Ausgelacht von Vorbeifahrenden: Die Sache mit der Antilopen-Gang-Platte
Die neue Platte der Antilopen Gang ist raus. In Linus Volkmanns Kolumne dreht er dazu mehr als nur einen Stein um.
„Oh, ein Doppelalbum! Die Band muss ja literally in ihrer verdammten Kreativität baden!“ Ach von wegen, von so einer grundsätzlichen Begeisterung hinsichtlich einer Zweifach-Platte sollte man längst abgerückt sein. Man denke bloß an die Einblicke von Bela B. und Farin Urlaub von Die Ärzte, wenn sie in der Rückschau über ihr Album GERÄUSCH sprechen. 2003 erschien es als ihr erstes Studio-Doppelalbum – doch hinter dieser Big-Shot-Fassade verbarg sich, dass die Band nicht mehr an ausgewählten Stücken gemeinsam feilte – sondern viel eher dass jeder seine eigenen Songs ablud und fertig. In dieser vermeintlich so produktiven Phase schien die Band einer erneuten Trennung näher denn je.
Die Antilopen Gang sind ebenfalls zu dritt – und haben sie nicht unlängst noch Videos zu jeweils „eigenen“ Stücke veröffentlicht? Auf der „Punkrockplatte“ des neuen Doppel-Albums hat zumindest jeder „seinen“ Song. Panik Panzer „Der romantische Mann“, Koljah „Weg von hier“ und Danger Dan „American Fitness am Hermannplatz“. Ein Gimmick oder ein Riss im Gefüge?
Aber mal von vorne: ALLES MUSS REPARIERT WERDEN von der Antilopen Gang besteht aus einer HipHop- und einer Punkrockplatte. Klingt nach einem aufwändigen Unterfangen, das auch irgendwie der Größe und der Bedeutung ihres gemeinsamen Acts geschuldet ist. Ab einem gewissen Status kann man als Band schlecht nach etlichen Jahren Abstinenz bloß mal neun Songs raushauen und das soll’s dann gewesen sein.
Der Bienenkorb des hiesigen Popbetriebs will viel mehr geschüttelt werden wie ein exzentrischer Cocktail – und es mögen diverse Zusätzlichkeiten oder am besten noch Kontroversen mitgeliefert werden. Klingt stressig? Ist es auch. Kein Wunder, dass die Drei von der Antilopen Gang sich zuletzt abseits solch epochaler Anforderung auf freundlichen Abwegen vergnügten. Also dort, wo nicht gleich alles auf größten Bühnen im Scheinwerferlicht ausgeleuchtet werden muss. Panik Panzer schrieb eine vogelwilde Biographie bei Riva, diesem Krawall-Verlag, der sonst Literaten wie Montana Black oder Kollegah den Stift hält. Koljah fungiert als Co-Host mit viel Pfiff und leidenschaftlicher Pedanterie in den Listicle-Folgen von Jan Müllers „Reflektor“-Podcast. Außerdem brachte er mit Bobby Fletcher das Kollabo-Album VIELLEICHT IST ES BESSER SO heraus. Fehlt noch Danger Dan. Dessen spielerische Exkurse gerieten am Ende letztlich größer als die Gang selbst. Oops! Um seine Klavier-Soloplatte DAS IST ALLES VON DER KUNSTFREIHEIT GEDECKT und auch diese Geburtstagsparty in der ausverkauften Wulheide führte kaum ein Weg herum.
Nun also das Antilopen-Doppel-Album ALLES MUSS REPARIERT werden. Das ist nach ABBRUCH ABBRUCH von 2020 und noch vor Corona jetzt mal wieder der hochoffizielle Wurf – mal gucken, ob nicht wegen der einhergehenden Erwartungshaltung die nötige Lockerheit fehlt. Ich muss sagen, ganz so viel hatte ich mir nicht erwartet und bin vielleicht auch deshalb besonders starstruck von dem Ergebnis.
Der Song zu dem Schweigen in der Linken nach dem 7.10. erschien zuallererst. „Oktober in Europa“ verzerrt möglicherweise die Wahrnehmung, weil sowohl Thema wie auch das Stück einfach larger than life sind. Im Interview wird Koljah sagen, dass es noch kein Stück von der Antilopen Gang gegeben hat, dass so viele Reaktionen erzeugt hat.
