Der Derbste


Der Hamburger MC Samy Deluxe ist bereit, deutschen HipHop auf das nächste Level zu hieven.

VON CHR STOPH LINDEMANN Ein zarter Dunstschleier hat sich unter der Decke gesammelt, die bläulichen Qualmwolken streicheln gefährlich um die Rauchdetektoren. In einem kleinen Gettoblaster rotiert eine 15-Minuten-CD mit instrumentalen Reggae-Loops auf Repeat – die „Rosen-Suite“ ist eine kleine Oase der Anarchie im gestaubsaugten Hyatt-Hotel am Kölner Rheinufer. Auf der Couch sitzt Samy Deluxe (23), er raucht Gras und liest. In kurzen Abständen wird er von heftigen Lachkrämpfen geschüttelt. Wie in Wellen kommen die Eruptionen. „Das kann der doch nich‘ schreiben, ey“, seufzt er und wischt sich Tränen aus den Augen. Vor sich hat er den Infozettel, den seine Plattenfirma zur Veröffentlichung der Samy Deluxe-LP „Samy Deluxe“ (siehe S.57) an Journalisten verschickt. Der Autor ist „Don“, ein Kumpel von Samy, der für diese „Biographie“ ausschließlich Blödsinn erfunden hat.

Samy Deluxe habe an Selbstmord gedacht, steht da zum Beispiel geschrieben, „als in einem RTL-Softpomo Bild und Ton ausfielen“. Wie sich herausstellt, hat weder Samy selbst noch die Plattenfirma dieses „Info-Blatt“ wirklich autorisiert. Als der Text entstand und verschickt wurde, war Samy Deluxe im Urlaub. Da er bei EMI aber alle Freiheiten genießt, hat niemand gewagt, den Inhalt zu ändern. „Ich kenne natürlich die Geschichten, wie die Major-Plattenfirmen früher anderen Acts reingeredet haben“, erklärt er seine für Künstler ungewöhnliche Entscheidungsbefugnis, „aber ich hab‘ das noch nie erlebt. Die Bio, die hat ein Kollege von mir geschrieben, der hat so was noch nie gemacht. Aber er ist eben rhetorisch sehr gut. Wenn die Frage ist: „Was wird die nächste Single?‘, dann sagt das einer von uns. ‚Wer macht das CD-Cover?‘ – einer von uns. Allein sich die Position zu erkämpfen ist schon so viel Respekt wert. Dass Plattenfirmen Einfluss nehmen, das gibt’s aber nicht bei Samy Deluxe.“

Glück hat er naturlich auch gehabt. Bei Vertragsabschluss hatte er Fans und Vertrauenspersonen auf höchster Konzemebene. Mächtige Freunde, die ihm bis heute den Rücken stärken, auch wenn er sich unbeliebt macht. Wenn er minutenlang im Fernsehen HipHop-Magazine beschimpft, wenn er die fanatische Rap-Szene als „Hitler-lugend“ bezeichnet oder bei der Echo-Verleihung ein „Fuck D) Tomekk“-Banner in die Kamera hält. „Der Tomekk, der ist für mich halt einfach ein Spacken“, sagt Samy schulterzuckend. „Er hat einen Beat von meinem Kollegen D) Desue geklaut und den dann als Remix von sich selbst ausgegeben, weißt du? Auf so ’ner Jay-Z-Platte steht jetzt ‚DJ-Tomekk-Remix,‘ und der Remix ist von Desue. Eigentlich red ich nicht über Leude. Nur wenn sie eben was so krass verzocken wie Tomekk“.

DJ Tomekk räumt zwar „Fehler in der Zusammenarbeit“ ein, beteuert aber, dass Desue für die Mithilfe am Jay-Z-Remix bezahlt worden sei. „Da hab ich eine Quittung“, versichert er am Telefon, „die kann ich dir faxen.“ D) Desue muss darüber lachen:

„Die Quittung, die hat mit dem Jay-Z-Remix gar nichts zu tun. Die soll er ruhig faxen. Da steht ‚Produktionsvorschuss, fünftausend-bla-bla-bla‘ drauf. Das war für acht andere Beats, die ich ihm gemacht habe, die er dann als seine eigenen vershoppen wollte.“ Da der Buchhalter von Tomekk laut dessen Manager im Urlaub weilte, war es dem Star-D) unmöglich, die Quittung bis Redaktionsschluss zu faxen.

Samy Deluxe hat aus Wut über diese Angelegenheit mit Desue einen Song (Arbeitstitel „Fuck DJ Tomekk“) gemacht. Einen klassischen Battle-Rap, wie sie zuhauf auf dem ersten Dynamite Deluxe-Album, „Deluxe Soundsystem“, zu finden waren. Damals, so sieht Samy es heute, war er einfach noch nicht weit genug, um seinen Songs Inhalte und Themen zu geben. „Dass ich mehr zu erzählen habe als Battle-Rhymes, das wussten irgendwie alle. Ich kam nicht wie so’n Typ rüber, der sich den ganzen Tag nur Gedanken über schlechte MCs macht. Aber dann sollen meine Kritiker auch warten, bis ich die Zeit finde, um das in die richtigen Reime zu verpacken.“

Reifer ist Samy geworden – und erwachsener. Er findet nun die passenden Worte, um neben Battle-Rhymes verstärkt Sozialkritik zu äußern. Mit dunkler Haut (sein Vater stammt aus dem Sudan) gehört er einer Minderheit an, ist auf den Straßen „optischer Ausländer“, wie er es ausdrückt. Seine Eltern, so erzählt er, seien letztes Jahr aus ihrer Wohnung in Hamburg-Eppendorf geklagt worden. „Statt 2000 zahlst du da jetzt 5000 Mark für eine Wohnung. Das ist so’n Bonzenviertel geworden.“ Themen gibt es also genug. Auch wenn die Prioritäten gerade woanders liegen. „Ich bin Vater geworden. So was holt einen derbe auf den Boden zurück. Meine Frau, mein kleiner Sohn, weißt du, das ist das Wichtigste, dass zu Hause alles cool ist.“