„Das Album bin ich“


Kele Okereke über das kommende Bloc-Party-Album. In den Nebenrollen: begriffsstutzige Musiker und englische Chauvinisten

Wieder so eine Häuserruine am Rande des Londoner East Ends, wo trendige Cocktailbars, kakerlakenverseuchte Gangsterhöhlen und abgestürzte Pete Dohertys sich und der Welt Gute Nacht sagen. Die Holywell Lane stinkt nach Pisse, der windschiefe Kasten mit seinen zufällig hingeklecksten Klingeln könnte ein Billigbordell sein.

Eine steile Steintreppe führt in den Keller, wo Produzent Facknife Lee am Computer sitzt und die Finger über die Tastatur flitzen lässt. Bassist Gordon Moakes steht unter dem Lautsprecher und schweigt, Gitarrist Russell Lissack hockt hinter dem Mischpult am Boden und liest. Auf dem Sofa wartet Liz Neumayr auf ihren Auftritt. Die wienerische Stimme von Ladyfuzz teilt sich mit Kele Okereke die Wohnung und soll dem neuen Opus von Bloc Party einen weiblichen Touch verpassen.

Vorher ist Drummer Matt Tong dran. Hinter der Panoramascheibe versucht er sich an „Aaa-ohhh-aaa“ in verschiedenen Oktaven. „Noch mal“, nuschelt Jacknife in bestem Dubliner Englisch, „und noch mal“. Der Produzent sieht aus, als habe ihm eine Maus am Haar geknabbert. Das werden seine noch aktiven Punk-Gene sein: Er gehörte einst zu Thee Amazing Colossal Men und Compulsion, führende Lichter einer Neo-Punkbewegung, die Mitte der 90er Schwung in die Bude brachte, aber vom Brit-Pop verdrängt wurde. Unterdessen hat er den Zeitgeist doch noch eingeholt. Zuerst fertigte er im Umfeld von Howie B. Electronica an, ehe er als Produzent von U2S how to dismantle AN ATOMIC BOMB auftrat und mit FINAL STRAW das Durchbruchalbum von Snow Patrol produzierte. letzt ist er daran, dem zweiten Album von Bloc Party den letzten Schliff zu geben.

Drei noch nicht abgemischte Hörproben werden serviert. „New Song“ (sagt Studioassisent Tom) fängt stark an. Ein militärischer Beat erzeugt eine beklemmende Atmosphäre, in der Okerekes Gesang noch seelenvoller klingt. Streicher sorgen gegen Ende hin für versöhnlichere Töne. „Hunting For Witches“ schafft mittels perkussivem Sample-Einsatz einen dichten Klangteppich, der von Lissacks Gitarre synkopiert wird. Auch die dritte Nummer, „It Started In The Afternoon“, hat einen feisten Sound. Spiralige Gitarrenphrasen münden in einen pfundigen Bass-Riff und eine Melodie, groß genug für einen Auftritt auf dem Mond. Wenn die Vorzeichen nicht täuschen, wird das zweite Bloc-Party-Album mit mehr Muskeln auftreten als der spröde, aber klassische Erstling. Es dominiert nicht mehr die Gitarre – stattdessen experimentiert die Band mit Strukturen und elektronischen Klängen. Aus den drei Songs können wir Zorn lesen, aber auch Zartheit, Fragilität und Verzweiflung.

„Seit geraumer Zeit hat mich Rockmusik überhaupt nicht mehr gereizt“, erklärt Kele Okereke etwas später in einer winzigen Besenkammer, gerade groß genug für HiFi-Anlage, Tischchen, Stuhl und Minisofa, in dem sich der Sänger breitgemacht hat. „Die Idee, ein geradliniges,

authentisches Rockalbum zu machen, beidem wir alle im gleichen Raum gleichzeitig spielen, scheint mir nun total langweilig. In einem Song von Timbaland oder Neptunes oder Lil‘ John stecken viel mehr avantgardistische Ideen, als man je bei den Kooks oder Razorlight hört. Ihre Tracks zeugen von eitlem unglaublich subtilen Verständnis von Rhythmus undTon. Schade nur, dass die Texte im R&B oft so suspekt sind. Aber Rocktexte sind ja auch nicht immer fantastisch, oder?“