Doch auch neben diesem dramatischen Solitär haben die drei Bärtigen ein Werk aufgestellt, dass Bestand haben wird. In jenem Interview erzählen sie aber auch, dass ihnen gerade die HipHop-Seite nicht leicht fiel, sie allerdings die Arbeit an den deutlich unmittelbareren, mitunter quatschigen Punksongs als Ausgleich erlebt haben. Hier muss nicht alles staatstragend und double checked sein, hier geht auch mal ein lustiger Rant darüber, dass man den eigenen Freunden bitte nie beim Umzug helfen will, oder es werden Insider-Gags über die etablierte Deutschpunkszene der Gegenwart vertont in „Ruhrpott Rodeo“. Die HipHop-Seite dagegen geht tief und rührt immer wieder daran, was an dieser Band das wirklich Interessante darstellt: Möglichst präzise Welt- und Selbstbetrachtung. Immer noch mal eine weitere Schleife, um möglichem Selbstbetrug auf die Schliche kommen, immer noch mal ungeschöntere Wahrheiten sich und allen anderen gegen den Kopf hauen. Doch dabei soll nicht alle Hoffnung fahren gelassen werden und auch der eigene Witz darf nicht zu Sarkasmus gerinnen. Also dass diese Gratwanderung nicht leicht gefallen ist, glaub ich gern. Dass ALLES MUSS REPARIERT WERDEN magischerweise aber dann genau so klingt (hoffnungsentkernt aber nicht lost), ist vermutlich die größte Leistung.
Im Interview sprachen wir über den Druck, der sich hinter all dem auftürmte und natürlich auch über den positiven wie negativen Backlash des Songs „Oktober in Europa“. Lesen könnt ihr das in der aktuellen Print-Ausgabe des Musikexpress. Vertraut mir, ihr werdet so gut aussehen mit einem aktuellen Popmagazin unter dem Arm, probiert es aus!
Danger, Panik und Koljah erzählten allerdings auch die unglaubliche Geschichte von dem Videodreh zu dem Stück „Sympathie für meine Hater“ und die passte nicht in die Printversion meines Interviews. Die lest ihr daher wiederum ganz exklusiv hier. Viel Spaß.
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Antilopen Gang im Interview
Man hat über euer Social Media mitbekommen können, dass einiges von diesem Pannen-Trip zum „Grüße an meine Hater“-Clip echt und nicht gescriptet war. Könnt ihr die Geschichte hier mal ausbreiten?
Panik Panzer: Diese Videodreh-Planung dafür lief ziemlich rumpelig und Hals über Kopf. So nahte dieser Dreh-Termin und irgendwie war keinem so richtig klar, was passiert. Ursprünglich wollten wir mit Thees [Uhlmann] in einem Taxi an die Nordsee fahren, aber das hat dann alles nicht hingehauen. Dann habe ich in Berlin diesen uralten Subura irgendwo verlassen stehen sehen – mit dem Vermerk „Zu verkaufen“. Da habe ich einfach die Nummer gewählt und gefragt, ob wir uns den auch für ein Video leihen könnten. Als das tatsächlich Okay ging, blieb nur noch die Frage, wer soll das Ding denn fahren? Die Wahl fiel auf Merlin Sandmeyer [u.a. „Die Discounter“], von dem wir alle Riesenfans sind. Zwei Tage vor Dreh haben wir ihm eine Mail geschrieben – und der sagte einfach so zu! Dann blieb uns also nichts übrig, wir sind alle in der Kiste losgegurkt. Auf der Fahrt wurde uns dann schnell klar … dieser Wagen sollte nicht ohne Grund verkauft werden. Es hat wirklich nichts mehr funktioniert, man konnte froh sein, dass da noch ein Blinker irgendwie geblinkt hat. Wir sind damit dann trotzdem Richtung Kiel aufgebrochen.
