse“ meint Thees die Leute, die hier s(chw)itzen: der glatzköpfige Tourtagebuchschreiber Hilmar Bender. Der gemütliche Tomte-Hausfotograf Ingo Pertramer aus Österreich. Simon Frontzek alias Sir Simon (Battle). Max Martin Schröder, den sie solo und an der Seite von Olli Schulz „Hund Marie“ nennen. Dennis Becker, der in Rock und Pop als einer der besten deutschen Gitarristen gilt. Das Produzententeam Torsten Otto und Tobias Kuhn von Monta. Nur Olli Koch, der sympathische kleine Bassist mit Hornbrille, ist nicht hier. Die Basslinien sind fast alle eingespielt, der Kurzurlaub sei ihm gegönnt. Aber es fehlt noch einer: Timo Bodenstein ist auch nicht da. Er wird im Gegensatz zu Olli auch morgen nicht wiederkommen.

Es hat ein blSSChen gerumpelt in der Band.

Unter anderem eben, weil Timo ausgestiegen ist. Der groß gewachsene Schlagzeuger mit der Glatze habe es nicht mehr geschafft, Familie und Band unter einen Hut zu bringen, sagt Thees. Timo selbst möchte dazu nichts sagen, verlautbart das Grand-Hotel-van-Cleef-Büro auf Anfrage. „Es nimmt mich mit, dass ich nicht mehr mit Timo in einer Band spiele“, sagt Thees. Er, letztes verbliebenes Gründungsmitglied, hat den Ausstieg im Bandgefüge aber gut ausgeglichen. Er fragte Simon Frontzek, ob er nicht einsteigen wolle. Der wollte, und dadurch kam es zum Positionswechsel: Max spielt nicht mehr Keyboards, sondern Schlagzeug. Kein Problem für den Multiinstrumentalisten, der schon bei der Hansen Band (die Filmkapelle aus „Keine Lieder über Liebe“) trommelte und eine ganze Platte allein aufgenommen hat (Hooligans 8t TINY HANDS).Und an den Keyboards sitzt und steht nun Simon.

Die gute Stimmung im Studio lässt den Schluss zu, dass die Umstellung gelungen ist. Aber nicht nur die Neuaufstellung hat die Aufnahmen beeinflusst: Max und Thees haben beide das natürliche Wunder des Vaterwerdens erlebt. „Das ist auch eine Form von Rumpeln, bei der Frau natürlich mehr Gerumpel als beim Mann“, sagt Thees und grinst sich eins. Der Sänger ist plötzlich Familienvater – und macht sich Gedanken, die ihm zuvor völlig fremd waren: „Ich denke manchmal: Es könnte vielleicht auch einfach alles vorbei sein. Jedes Mal, wenn ich mir den iPod in die Ohren stecke, um nach Hause zu fahren, frag ich mich: Ist das jetzt zu laut? Wirst du das Hupen vielleicht nicht hören?“.

Auch dass Buchstaben über der stadt die mit Abstand erfolgreichste Tomte-Platte wurde und der Band eine ordentliche Popularitätssteigerung verschaffte, auch das ist ein Rumpeln, das erstmal verarbeitet werden wollte. Wir Journalisten schreiben dann immer: „Erfolgsdruck“. Im Studio indes ist die leichte Anspannung verflogen, die noch herrschte, als wir ankamen. Es ist ja auch eine komische Situation: Die Arbeit ist noch nicht ganz getan, schon kommt ein Journalist und steckt seine Nase in die Musik. Simon albert herum, entdeckt ein Instrument, keiner weiß, wie es heißt: ein kleines Holzbrett, auf das Metallzungen geschraubt sind, die Töne erzeugen, wenn man sie zupft. (Wir haben nachgeschaut: Es ist eine Mhira, auch Kalimba oder Daumenklavier genannt.) Wie ein Kind stürzt sich der spindeldürre Simon darauf, nach zehn Sekunden Geklimper hat er sich zurechtgefunden, spielt eine Melodie: „Kuck mal, Dennis, das ist dein Gitarrensolo aus,Gloria‘!“ Thees unterbricht ihn: „So, Rookie, reicht jetzt auch mal, ne?“

Da kommen Max Und Torsten aus dem Aufnahmeraum zurück. Sie haben letzte Percussionspuren eingespielt. Endlich dürfen wir neue Songs hören. Obwohl Buchstaben … so erfolgreich war, hinterlässt es künstlerisch ein schwieriges Erbe. Es lässt einen das Gefühl nicht los, als sei mit der vierten Platte der Sound dieser Band an einem Punkt angekommen, an dem es nicht mehr weitergeht. Ein typischer Tomte-Song beginnt mit einer Gitarrenmelodie, schwillt an zu einem treibenden Refrain und hört irgendwann wieder auf. Dazu die charakteristische Stimme von Thees, über den niemand jemals sagen wird, er sei als Sänger geboren, und der sich wohl nie mehr davon abbringen lässt, Worte an ihren unmöglichsten Stellen in die Länge zu ziehen. Zudem drehte sich die Platte inhaltlich um eine, die große Liebe. Und deshalb fehlten wohl Kracher wie „Korn und Sprite“ oder der Überhit „Schreit den Namen meiner Mutter“.

