Kolumne

Antisemitismus als Karriere-Kick? Mach den Macklemore!

Antisemitismus sells! Macklemore ist der beste Beweis dafür, so Linus Volkmann in seiner neuen Popkolumne.


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Acts, die ihre Musik mit antisemitischen Codes aufladen, haben es schwer am Markt. Zumindest wollen sie einem genau das weismachen. Warum eigentlich? Antisemitismus sells! Der abgehalfterte weiße Rapper Macklemore ist der beste Beweis. 

Seit dem Überfall der Hamas am 07.10.2023 hat sich der Nahostkonflikt wie ein Fluch auch über die bunte Popwelt gelegt. Wobei man natürlich wissen sollte, dass er dort schon immer eine Rolle spielte – und vor allem durch den BDS (eine globale Boykott-Kampagne gegen Israel, die in Deutschland als antisemitisch eingestuft ist) mitunter weite Kreise zog und weiter zieht. Gerade auch in der anglo-amerikanischen Musikszene genießt diese Bewegung große Unterstützung, die Taten des 7.10. und ihre Folgen fungieren hierbei als Booster. Wer sich als links und progressiv markieren möchte, schmückt sich heute gern mit einer Kufiya oder – etwas dezenter – seine Social-Media-Profile mit dem Emoji der palästinensischen Flagge. Und es geht auch noch eins drunter: Um nur als Ally mitzuschwimmen, reicht auch das bloße Symbol einer Wassermelone. Die steht für die Sache der Palästinenser und wurde zum Beispiel 2024 durch einen Pin prominent gefeatured, den Billie Eilish bei den Oscars trug (also den ersten Oscars nach dem Hamas-Massaker an unter anderem einem ganzen Musikfestival).

Doch bei all solchem wohlfeilen virtue signaling dürfte klar sein, dass das Thema Nahost vor allem brisant und unversöhnlich ist. Und auch in der internationalen Musikindustrie stellt es einen immer größer werdenden Faktor dar. Viele israelische oder jüdisch gelesene Acts leiden seit dem 7.10. vermehrt unter Auftrittsabsagen. Die Musikerin Noga Erez machte diese Praxis öffentlich in einer viral gegangenen Ansage, die davon erzählte, dass sie von diversen Festivals ausgeladen wurde: „It’s not for anything that I said, it’s simply because I was born where I was born.“

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Oft werden solche Absagen nicht aus Überzeugung (welche sollte das im Falle von Noga auch sein?) ausgesprochen, vielmehr fürchten Veranstalter selbst ins Visier von Netzwerken wie dem BDS zu geraten, sollten sie deren Boykottaufrufen nicht nachkommen. Diese Verhältnisse sind für israelische oder auch nur israelsolidarische Acts global ein Problem geworden.

Hier dazu weiterlesen.

Andersrum differieren die Voraussetzungen doch deutlich. Ein englischer Musikmanager beschreibt seinen Eindruck auf dem letztjährigen Glastonbury Festival in England so: „Wir gingen in den Backstage-Bereich und überall, wo ich hinsah, wurde ich mit palästinensischen Flaggen begrüßt, es war wie eine Manie.“ Oder die Sleaford Mods, die im Herbst 2023 bei einem Konzert in Madrid von Teilen des Publikums so sehr bedrängt wurden, ein Palästinensertuch zu schwenken, dass sie ihr eigenes Konzert abbrechen mussten.

Und wer am Markt Erfolg haben möchte, muss den Markt eben lesen. So funktioniert das kommerzielle Musikgeschäft schon immer. Kein Wunder, dass davon auch ein ausgemusterter Act wie Macklemore profitieren suchte. Es ist ihm offensichtlich auch gelungen – und (so viel Dystopie muss man leider aushalten) er wird sicher nicht der einzige bleiben.

Statt mich darüber zu beklagen, hänge ich hier lieber ein kleines launisches Manual zu seinem Aufschwung an. Ich habe es verfasst mit einem kleinen Augenzwinkern (lies: im Strahl kotzend).

Disclaimer: Bevor es losgeht … Bei allem Hohn für und Ekel vor dem fatalen Impulsen von Macklemore möchte ich dennoch konstatieren, dass es diesem Typen grundsätzlich auch darum zu gehen scheint, sich für Unterdrückte einzusetzen. Das ist auf jeden Fall eine wichtige Haltung. Und sowohl Israelis wie Palästinenser*innen benötigen Support in diesen krassen Zeiten. Nur sollte jener Support – das ist meine Überzeugung – nicht noch mehr Hass und Spaltung schüren wollen. Das alles hier kann man natürlich auch komplett anders bewerten, was hier nun folgt aber ist mein Blick auf das Phänomen Macklemore und darüber hinaus.

