Britische Bescheidenheit


Von ihrem Heimatland England zunächst ignoriert, sorgten Radiohead in Amerika für Aufsehen. Trotzdem wollen sie bescheiden bleiben - wie ihre Vorbilder von R.E.M.

Fast wie im Fußball: Ein einziger Treffer kann die Weichen stellen für eine komplette Karriere. Für Radiohead war dieser Treffer eine Single namens „Creep“, der perfekte Song über die Befindlichkeit einer Generation, ausgestattet mit Grunge-Elementen, Fernweh und sensiblen Gitarren. MTV spielte sowohl „Creep“ als auch die Songs des eilig zusammengestellten Debut-Albums „Pablo Honey“ rauf und runter. Und eh man sich versah, avancierten Radiohead, die in ihrer englischen Heimat bis dahin noch weitgehend ignorierten Provinz-Boys aus Oxford, im fernen Amerika zu einem angesehenen und begehrten Art. Doch mit dem Erfolg kamen auch die Probleme.

Gerüchten zufolge hielt Sänger und Texter Thom Yorke im Zuge seiner wachsenden Popularität dem Druck des permanenten Champagnertrinkens nicht stand. Die Folge: Neue Songs ließen auf sich warten. Schließlich fand das zweite Album von Radiohead aber doch den Weg in die Plattenläden. Und siehe da: Schon bald wurde „The Bends“ als eines der großen Gitarrenalben der jüngeren Vergangenheit gefeiert. Nicht ohne Grund,denn Yorke hatte es geschafft,für seine Erlebnisse in den USA eindringliche Metaphern zu finden.die ihrerseits in clever aufgebaute Songs über die Unbilden der menschlichen Existenz mündeten.

Derweil hatten Yorkes Mitmusiker gelernt, mit viel Emotion zu rocken, ohne dabei im Pathos zu ersticken. Trotzdem: Bis es so weit war, hatten Radiohead etliche Klippen zu umschiffen:“lch kann dir ganz genau sagen, was für uns der große Wendepunkt war“,erinnert sich Gitarrist Jonny Greenwood in jenem ernsten aber freundlichen Ton, welcher der ganzen Band eigen ist, „es war der Moment, in dem uns bewußt wurde, daß wir im Musikbusiness unseren Platz und mit unseren Songs etwas erreicht hatten. Zu dieser Einsicht kamen wir am letzten Tag unserer US-Tournee als Vorband von R.E.M., also etwa ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung von ‚The Bends‘.“

Immer noch schwingt Stolz mit, wenn Greenwood sich an die gemeinsame Zeit mit Michael Stipe und seinen Mannen erinnert:“Es war für uns eine große Ehre, von R.E.M. als Opener für ihre Konzerte eingeladen worden zu sein. Der Grund, weswegen ich seinerzeit überhaupt zur Gitarre gegriffen hatte, war nämlich das Spiel von Peter Bück gewesen.‘ Auch heute noch werden Radiohead nicht müde zu betonen, wie stark sie von den Fantastischen Vier aus Athens beeinflußt sind. Nun aber, bei besagter Tournee, hatte man den direkten Einblick in das Leben der amerikanischen Superstars. „Wir erlebten, wie sie umgeben waren vom Luxus reicher Rockstars – jeder im eigenen Bus und so, riesige Stadien – und trotzdem begegneten sie uns als ehrliche und herzliche Menschen. Ihre Passion für die Musik ist ungebrochen.“ Am deutlichsten war diese Tatsache zu spüren, wenn Radiohead im Vorfeld von R.E.M. ihre Auftritte absolvierten:,Jeden Abend standen Michael, Peter und die anderen am Bühnenrand und schauten uns zu. Diesen Umstand fanden wir ungemein rührend und beflügelnd.“ Doch das Beste sollte noch kommen: „An unserem letzten Abend, als wir die Bühne bereits verlassen hatten, kamen alle R.E.M.s angerannt, zerrten uns zurück vor die Mikrophone, schenkten uns Champagner ein, und riefen den 20.000 Leuten in der riesigen Arena zu ‚Wir lieben diese Band‘. Das war für uns ein traumhafter Moment. Beinahe so etwas wie unsere eigentliche Daseinsberechtigung.“

Und was, wenn die Erfolgsgeschichte von Radiohead mit dem neuen Album ihre Fortsetzung findet? „Auf gar keinen Fall wollen wir paranoide Arschloch-Stars werden, die ihre teure Villen mit riesigen Mauern umgeben. R.E.M. haben uns gezeigt, daß es möglich ist, auch als größte Band der Welt Spaß an der Sache zu haben.“ Trotzdem: Für die Aufnahmen von „Ok, Computer“ (siehe Plattenteil) zogen sich Radiohead erstmal in die Grafschaft Oxfordshire zurück, wo sie ein heruntergekommenes Landhaus zum eigenen Studio umbauten. Die Platte selbst produzierten sie überwiegend in Eigenregie, zum Teil in ihrer neuen Dependance, zum Teil in einem Landhaus bei Bath, wohin sich auch The Cure schon einmal zum Songschreiben zurückgezogen hatten und wohin sich Johnny Cash begab, um sich auf seinen Auftritt beim Festival in Glastonbury vorzubereiten. Bei so viel geistiger Nähe zu großen Namen der Musikwelt kann „Ok, Computer“ eigentlich nur ein Erfolg werden.