Okereke hat den Ruf, ein störrischer, ja verstockter Interviewpartner zu sein. Aber heute ist er in blendender Redelaune. Er wirkt locker und seiner Sache sicher. „Ich bin stolz auf unser Debüt, aber es hat mich auch sehr enttäuscht“, erklärt er. „Wir hatten all diese tollen Ideen, die wir dann doch nicht zu realisieren wagten. Schon der Titel – nichtssagend. Es war eben etwas, an dem niemand zu viel auszusetzen hatte. Dabei hätte es doch ein Statement sein müssen! Es geht um die Vision. Die Essenz! Jemand muss den Mut haben, zu sagen:,So und nicht anders!’Sonst kommen halbherzige Kompromisse heraus.“

Okerekes starke Hand kommt allerdings nicht überall gut an. „Sie sind ja Musiker. Sie spüren das Bedürfnis, sich auszudrücken. Dabei ist das ein so müdes Konzept. Warum muss ein Song Bass und Schlagzeug haben, auch dann, wenn es nicht nötig ist? Die anderen haben lang gebraucht, bis sie kapierten, was ich meinte. Einige haben es immer noch nicht ganzgeschnallt. Aber sie haben mir am Anfang das Vertrauen entgegengebracht, dass sie mich die Songs schreiben ließen.“ Wie soll das Album denn heißen? „Das ist noch nicht klar“, seufzt Okereke. „Ich hätte eine Idee, aber wir haben uns noch nicht geeinigt.“ Ein weiterer Streit also? „Nein! Ein Kampfwerden darf es nicht. Und es tut mir Leid, dass ich so stur klinge. Aber dieses Album bin ich. Ich habe mich ihm ganz hingegeben. Wenn jemand dazu qualifiziert ist, ihm einen Namen zu geben, dann bin ich es. Niemand sonst.“ Schlägereien im Studio – das ist doch wohl nicht der Bloc-Party-Stil, oder? „Nein! Aber das ist Teil des Problems. Jeder ist jederzeit höflich zum anderen und sagt entsprechend nicht immer, was er meint. Plötzlich spürt man, dass aus all diesen Situationen ein Bodensatz von Verachtung zurückgeblieben ist. Das ist bei englischen Middle-Class-Bands oft ein Problem: Konfrontation soll um jeden Preis vermieden werden. Es ist einer der traurigeren Aspekte der englischen Psyche. Dabei ist es essenziell für ein gesundes menschliches Verhältnis, dass man seine Klagen in Worte zufassen vermag.“

Textlich hat das neue Bloc-Party-Album nur ein Thema:

Okerekes Frust über den Stand der Dinge im heutigen Großbritannien. „Das ganze letzte Jahr über waren wir auf Tour“, sagt er. „Mit jedem Englandbesuch wurde meine Desillusioniertheit größer. Kids, die Rentner zusammenschlagen, verlogene Politiker, amoralische Businessleute, Medien, die das Publikum für dumm verkaufen. Dastand hat jeden Sinn für Ethos und Anstand verloren. Was zählt, ist die Ansammlung von Konsumgütern. Außerdem wurde letztes Jahr ein Cousin von mir bei einer brutalen, rassistisch motivierten Attacke umgebracht. Das hat mich sensibel gemacht für das, was ich auf den Straßen sehe. Zum Beispiel während der Fußball-WM. Überall in den Fenstern und an den Autos britische Flaggen. Ich erinnere mich an Zeiten, wo eine Flagge nur eines hieß- Rassisten, National Front, BNP. Und die Zeitungen – voll von Hurra-Patriotismus und Storys, wie das Landvon den Immigranten und schwarzen Jugendlichen ruiniert wurde. Warum müssen die Briten alles andere verachten, um sich selber stark finden zu können? Ich bin in England aufgewachsen. Aber über das letzte Jahr hinweg habe ich immer stärker die Furcht verspürt, doch zu den ,anderen‘ gezählt zu werden. Darüber wollte ich etwas sagen auf dem neuen Album. Aber nicht mit Slogans.“