Knick vs. Kick

Um einen Karriere-Kick zu benötigen, braucht es natürlich erstmal einen Knick. Und hier hat Macklemore einiges zu bieten. Sein Album BEN aus dem Sommer 2023 stellte einen amtlichen Flop dar. Hatte es das Vorgänger-Album in Deutschland noch in die Top Ten geschafft, war für BEN schon auf Platz 37 Schluss. Es fiel zudem bereits nach einer einzigen Woche wieder aus den hiesigen Charts raus. Besonders gravierend auch der Niedergang in seinem Heimatland USA. Dort verblieb das 2017er Album GEMINI 39 Wochen in den Top 100 und erhielt eine Platinauszeichnung für die Verkäufe. BEN von 2023 dagegen hielt sich – wie in Deutschland – nur eine einzige Woche in den Charts. Karriere-Knick deluxe! Das bestätigt sich auch in dieser Mail, ich erhielt sie von einem Kollegen der Musikexpress-Redaktion – und zwar am 06.02.2023 um 17:32:

„Hi Linus, eine Agentur bietet Macklemore zum Interview nächste Woche in Berlin an. In meiner Wahrnehmung ist der voll der Has-Been – oder siehst du das anders und willst da was machen? Lieben Gruß!“ 

Ich sah das nicht anders – ehrlich gesagt stelle ich jetzt gerade fest, dass ich auf diese Mail nicht mal geantwortet habe. Oops, sorry! Eine weitere Nachfrage des ohnehin desinteressierten Kollegen kam aber auch nicht. Glückwunsch: Das mit Karriere-Knick ist hier also accomplished.

I bims 1 Nahostexperte!

Jetzt gilt es. Wenn die aktuelle Musik eines in die Jahre gekommenen Partyrappers (größter Hit 2012 „Thrift Store“) heute keinen mehr juckt, muss man sich halt irgendwo anders mitdraufsetzen. Seinem abgeschmierten Album BEN schiebt Macklemore also im Frühjahr 2024 eine Stand-Alone-Single hinterher. „Hind’s Hall“ beutet den hochkomplexen Nahostkonflikt für eine populistische, einseitige Erzählung aus. Die Algorithmen und die postfaktische Gegenwart fahren – wen wundert’s? – natürlich voll auf die Nummer ab und holen den bereits abgemeldeten Rapper wieder zurück aus der Versenkung. Der versucht diese neue Bedeutsamkeit umgehend zu konservieren und schickt bald eine Fortsetzung dieses Songs ins Rennen. „Hind’s Hall 2“, damit’s auch jeder kapiert.

Nie wieder Krieg

Ganz unironisch: Der Songtitel „Hind’s Hall“ verweist auf ein fünfjähriges Kind, das bei einem israelischen Angriff getötet wurde. Es geht darum, Opfern ein Gesicht zu geben, das reale Drama rauszulösen aus Statistiken. Genau wie der auf dem Nova-Festival verschleppte und in den Hamas-Tunneln unter Rafah nach einem Jahr Gefangenschaft ermordete Hersh, ist Hind ein unschuldiges Opfer. Und jeder Tote einer zuviel. End this war!

Verschwörungstheorien? Immer gut!

Der Rebell ist im Pop stets attraktiver als der Bewahrer. Daher hilft es wenig zu konstatieren, dass nach dem 7.10. die Verbreitung des Hashtags #freepalestine um das Zwanzig- bis Fünfzigfache die von #westandwithisrael übertraf. Gerade TikTok und die sozialen Medien sind bis heute ein toxischer Tummelplatz für Intifadafluencer. Wer hier nach pro-palästinensischen oder auch antisemitischen Takes sucht, wird mehr als fündig. Oft auch wenn man nicht danach sucht … Doch um als Rebell neu durchzustarten, muss erstmal die Behauptung stehen, dass das, was man zu sagen haben, von „den Eliten“ nicht erwünscht sei. Macklemore baut seine Sprecherposition als White Saviour auf genau dieser Verschwörungstheorie in seinen Songs auf: „You can pay off meta / but you can’t pay off me“ beziehungsweise „You can ban tik Tok / take us out the algorithm / but it’s too late“. Gebannt von dunklen Mächten statt wegen Desinteresse des Publikums aus dem Blickfeld gerückt? So wird ein Schuh draus: Do the Macklemore!

