Covervisionen


WILCO (THE ALBUM) von WILCO fotografiert von Autumn de Wilde, gestaltet von Jeff Tweedy und Lawrence Azerrad

1 Die Ideen

Wer beim Anblick des Coverbildes von Wilcos siebtem Album erst einmal in shock andawe erstarrt, reagiert ganz im Sinne von Bandkopf und Co-Designer Jeff Tweedy. “ Ich wollte, dass wir ein Foto hinkriegen, bei dem man denkt:

,Was zum Teufel ist denn HIER los?'“

Selbst zu dieser vagen Grundidee war es ein weiter Weg.

„Wir haben lange am Artwork herumüberlegt und hatten verschiedene Arbeiten von Künstlern, moderne, abstrakte Sachen, die mir gut gefielen. Aber nichts davon fühlte sieb an wie die Platte. Irgendwann sagte ich: Lasst uns einfach einen Photoshoot machen, ein paar schräge Sachen anstellen und sehen, was rauskommt. Eine Idee war, unsere Nudie-Suits, diese Country-&-Western-Anzüge, in ein Schaufenster zu stellen. Und dazu dann Bilder von Leuten, die diese A nzüge gekauft hatten und sie nun trugen, in ihrem Alltag.“ Diese Idee wurde im Booklet auch umgesetzt. Es spricht aber für den – gern ja in Abrede gestellten – Humor der Band, dass eine andere Fotoserie die Hauptrolle im Artwork spielt. Tweedy:

„Ich meinte: Lasst uns auch Bandfotos machen, aber etwas, wo man denkt:,,Was geht hier ab f Und warum bin ich da nicht dabei? Ich will da dabei sein!‘ Ein Referenzfoto, als wir die Idee berieten, war ein Bild von The Who aus den 60ern: Die Band hinten auf dem Magic Bus mit einem Elefantenbaby, Nun: Wir konnten kein Elefantenbaby auftreiben – aber ein Kamel.“

2 Das Kamel Der Coverstar ist Alfred, ein mit 22 Jahren mitten im Leben stehender Trampeltierbulle (Trampeltiere werden bis zu 40 Jahre alt) von einer Farm in Wisconsin, den man für Events buchen kann; auf dem breiteren Bildausschnitt der Schuber-Außenhülle der CD ist am linken Bildrand sein Betreuer zu erkennen, stilecht gekleidet in einen Nudie-Suit. Trampeltiere a.k.a. Zweihöckrige oder Baktrische Kamele bilden zusammen mit den einhöckrigen Dromedaren die Gattung der Altweltkamele und sind primär in Asien als domestizierte Nutztiere verbreitet. Weltweit gibt es 2,5 Millionen Tiere, davon nur etwa 950 (!) in freier Wildbahn. Die Frage, ob die Wahl auch wegen der augenfälligen W-wie-Wilco-Form seiner Höcker auf Alfred fiel, quittiert Jeff Tweedy mit einem sibyllinischen Lächeln. Wichtiger ist ihm die Assoziation mit dem Bibelzitat, wonach eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Himmelreich – eine Assoziation, die Tweedys dunkelgrau-existenzialistischem Humor entgegenkommt. „Als mir dieses Zitat in den Sinn kam, wurde für mich langsam eine runde Sache aus der Idee.“

3 Die Party Wessen Geburtstag hier gefeiert wird und ob Alfred eher der letzte Partygast ist oder der erste, bleibt offen. Die sechs Stühle sind jedenfalls für Wilco bestimmt, und auf der Rückseite des Booklets sitzt die Band dann auch – Partyhütchen auf den Köpfen und mit Luftriissel-Tröten bewaffnet – um die wenig appetitliche orangefarbene Tone herum. Ein herrlich surreal-witziges Bild, das Jeff Tweedy wohlweislich nicht zerreden will.

„Alles, was man eigentlich wissen muss, ist: Wir hängen da mit dem Kamel ab. Und es bat eine größere Chance, ins Himmelreich zu gelangen, als wir. Haha!“

4 Mader’s Restaurant Der Photoshoot fand statt vor dem Restaurant „Mader’s“ in Milwaukee. Wilco spielten Mitte April zwei Konzerte in der Stadt und hatten wegen der drängenden Deadline die Fotografin Autumn de Wilde die schon Cover für Elliott Smith, Jenny Lewis, Raconteurs, White Stripes, Beck u.a. schoss und übrigens auch das überdimensionale Partyhütchen für Alfred bastelte – dorthin bestellt. „Mader’s“ ist ein traditionsreiches deutsches Restaurant, in dem schon John F. Kennedy und Ronald Reagan die „ethnic German cuisine“ (Website) genossen. Zu den Outtakes der Session zählen Fotos, auf denen die Band von einer „servingfrau“ (Tweedy) des „Mader’s“ Bier kredenzt bekommt. Der pseudodeutsche Baustil des Wirtshauses verleiht dem Foto eine gewisse alteuropäische Anmutung – und kam Jeff Tweedy bei der Erfüllung eines lang gehegten Wunsches entgegen…

5 Die Frakturschrift “ Bei jeder Platte bisher habe ich den jeweiligen Grafiker gebeten, doch maleine Heavy-Metal-Schrift auszuprobieren, was Alt-Englisches oder so – und jedes Mal wurde ich ausgelacht. Diesmal hob ich einfach so eine Schrift – eine altdeutsche Fraktur – in den Rohentwurf eingebaut. Und alle so:, Hey, das sieht ja ganz stimmig aus.‘ Ich habe endlich gewonnen!“, jubelt Tweedy und räumt ein, dass er den Triumph vor allem der Tatsache verdankt, dass die Fraktur bereits im „MaderV-Schriftzug (hinter dem linken Höcker) „angetriggert“ ist; Grafiker stehen auf so was.