Kolumne

Aidas Popkolumne: Sind die Nullerjahre zurück?

Leute kaufen sich gefälschte Bewirtungsbelege von Ibiza-Clubs, um in den Socials so zu tun, als wären sie reich. Sind wir wieder in den Nullern?

Ich glaube, ich habe vor ein paar Tagen den Gipfel der Absurdität gesehen: Laut Social-Media-Berichten sollen Clubs in Ibiza Fake-Rechnungen anbieten, mit denen man auf Social Media flexen können würde, wie reich man sei – ohne es wirklich sein zu müssen. 100 Euro für eine Fake-Rechnung statt tatsächlich 10.000 oder mehr versaufen zu müssen? Klingt für manche wie ein guter Deal.

Den Privatjet-Fake gibt es ja schon lange – Fotogelegenheiten, bei denen man so tun kann, als würde man in einem Privatjet sitzen, dabei aber niemals abhebt. Und auch wenn das absolut gar nichts für mich ist, irgendwie kann ich es ja verstehen: während alles dauert immer teurer wird, sieht man bei Influencer:innen, wie absolut bodenloser Luxus gefeiert wird. Privatjet, Luxusuhren, und wie, du hast keine kleine Chaneltasche im Kleiderschrank und du kochst deine Nudeln nicht während du in einem Haute-Couture-Outfit steckst? Man muss sich schon immer wieder aktiv diesen Bildern entziehen, um ihnen nicht zum Opfer auf allen.

Es ist ja nicht so, als ob Flex-Culture etwas Neues sei – das alte Rom kann nur lachen – aber besser ist durch Social Media und dadurch, dass jede:r sein eigene:r Sender ist, auch nicht geworden. Und ich merke es, wenn ich selbst ausgehe: Es fühlt sich an, als ob so ein Marken- und Konsumfetisch, den ich noch aus den 2010er Jahren kenne und der in den Neunzigern und Achtzigern in Filmen wie „American Psycho“ zelebriert wird, mit voller Kraft zurück ist.

Bewusster Konsum, fairer Fashion, „Quiet Luxury“? Nur dumme Trends für Plebs und Normies, scheint der Zeitgeist uns zuzurufen. Nein, in Zeiten sich immer weiter verschärfenden sozialen Ungleichheit wird wieder Reichtum zelebriert, oder zumindest so tun als ob. Wie sonst lassen sich Phänomene wie die prollige Bezos-Hochzeit mit ihrer Schaumparty auf einer Luxusyacht und den richtig lächerlich geschmacklosen Einladungskarten erklären? Oder immer größer werdende Verlobungsringe auf Social Media, wie etwa der angeblich fünf Millionen-Dollar-Ring, den der Fußballer und verurteilte Steuerbetrüger Cristiano Ronaldo seiner langjährigen Partnerin geschenkt hat, oder Taylor Swifts gigantischer Verlobungsring?

Popkulturelle Trends aus der Mottenkiste

Und das sind nicht die einzigen popkulturellen Trends aus der Mottenkiste, die mit full force zurück sind – auch Essstörungen als ästhetisches Ideal, Misogynie und auch sonstige Abwertungen marginalisierter Gruppen werden wieder zelebriert, als hätten wir nie so gesamtgesellschaftlich mal ein Gespräch darüber geführt, dass es vielleicht nicht okay ist, Models zu Skeletten runterzuhungern und dass Anorexie und Co. nicht als Schönheitsideal gefeiert gehören. Aber ich hab da wohl was falsch verstanden, ich dachte, wir entwickeln uns so als Menschheit fort.

Am Freitag, den 19. September, war ich bei der Verleihung der International Music Journalism Awards, einem Preis für Musikjournalismus, bei dem ich seit ich ihn selbst zwei Mal erhalten habe, in der Jury sitzen darf (und die Verleihung moderiere!). Die Stimmung war, nun ja, gedrückt – überall wird Kulturjournalismus im Allgemeinen und Musikjournalismus im Besonderen gekürzt und es wird immer schwieriger, eine Popkulturberichterstattung zu machen, die keine Hofberichterstattung ist, wo Machtstrukturen auch kritisch hinterfragt werden. Aber es gibt ihn noch – zum Beispiel bei Matilda Jelitto, der Gewinnerin für den Preis als Musikjournalistin des Jahres auf Deutsch, und bei der internationalen Gewinnerin, Sophie Gilbert. Ihr Buch, „Girl on Girl: How Pop Culture Turned a Generation of Women Against Themselves“, gerade auf Deutsch als „Girl vs. Girl: Wie Popkultur Frauen gegeneinander aufbringt“ erschienen. Ich bin noch mittendrin und kann jetzt nicht sagen, dass es Spaß macht, das Buch zu lesen – aber ich glaube, es gibt kaum ein wichtigeres Buch, was im vergangenem Jahr erschienen ist. Zumindest für mich nicht. Sophie Gilbert schreibt über die ausgehenden Neunziger- und Nullerjahre, und darüber, wie der popkulturelle Diskurs um Geschlecht, um Schönheitsideale und ideale „Weiblichkeit“ eine ganze Generation an Frauen zu Selbsthass und internalisierter Misogynie erzogen hat.

Misogynie als Lifestyle

Sophie Gilberts Buch hat Erinnerungen hervorgerufen, die ich eigentlich tief in mir vergraben hatte. Nicht gerade angenehm, aber umso wichtiger, um den aktuellen Diskurs um Frauen, FLINTA, „Weiblichkeit“ zu verstehen, um das Phänomen der Tradwives, um die Diskussion um körperliche Selbstbestimmung, um all das besser greifen zu können. Und das ist eben, was Musik- und Popkulturjournalismus kann, wenn er richtig gut gemacht ist: Unsere Welt ein bisschen besser erklären, mithilfe von popkulturellen Produkten als Werkzeug und Vehikel.

Genau das brauchen wir heute mehr denn je. Auch politische Debatten werden immer mehr popkulturell geführt, wie wir das zum Beispiel im Wahlkampf in den USA gesehen haben. Trump macht keine Politik, er bietet ein popkulturelles Zeichenuniversum mit Sidekicks und Slogans, von dem man Fan werden kann, wo man sich mit ihm oder anderen Figuren aus seiner Welt identifizieren kann. Vielleicht ein bisschen wie bei einer Boyband. Der vor anderthalb Wochen aus bislang unklaren Motiven (auch wenn rechter Diskurs was anderes erzählen will) erschossene Rechtsaußenaktivist Charlie Kirk bot Politik für Schüler:innen und Studierende als popkulturelles Happening an, das mit wenig Nuancen und viel popkultureller Symbolik mehr Spaß zu machen scheint, als sich ernsthaft mit Debatten und Themen auseinanderzusetzen. Und in Deutschland haben wir aktuell ein Wirtschaftsministerium, das mit Memes und kecken Sprüchen auf Instagram Fakten über Energieversorgung … sagen wir mal: kreativ verdreht.

Der Sprung von einer Plattenkritik zu Katharina Reiches Edgelord-Memes scheint ein bisschen weit, aber letztendlich sind Musik- und Popkulturjournalismus genau dazu da: Phänomene und Codes zu erklären. Ob es nun ein schlecht gebautes Meme ist, oder das Bedürfnis so zu tun, als wäre man auf Ibiza feiern gewesen.

Aida Baghernejad schreibt freiberuflich unter anderem für MUSIKEXPRESS. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.