Kolumne

„Get Nasty“: Darum setzen jetzt alle auf Millennial Bait

Julia Friese erklärt in der Kolumne, warum (und von wem) Britney Spears' alte Nachos aufgewärmt werden

Drei Beobachtungen:

1. millennial bait ist …

„Millennial Bait“ nennt man Kulturprodukte, die Millennials mit Nostalgie ködern sollen. Greta Gerwigs „Barbie“-Film (2023) ist der wahrscheinlich bekannteste Millennial Bait. Die Inkorporation der Mitglieder des One-Hit-Wonders Tokio Hotel in irgendeine Form von Inhalt ist immer: Millennial Bait. Millennial Bait versucht mit Millennial-Backformen letzte profitable Kekse zu backen.

Das passiert vor allem in nicht-gegenwärtigen, also ums Überleben kämpfenden Medien. Millennial Bait sagt: Bitte nicht nach TikTok abwandern. Erinnert Euch doch, wie schön das früher war! Fernsehen! Magazine! MTV Video Music Awards! Letztere werden zunehmend zur Britney-Spears-Gedenk-Plattform: So trug Sabrina Carpenter dort in diesem Jahr ein mäßiges Plagiat des „Dream Within A Dream“-Tour-Outfits (2001-2002), in dem Spears „Baby One More Time“ im Regen sang. Ein Pop-Kultur-Moment – googeln Sie ihn, Sie kennen ihn – den etliche Popstars immer wieder nachzustellen versuchen – beispielsweise auch Shirin David auf ihrer ersten Tour 2023.

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Carpenter aber komplettierte die Mimikry samt Regen und Spears’schen Sexy-Flüster-Vocals. Ganz so, als sei dies kein Carpenter-Auftritt, sondern sie die Hauptdarstellerin in: „Britney – das Musical“. Spears turnte bei dem VMAs 2000 bekanntermaßen lasziv auf dem Bühnenboden herum, und auch das wird zu seinem 25-jährigen Jubiläum wieder aufgegriffen: Tate McRae, die technisch versierter, ja gelenkiger tanzt als Spears, hat sich den Bühnenboden zudem mit Sand bestreuen lassen, um dann ebenfalls den Millennial-Bait-Kniff des Jahres zu performen: die Spears’schen Sexy-Flüster-Vocals: „But you got a Spotsrtcar / We can uh-uh in it“ also: „Du hast doch einen Sportwagen / Wir könnten darin uh-uh machen“ flüsterte sie.

Britney sexyflüsterte viel. Beispielsweise das nun ikonische „Get Nasty“ in „Boys“ (2002). Ein Song, der komplett aus Flüster-Verführung besteht, die einem Boy scheinbar direkt ins Ohr gesungen wird, nur Sekunden bevor dann eben „uh-uh“ gemacht werden soll. Aber die Latte für Latten induzierenden Pop hängt hoch und Rae verfehlt sie. „Sportscar“ ist ein Song, der sich auch nach mehrmaligem Hören nicht einprägt. Ryan Tedder hat ihn produziert. Vielleicht sollte Rae sich an Swift halten und ebenfalls mal Max Martin anrufen?

2. … air frying, aber als kulturtechnik

Gegenwärtig ist, wer eine neue Backform erschafft. ZAH1DE ist es gelungen die Internet-Lingo „not that deep“ (etwa: ist nicht so dramatisch) in ihrem Song „Zahide Did It Better“ so zu intonieren, dass man im deutschrsprachigen Raum „not that deep“ automatisch in ihrer Betonung sagen will. Auch Shirin David gelang das mit ihrer Intonation von „Iced Matcha Latte“ in „Bauch Beine Po“. Diese auditiven Marker sind neue Backformen. Sprich: Memes. Auch für Millennial Bait gibt es ein Meme im Internet: „Reheating Someone’s Nachos“. Jemandes alte Nachos noch mal aufwärmen. Tate hat Britneys Nachos noch mal aufgewärmt. Und: Sabrina hat Britneys Nachos definitiv verbrannt.

3. coby county

Der Millennial-Kracht Leif Randt hat passend dazu einen Midlife-Crisis-Roman geschrieben. Halbironisch heißt dieser „Let’s talk about feelings“. Marian Flanders hat seine Mutter verloren, und das berichtet Randt so sachlich, wie es eben geht. War die Oberflächen-Beschreibung in Randts fraglos bestem Text „Schimmernder Dunst über Coby County“ (Berlin Verlag, 2011) noch ein ästhetisches Utopia in Weiß, Silber und Beige – eben kuratierte Instagram Ästhetik, ohne Instagram auch nur zu erwähnen, einfach oberflächenglatter Wohlstand, ja: die Perfektion (vgl. Vincenzo Latronico, Ullstein 2023), wähnt sich Randt-Protagonist Flanders nun am allzu unangenehm realitätsnahen Ende seiner Jugend.

Randt erklärt das Oberflächenabtasten seines Protagonisten nicht mehr als lustvoll leer, sondern als eine Art Defekt. Als könne Marian Flanders keinen greifbaren Bezug zu Anderen, zur Realität aufbauen. Und dann sind da all diese eher unangenehmen Gestrigkeits-Marker: Ein Berlin-Roman! Die Idee, eine Boutique zu führen! Und dann schon wieder Dating – aber jetzt über 40! Sowie auch einige vorauseilende Gestrigkeitsmarker, Dinge also, von denen man ahnt, dass sie literarisch schlecht altern werden, wie etwa das Erwähnen von TikTok. Kann es sein, dass einem, ab einer bestimmten Lebenserfahrung kein Snack mehr schmeckt? -.-

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 11/2025.