Pop x Politik

Status: Es ist kompliziert


Der deutsche Pop und sein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft. Ein Essay zur Bundestagswahl 2017.

The Kids Are Not Alright – ist Pop immer links?

Das hat sich aber nun ein bisschen geändert: Bereits nach Rostock-Lichtenhagen, also vor 25 Jahren, erklärte Diedrich Diederichsen in dem Essay „The Kids Are Not Alright“ den Abschied von der Jugendkultur als zuverlässige politische Größe. Bis dahin galt folgender Deal: Pop ist immer automatisch links.

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Die Codes und der Style von Pop demonstrieren Zugehörigkeit zu einem bestimmten Weltbild: Wir machen nicht mit. Wir sind nicht einverstanden. Nun aber trugen die Molliwerfer von Rostock-Lichtenhagen linke Band-Shirts und Malcolm-X-Caps. Die Differenz zwischen Nazis und deren Gegnern konnte nicht mehr durch Dresscodes und Hörgewohnheiten markiert werden.

Eine Entwicklung, die Gruppierungen wie die Identitären inzwischen auf die Spitze getrieben haben. Aber auch jenseits der extremen Ränder ist Pop schon längst nicht mehr automatisch links. Als Udo Lindenberg auf seiner letzten Tournee in der Leipziger Arena gegen alte und neue Nazis gewettert hat, war der Applaus verhalten. Man muss inzwischen davon ausgehen, dass zu Lindenbergkonzerten auch Montagsmarschierer gehen, oder zu denen der Toten Hosen teilweise ähnliche Leute wie zu Freiwild. Die alten Kategorisierungen greifen nicht mehr in einer Zeit, in der die Rechte linke Codes übernommen hat.

Egal ob rechts oder links, sie gehen zum Teil auf die selben Konzerte

Hinzu kommen Dummheit und Ignoranz: Das nahezu idealtypische Beispiel eines politischen Songs für unsere Zeit gelang vor einigen Wochen der Hamburger Band Kettcar. „Sommer 89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ ist das definitive Statement zur sogenannten Flüchtlingskrise, ohne diese jemals zu erwähnen.

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Kettcar erheben keine Anklage, benennen keine Schuldigen. Sie erzählen auf beinahe literarische Weise die Geschichte eines Fluchthelfers aus dem linken Hamburger Milieu, der kurz vor Mauerfall DDR-Bürgern die Republikflucht über die österreichisch-ungarische Grenze ermöglicht. Das Perfide: Wir können nicht ausschließen, dass man den Song in Teilen von Sachsen ausschließlich als nostalgische Deutschland-Schmonzette labeln könnte, denn mit dem Verständnis vermeintlich offenkundiger Botschaften ist das häufig so eine Sache.

Wenn Pop politisch wird

„Einmal in der Welt, verselbständigt sich Pop, das macht einen Teil seiner Magie aus“, so der Songschreiber Jens Friebe in seinem Musikexpress-Fragebogen. „,Born In The USA‘ sollte ein US-kritisches Lied sein und wurde zur patriotischen Hymne. ,Dancing In The Streets‘ sollte ein harmloser Party-Hit werden und wurde ein Protestsong.“ Bereits vor einiger Zeit verdeutlichte Bela B derartige Missverständnisse am Beispiel des Ärzte-Klassikers „Schrei nach Liebe“: „Wir haben dann echt Post gekriegt, wo drinstand: ,Der Song geht ja gegen mich, ihr Schweine!’ So funktioniert im besten und eben auch schlimmsten Fall Popmusik: Die Texte werden gar nicht wichtig genommen.“

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Diese Gefahr besteht allerdings nur für Künstler mit enormer Breitenwirkung. Wenn Frank Spilker von den Sternen sagt, „Wir schreiben gerne Songs, die irgendeine Relevanz haben“, ist das zwar schön, aber natürlich ebenso wenig überraschend wie das Human-Abfall-Zitat weiter oben: Von Spilker und Flavio Bacon erwartet man ein klar definiertes politisches Bewusstsein.

„Meine Texte wirken da schon im Vorfeld wie ein Filter, der ‚besorgte Bürger‘ davon abhält, uns gut zu finden“

– Torsun Burkhardt (Egotronic)

Das kann man ihnen nicht vorwerfen, aber die Sterne oder Human Abfall bleiben wie Blumfeld in einer Echokammer unter Gleichgesinnten. Manchmal ist die Filterblase sogar explizit erwünscht: „Mit Egotronic geht es mir in allererster Linie darum, dass ich mit angenehmen Leuten feiern will“, sagt Torsun Burkhardt. „Meine Texte wirken da schon im Vorfeld wie ein Filter, der ‚besorgte Bürger‘ davon abhält, uns gut zu finden und die Shows zu besuchen.“

Die Sache mit dem Mainstream

Ein legitimes Anliegen, aber Veränderungen bewirkt man so eher nicht. „Im Mainstream wird es wirklich interessant“, sagt Ingo Donot von der Gruppe Donots, „weil Du Leute erreichst, die sich in einer Diskussion noch nicht für eine Seite entschieden haben.“ Insofern kann Pegida-Protestierer Kaiser viel erreichen, er geht aber auch heute noch ein größeres Risiko ein als die Ärzte oder die Toten Hosen. Viele Roland-Kaiser-Fans waren wenig begeistert von den politischen Anwandlungen des Schnulzenkönigs und bekundeten, seine Konzerte von nun an meiden zu wollen. Oder nehmen wir Rammstein: Es ist ihnen von keiner Seite besonders hoch angerechnet worden, weil viele Leute gerne ihr Weltbild weiter gepflegt hätten, aber „Links 2-3-4“ war angesichts der Zielgruppe ein effektiveres politisches Statement als jeder Tocotronic-Song das jemals sein könnte. Trotzdem brauchen wir natürlich noch haufenweise Tocotronic-Songs.

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