BUCHSTABEN…War homogen. An bösen Tagen lässt sich auch „eindimensional und ziemlich weich“ dazu sagen. Das stand vor zwei Jahren in kaum einer Kritik; aber heute fällt es deutlich auf. Und wenn ihre Musik jetzt noch weicher und homogener wird?! Die Musik von den glücklichen Vätern, der ganzen harmonischen Mischpoke?! Die neuen Songs, die Tobias Kuhn und Torsten Otto uns in der kleinen Gesangskabine vorspielen, fegen solche Vorbehalte sofort vom Tisch. Es sind nur vier. Sie sind noch nicht abgemischt und tragen Arbeitstitel. Aber schon diese vier Songs sind abwechslungsreicher als das komplette letzte Album.

„Der letzte große Wal“ heißt das erste Stück – das typische Tomte-Lied unter den vieren, mit einem ungewöhnlichen Zwischenteil allerdings: Dennis‘ Gitarre und ein Glockenspiel hangeln sich auf der Tonleiter hinab, bevor die Band wieder einsetzt Tobias nennt es „einen klirrenden Moment, ein Blätterteil“-es ist fast schon ein Monta-Moment. Der nächste Song heißt aktuell noch „Pixies„. Wir notieren „schön laut“ „Gitarren!“, „RAAWK!!!“ und „extreme Erotik!“ Aber das hat Dennis gesagt. Wir hören einen langsam anschwellenden Song, der um ein simples, aber sehr knackiges Riff herum aufgebaut ist., fiinen Schlag lauter kamist du noch machen“, sagt Thees zu Tobi. Aus dem Riff wird eine Gitarrenwand, der Song galoppiert, Thees singt in ungewohnt hohen Lagen, schreit fast. Dann ein Zwischenteil, die Gitarrensaiten werden abgedämpft, so dass man nur das „Ratsch-ratsch“ des Anschlags hört, während ein kräftiges Schlagzeug unaufhaltsam nach vorne zieht. Der Bass bahnt sich einen Weg durch diesen Moment aus purem Rhythmus, auch die Gitarren brechen wiederüber den Song herein, kurz vor Schluss die Zeile „Nichts ist so schön auf der Welt, wie betrunken traurige Musik zu hören“.

Der Song endet in einer Feedbackorgie. Thees grinst verschlagen: „Zehyitausend Gitarren,Axt!“

Wir hören außerdem: „Planet“- ein Stück mit groovendem Bass, „The Passenger“-Gitarren, Thees‘ Herz ist hier „schwer wie ein Planet“. Und „Bärenpunsch“ – eine einwandfreie Ballade: „Nichts ist schöner, als zu sagen:gute Nacht, gute Nacht, gute Nacht.“ Dann ist Stille. Die beiden Produzenten sind sichtlich stolz. Während Torsten, der regelmäßig als Assistent von Moses Schneider arbeitet, vor allem für technische Details wie Mikrophonierungen und die Aufnahmetechniken zuständig war, arbeitete Tobi auch am Arrangement und beim Songwriting mit. Es ist die erste fremde Platte, die er produziert hat, und das Ergebnis ist beeindruckend: Ganz klar Tomte, doch immer wieder tauchen neue kleine, tolle Details auf. Tobi-Kuhn-Details, möchte man vermuten.

Wieder unten im Hinterhof sitzen wir in der Sonne. Thees beantwortet die letzten offenen Fragen. Dabei kann er kaum an sich halten, er erzählt viel und schnell, gestikuliert so wild, dass sein Stuhl knirscht und quietscht. Und weil er so viel zu erzählen hat, kriegt er einfach den Rest vom Text:

„Tobi hat sich echt als Glücksgriff erwiesen. Wir haben überlegt: Wer kann produzieren? Wir wollten eine Veränderung, live aufnehmen, einen Typen, der zu unspasst… Max meinte:,Ja, oder soll Tobias Kuhn das machen?‘ Wir wussten gar nicht, ob der überhaupt schon Platten produziert hat. Ich habe ihn angerufen, und er hat gesagt:,Für keine andere deutsche Band würd‘ ich ’s lieber machen!’Auch mit Max am Schlagzeug jetzt, das ist unglaublich. Du sagst ihm: ,Da spielst du erst wie Dave Grohl und dann wie der von den Silver Jews und dazwischen madist du ein Keith-Moon-Break.‘ Dann spielt er und fragt: ,So?‘ ,Ja, genau so!‘ Das ist ein geiles Gefühl. Simon ist ja jetzt richtig fest in der Band, und er spielt Ben-Folds-mäßig Klavier. Den kenne ich, seit er bei uns in Karlsruhe im Publikum stand, gequietscht hat und als Einziger alles mitsingen konnte. Wir haben den kennengelernt und immer wieder mit ihm zu tun gehabt, der war ja auch schon Vorgruppe bei Tomte. Als sich bei uns die personellen Veränderungen angekündigt haben, habe ich im Kopf sofort Simon verpflichtet, der Band das aber erst ein Vierteljahr später mitgeteilt. Ich wusste immer, dass das ein großer Typ ist und er passt extrem gut zu Tomte, so durchgeballert wie er ist.“

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