Glaubwürdigkeit

Es könnte in aktivistischen Kreisen allerdings einen schalen Beigeschmack besitzen, wenn sich ein weißer Rapper einen populären Struggle einfach nur überstreift. Hilfreich ist es daher, etwas für die eigene Glaubwürdigkeit zu tun. Der Rap-Salesman, der uns jenen komplexen Konflikt erstaunlich einfach präsentiert, braucht also auch eine gute Backstory. Kein Problem, Leute. Macklemore kann da zum Beispiel auf einen Skandal von vor zehn Jahren zurückgreifen. Bei einem Konzert in Seattle provozierte er mit einer Verkleidung, die aus diffamierenden, jüdischen Stereotypen bestand (große Hakennase inklusive, siehe Titelfoto hier). Damals dementierte er die antisemitische Intention seines Kostüms noch. Der jüdische Schauspieler und Comedian Seth Rogen nahm ihm das damals schon nicht ab und beendete die Twitter-Auseinandersetzung damals mit dem spöttischen Satz: „Erst willst Du die Leute glauben machen, Du wärst ein Rapper, jetzt sollen sie Dir abnehmen, dass Du ein Jude bist?“

Und hier mehr dazu lesen.

Trump up

Wie im Krieg kann auf Kollateralschäden natürlich auch im Pop keine Rücksicht genommen werden. Macklemore wurde mit seinen zwei „Hind’s Hall“-Songs zu einem Verstärker für die pro-palästinensischen Protestierenden an den amerikanischen Hochschulen (deren Engagement ja auch nicht gerade frei ist von Antisemitismus). Sein Text arbeitet sich dabei dezidiert an den Demokraten ab – an Joe Biden und, nachdem jener als Kandidat abdankte, an Kamala Harris: „Blood is on your hands Biden / I’m not voting for you in the fall!“ sowie „Kamala stop sending money and weapons / or you not winning Michigan“.
Michigan? Moment … Das ist doch einer der berüchtigten us-amerikanischen Swing States, also einer jener Orte, an denen sich auch 2024 die Präsidentschaftswahl entschied. Und zwar zu Ungunsten von der Demokratin Harris. Sie wurde von Figuren wie Macklemore für deren eigene revolutionäre Profilschärfung benutzt und als unwählbar gebrandmarkt. Dass somit Trump der Weg geebnet wurde, der daraufhin sofort mit großer Härte gegen die Studentenproteste vorging und mit der humanitätsbefreiten „Idee“ einer kommerziellen Nutzung von Gaza schockte, ist vielleicht der größte Schuss ins eigene Knie dieser Bewegung. Macklemore macht’s möglich.

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Macklemores wortreiches Wirken zum Nahost-Konflikt kommt übrigens ganz selbstverständlich ohne Begriffe wie Hamas, Geiseln, siebter Oktober aus. Wieso, war da irgendwas?

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Dafür braucht es an anderer Stelle natürlich um so mehr Wortgeklingel. Am besten autoritäre Buzzwords, die keinen Raum für Austausch lassen. Ein bisschen colonize, genocide, intifada, white supremacy und ähnlich freshe Begriffe, die einem schon mal auf TikTok entgegengebrüllt wurden. Entscheidend für den Social-Media-Rap-Warrior der Jetztzeit: Die Texte von frühen Slime-Platten sollten dagegen klingen wie ein sehr differenziertes Referat. Ist das nicht der Fall, hast du vermutlich noch zu viel Reflexion drin. Das sähe unser Krafttier Macklemore sicher nicht gern!

Meme-Lord

Und plötzlich ist man auch wieder wer im Meme-Game.

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Back 4 Good

Na also, es geht doch. Karriere-Knick over. Macklemore ist wieder wer und wird zum Beispiel sogar in Deutschland neben Deichkind, Paula Hartmann oder K.I.Z auf das diesjährige Deichbrand-Festival gebucht. Glückwunsch. Und sollte es doch noch mal schwierig werden mit Bookings wegen seiner mannigfaltigen Öl-ins-Feuer-Aktivitäten … wie wäre es als Gaststar beim diesjährigen ESC? Dort, wie man auch dieses Jahr sieht, hat man stets ein offenes Ohr für Israel-Hass, äh, -kritik!

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