Black Crowes


Drum-Computer? Nein Danke! Samples und Sponsoring? Undenkbar! Sechs Männer aus den Südstaaten rollen mit handgemachtem Rhythm & Rock geradewegs zurück in die Zukunft. ME/Sounds sprach mit zwei von ihnen.

Was für eine Vorstellung. Die Rolling Stones spielen Big Band Jazz, R.E.M. klingen wie Chuck Berry und Take That beschwören mit wütendem Punk die Anarchie: allesamt Musiker, die ein Genre bevorzugen, das zum Zeitpunkt ihrer Geburt gerade populär war. Genau das praktizieren die Black Crowes: seit drei Alben. Sänger Chris Robinson wurde 1966 geboren, sein Bruder Rich drei Jahre später. Als sie im aufnahmefähigen Teenie-Alter waren, hing Punk längst am Tropf, Dire Straits und Spandau Ballet gaben den Ton an, und nur Heavy Metal versprach die Rettung des Rock’n’Roll. Dennoch verkörpert die Band aus Atlanta eine Mixtur Marke ’69: C&A-ferner Hippie-Chic trifft auf klassischen Rhythm & Rock.

Zeitmaschinist Chris Robinson: „Als Kind hörte ich Musik querbeet: Folk und Blues aus den zwanziger und dreißiger Jahren, afrikanische Folklore, Gospel, Country, Bluegrass, Jazz und Rock. Alles von Muddy Waters bis zu den Dead Kennedys.“ Daß in die Jahre gekommene Gralshüter des Rock’n’Roll den Black Crowes immer wieder vorwerfen, sich lediglich aus dem Lehrbuch vergangener Rock- und Bluesgrößen zu bedienen, stößt bei ihm auf mittelschweres Unverständnis: „Das ist ein Ego-problem dieser Leute, frei nach dem Motto „meine Jugend war wichtiger als deine. Ich darf bunte Klamotten tragen, du darfst das nicht.“ Vor drei Tagen war ich in Spanien, wo mich ein Journalist fragte, wie man sich als Teil des Blues-Revivals fühlt. Ich sagte ihm: Du lebst hier in Spanien, was sicher cool ist. Du siehst Musik und Trends kommen und gehen, aber da wo ich herkomme, sind Blues, Soul, R&B und Rock’n’Roll immer präsent. In Atlanta gibt’s kein Blues-Revival, da ist der Blues bis heute lebendig.“

Künstlich revitalisiert wirkt indessen das fransige Outfit, mit dem die Black Crowes seit fünf Jahren den optischen Zeitsprung in Richtung APO und Gilbert Sheltons „Freak Brothers“ praktizieren. Immerhin geben die Siebziger mittlerweile wieder den bunten Ton im Mode-Mainstream an. „Niemand, der über Modetrends berichtet“, wiegelt Chris Robinson ab, „erwähnt die Black Crowes. Und das ist auch gut so. Ich kann mich darüber amüsieren, wenn Madonna allen Ernstes behauptet, sie hätte die siebziger Jahre erfunden. Vor ein paar Jahren hat sie für die Menschheit den Sex entdeckt, nicht wahr? Wir jedenfalls haben diese Ära weder kreiert noch wiederbelebt, unsere Klamotten hatten nie etwas mit Mode zu tun, sondern bestenfalls mit unserem Geschmack.“

Aus Gitarrist Rich Robinson, der weitaus ruhiger und gesetzter wirkt als sein quirliger Bruder, bricht es heraus: „Mir sind Musiker weitaus suspekter, die auf der Bühne mit einer Kettensäge hantieren müssen, damit keiner merkt, wie beschissen ihre Songs sind. Oder nimm eine Band wie Aerosmith. Sie zählten immer zu unseren ‚all-time favourites‘, erst als wir mit ihnen auf Tour gingen, merkten wir, wie unehrlich sie eigentlich sind: Aerosmith verwenden Playback-Tapes und Samples auf der Bühne, sie lassen ihre Shows von Bierkonzernen sponsern, aber verkaufen während des Konzerts keinen Alkohol. Mittlerweile haben sie diese aufwendigen Computer-Videos, die irgendwelche Art-Direktoren für sie anfertigen, wahrscheinlich, weil sich ihre Songs sonst nicht verkaufen. Sie haben Songwriter angestellt, weil ihnen selbst nichts mehr einfällt. Desmond Child schreibt die Hälfte ihrer Stücke.“

Die Black Crowes als Hüter des Guten, Schönen und Wahren? Als technologie- und sponsorenfeindliche Einzelkämpfer inmitten einer korrupten Musikwelt? Chris Robinson sieht die Dinge gelassen und kann sich über die Auswüchse des Big Business viel leichter lustigmachen als sein angesäuerter Bruder: „Wir flogen aus ZZ Tops Vorprogramm raus, weil wir uns gegen das Sponsoring aussprachen. Als dann unser Cannabiskonsum bekannt wurde, bekamen potentielle Sponsoren ohnehin kalte Füße. Sie wollten nicht, daß ihr Produkt mit uns in Verbindung gebracht wird. Wir fanden das ganz hervorragend, denn nun mußten wir niemanden beleidigen, indem wir sein Angebot ablehnen. Und uns beleidigt seitdem niemand mehr, indem er uns ein Angebot macht.“