Koljah: Man durfte den Motor nicht ausmachen …
Panik Panzer: Genau, „macht lieber nie den Motor aus“, das hat uns die Besitzerin noch mit auf den Weg gegeben. Das bedeutete, wir standen teilweise eine Viertelstunde auf irgendwelchen Raststätten rum – und das Auto lief. Mit der Zeit hat es dann auch erbärmlich gestunken und irgendwann mitten auf der Autobahn ging er dann einfach aus – und das war’s. Auch für unsere Idee zu dem Clip. Die war eh nicht gerade gut, aber uns fehlte die Zeit, eine bessere auszuarbeiten. Also das Video sollte romantisch und kitschig im Sonnenuntergang enden. Roadtrip-Finale irgendwo an der Nordsee. Doch wir standen nun auf dem Standstreifen der Autobahn, es hatte angefangen zu regnen und allen war klar, wir werden es zu keinem malerischen Strand mehr schaffen. Keine Chance. Daher haben wir es mit dieser Abschleppstory fertig gedreht – was am Ende die interessantere Geschichte geworden ist. Denn dieser notdürftig geplante Sonnenuntergangskitsch wäre einem Antilopen-Video doch nicht würdig gewesen, der Zufall hat uns davon erlöst.
Konntet ihr das Auto danach dann einfach aufgeben?
Nein, diese Karre auch noch zurück zu der Besitzerin zu bekommen, war auf jeden Fall noch ein schönes Drama. Shoutout an Dennis aus Flensburg, der uns das Ding dann vor Ort noch repariert hat, so dass wir diesen Subaru mit Ach und Krach nach Berlin überführen konnten. Es war auf jeden Fall ganz schön viel Heckmeck für so ein kleines Video.
Dieser Dennis, der euch geholfen hat, der gehörte offensichtlich auch nicht zum Plan?
Koljah: Nee, das war kein Promo-Stunt, sondern wir haben wirklich auf Instagram diesen Aufruf gemacht an die Antilopen-Fans, ob irgendjemand unseren Wagen abschleppen kann. Alles, was man im Video sieht, ist echt. Da kommt ein echter Abschleppdienst und wir haben auch wirklich diese Warnwesten an. Man sieht das auch am Ende an Merlin Sandmeyer, der genialerweise einfach in seiner Rolle geblieben ist, als er mit diesem ADAC-Typen geredet hat und noch irgendwas bezahlt mit seiner Kreditkarte. Aber der ADAC hat uns nur zu einer Werkstatt im nächsten Kaff gezogen – und von da mussten wir das Auto dann auch wieder weg kriegen. Daher kam dann dieser Dennis, weil wir bei uns auf Instagram um Hilfe baten. In der Summe wirkte das, als hätten wir für den Clip eine Riesenkampagne gefahren, doch das war alles einfach ein Zufallsprodukt und echt.
Eine Sache verstehe ich aber immer noch nicht an dieser Geschichte – und das ist dieser Subaru. Der sieht ja jetzt gar nicht so spektakulär aus, dass man den unbedingt für einen Videoclip haben wollte. Wenn das ein klappriger Mustang mit Airbrushbild auf der Motorhaube gewesen wäre, in dem in den Siebzigern schon die Deadheads gefahren wären, das hätte ich verstanden. Aber warum habt ihr nicht einfach bei Europcar oder wie das alles heißt, ein normales Auto gemietet? Also eins, das halt fährt?
Danger Dan: Für mich und Tobi [Panik Panzer] war das so eine Art Traumabewältigung, denn wir mussten einige Familienurlaube in Frankreich in so einem Auto bestreiten – nur in einer noch hässlicheren Farbe. Schon damals wurden wir von Vorbeifahrenden ausgelacht – was übrigens in dem Dreh auch passiert ist. Wenn du mit so einem Wagen mühsam auf der Autobahn fährst, überholen dich Leute und lachen! Aber noch mal zur Entscheidung für diesen Subaru: Bei so einem Video kann man ressourcenorientiert denken und du nimmst einfach irgendwas, das fährt. Oder man könnte – gerade als Rapper – sich eine Protzkarre mieten. Wir fanden aber die Idee geil, wir nehmen das Auto, das am beschissensten ist von allen. Und das haben wir geschafft! Wir haben ja nicht nur das beschissenste Modell genommen, sondern auch unter diesen dann noch den beschissensten Subaru Libero genommen, den es überhaupt gibt auf der Welt.
Post Scriptum
Als Rausschmeißer hier noch mal der magische HipHop-Beef, den ich mit der Band in den Zehner Jahren unterhielt.
Ein Wunder, dass nicht geschossen wurde!
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.