Natürlich locken auch Offerten, die ein echter Black Crowe niemals ablehnen würde. Daß Mr. Robinson & Co. gerne und häufig kiffen, ist ja kein Geheimnis. Problem ist: Während einige europäische Staaten die Gesetze überallsieren, scheint Bill Clinton, der nach eigenem Bekunden Hasch geraucht, aber „nicht inhaliert hat“, meilenweit vom Reformwillen entfernt. Bilanziert Chris Robinson: „Menschen die Dope rauchen und davon gibt es in den USA mehrere Millionen – droht Gefängnis. Alles, was ich dazu sagen kann: Ich bin kein Rassist, ich trage keine Waffe, ich fahr nicht besoffen Auto, ich hoffe, daß ich ein guter Mensch bin und habe nicht die geringste Lust, für etwas, das ich mag, in den Knast zu wandern.“ Bruder Rich fügt hinzu.“Viel schlimmer ist doch, daß eine Regierung die Menschen dazu bringt, Dope-Raucher zu hassen. Was ist gefährlicher: ein Jugendlicher, der kifft, oder einer, der ständig eine Waffe trägt?“ Erneut setzt Sankt Robinson zum Sermon an: „Ich hasse die Scheinheiligkeit gewisser Musiker, die sich tonnenweise Kokain in die Nase schaufeln und dann für MTVs Anti-Drogen-Kampagne just Say No‘ posieren. Ich liebe Cannabis, aber ich würde niemals dafür Reklame machen.“

Im coolen Weltbild der Crowes eine Selbstverständlichkeit, denn Musiker, die über etwas anderes sinnieren als ihre Musik, machen sich bei den Robinsons von vornherein verdächtig. Und wer wie Pearl Jams Eddie Vedder gar seinen Status als Rockstar zur öffentlichen Diskussion stellt, gilt als unglaubwürdiges Weichei. „Schon wieder so eine Ego-Geschichte“, befindet Doktor Robinson. „Eddie sollte besser über seine Musik reden, und nicht über seine gesellschaftliche Bedeutung. Das ist selbstverliebt. Wen interessiert, ob du dich als Rockstar wohlfühlst? Tust du es nicht, solltest du deinen Beruf wechseln.“ So einfach ist das. Zwar habe er anfangs auch Probleme mit der Popularität gehabt, da er immer dachte, eine Platte, die sich j gut verkaufe, müsse zwangsläufig kommerzieller Mist sein. Aber man lernt dazu: „Das ist natürlich blanker Unsinn. Mir ist mittlerweile klar: wenn das Musikbusineß Afrika entspricht, sind die Black Crowes bestenfalls Madagaskar.“ Und überhaupt. Wer sich als Rock’n’Roll-Junior beklagt, solle erst mal darüber nachdenken, was Musiker wie Bob Dylan, Mick Jagger oder Elvis Presley in ihrem Leben durchgemacht haben.

Stichwort Jagger. Auf die Frage, ob er wie Meister Mick auch noch als 5ojähriger über die Bühne sprinten möchte, schleicht sich in Chris Robinsons Stimme erstmals Verlegenheit ein. „Ich hoffe, ich bin nicht wie Mick Jagger, wenn ich einmal 50 sein sollte. Bei allem Respekt: Er ist so unaufrichtig.“

Ein klarer Fall von Ikonenschändung, vor allem wenn man wie Aerosmiths Steven Tyler davon ausgeht, daß Jagger Gott ist. Doch was soll ein Rock’n’Roller, der Keith Richards als Rollenmodell bevorzugt, auch anderes sagen? „Mick ist ein Geschäftsmann, der so reich werden will wie Michael Jackson oder Paul McCartney. Keith ist anders, er ist ein waschechter Musiker. Ich bewundere Jerry Garcia, der mittlerweile auch über 50 ist. Wenn ich mir genauso treu bleiben kann wie er, wie Neil Young oder die Allman Brothers, dann will ich auch mit 50 noch Rock’n’Roll singen.“

Den Namen Steven Tyler erwähnt man in diesem Zusammenhang besser nicht, denn die Dicklippe von Aerosmith steht auf der Robinson’schen Abschußliste ganz weit oben. Man weiß ja mittlerweile, warum. Doch Rich erregt sich erst recht über den Scheinkampf der Luftschmiede mit dem amerikanischen Konzertkarten-Monopolisten Ticketmaster um niedrigere Konzertpreise: „Pearl Jam fingen den Stunk an, weil sie zuwenig Tickets verkauften. Und Aerosmith dachten wohl, es wäre ein genialer Schachzug, sich als Rock-Dinosaurier an die populistischen Aktivitäten einer angesagten Alternativband zu hängen. Komischerweise taten sie das erstnach Abschluß ihrer Tournee.“

Konfliktscheu sind die Robinsons bestimmt nicht, auch untereinander regiert oft Streit. Der große Bruder spricht: „Letztes Jahr redeten wir einen Monat lang nicht miteinander, doch nach vier intensiven Jahren auf der Straße beendeten wir unsere kindheitsbedingten Konkurrenzkämpfe . Seitdem läuft es phantastisch. Was gibt es besseres, als wenn derjenige, der dir mit seiner kreativen Kraft zur Seite steht, auch noch dein Bruder ist?“