Pop x Politik

Status: Es ist kompliziert


Der deutsche Pop und sein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft. Ein Essay zur Bundestagswahl 2017.

Kann man überhaupt neutral sein?

Womit wir ein letztes Mal zu Helene Fischer kommen: „Sie bemüht sich völlig vergeblich um eine politisch neutrale Position in ihren Schlagern“, sagt Ekki Maas von der Band Erdmöbel. Das aktuelle Album der Künstlerin, nunmehr auf entwaffnende Art und Weise schlicht „Helene Fischer“ betitelt, war nach seinem Erscheinen im Frühjahr ausführlich durchleuchtet worden nach eventuellen Mikro-Einlassungen zur Befindlichkeit des Landes.

Fündig wurden die Kollegen allerdings nicht. Helene Fischer bleibt auch auf „Helene Fischer“ die perfekte Sängerin der Merkel-Republik: „Es geht uns gut, weiter so!“

„Helene Fischer bemüht sich völlig vergeblich um eine politisch neutrale Position in ihren Schlagern“

– Ekki Maas (Erdmöbel)

Kraftklub & Marteria: Die Ruhe und der Sturm
Der einzig positive Effekt der Trump-Wahl, so war jetzt immer wieder zu hören, sei eine Repolitisierung der amerikanischen Popkultur auf breiter Ebene. Eine ähnlich polarisierende politische Figur fehlt hierzulande dankenswerterweise noch, aber es zeichnen sich Veränderungen ab: Nachdem noch vor wenigen Jahren kulturpessimistische Texte über die angeblich gänzlich unpolitische Generation der sogenannten Millenials Feuilleton und Diskurs beherrschten, regt sich derzeit so Einiges im deutschen Mainstream.

Politischer Pop mit 68er-Ideen

10 Preise, die beim „Preis für Popkultur“ 2017 auch hätten verliehen werden sollen
Auf ihren aktuellen Alben äußern sich unter anderem Kraftklub und Casper politisch. Marteria unterstützte vergangenes Jahr „Noch nicht komplett im Arsch!“, das durchaus mutige Projekt der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet, die dahin geht, wo es weh tut: in die ostdeutsche Provinz mit ihren sogenannten national befreiten Zonen, also mitten in die Kampfzone.

Genau daher kommt auch die Band Jennifer Rostock, die mit einem Anti-AfD-Song im Vorfeld der Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern auch viele Leute aufhorchen ließ, die sich zuvor nicht für die Band interessiert hatten.

https://www.facebook.com/jenniferrostock/videos/10153687354131010/

Hinzu kommen explizit politische HipHop-Bands wie Zugezogen Maskulin und Antilopen Gang. Das alles ist erfreulich, aber es bleibt trotzdem schwierig. Politischer Pop bedient sich immer noch überwiegend aus dem Inventar der 68er oder dem des politischen Punks der 80er-Jahre. Ähnliches war zuletzt beim G20-Gipfel in Hamburg zu beobachten. In einer Zeit, in der die politischen Blöcke zunehmend erodieren und alte Gewissheiten dahinschmelzen, ist die Sprache des Protests eine altmodische. Bewegungen wie „Occupy“ sind versandet, es fehlt eine moderne, zeitgemäße Protestform und -sprache.

Auf der Suche nach Protest

Gar nicht so einfach in einer Zeit, in der Pop längst in der kapitalistischen Verwertungslogik angekommen ist. Ain’t singin’ for Pepsi, ain’t singin’ for Coke? Erzählen Sie das mal Cro, Christian Ulmen, Joko Winterscheidt und den anderen Protagonisten einer McDonalds-Kampagne von vor einigen Jahren.

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Auch bedingt durch den Niedergang der Musikindustrie machen die meisten inzwischen hemmungslos überall mit, und das längst nicht immer aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Es würde unter diesen Voraussetzungen schon helfen, wenn eine auch mit Landesmitteln finanzierte Bildungseinrichtung wie die Popakademie Mannheim politische Verantwortung übernehmen würde. Denn das in seiner industriellen Schamlosigkeit, nicht aber in seiner musikalischen Genialität an Stock Aitken Waterman erinnernde System, innerhalb dessen die Erfolge von Leuten wie Tim Bendzko, Max Giesinger, Mark Forster, Andreas Bourani und Johannes Oerding von den immer gleichen Autoren und Produzenten am Reißbrett geplant werden, hat seinen Ursprung nicht zuletzt an der Popakademie Mannheim, die ihre Absolventen zu weitgehend haltungslosen Zuträgern des neoliberalen Systems erzieht.

Also: Was kann Musik überhaupt bewirken?

Wie ich einmal Pop studierte, ohne mich zu verbiegen
Keine Missverständnisse: Wir haben nichts dagegen, wenn junge Leute einfach nur eine gute Zeit haben wollen. Aber: You gotta fight for your right to party! In Deutschland ist die Debatte außerhalb der klaren politischen Milieus sediert. Viele haben Angst, es könnte ihnen noch schlechter gehen, sie könnten rausfallen aus ihrer angenehmen Wohlstandsblase, sobald sie sich auch nur einen Millimeter bewegen. Demokratische Prozesse leben aber von Teilhabe. Das Leben, das wir führen, ist keine Selbstverständlichkeit, die offene Gesellschaft ist nicht per Gesetz festzulegen, sie muss jeden Tag neu errungen werden.

Es ist insofern im besten Fall naiv und im schlimmsten wohlfeil, wenn die Band Milky Chance Folgendes mitteilt: „Dass wir in unseren Grundwerten links sind, sollte jedem klar sein, ohne dass ich darüber konkrete Texte oder Songs schreiben muss.“ Noch einmal: Wenn Pop behauptet, sich nicht in ein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft zu setzen, ist das immer falsch und ein politisches Statement, mit dem man vor allem Bequemlichkeit demonstriert.

Kommen wir zur Frage aller Fragen: Was kann Musik überhaupt bewirken? „Billy Bragg konnte den Brexit nicht verhindern“, schreibt Bernd Begemann in seinem Fragebogen. Eine offensichtliche Wahrheit.

Eine Revolution ohne Song, das wäre doch langweilig

Noch nie hat ein einzelner Song einer Revolution verursacht, aber eine Revolution ohne Musik wäre langweilig. „Diese Lieder wirken im großen Ganzen, ermutigen, bestätigen Leute, die auf einem Weg sind, bei vielen kleinen Schritten“, sagt der Sänger und Songschreiber Max Prosa. „Ich glaube, das ist auf lange Sicht der einzige Weg, überhaupt etwas zu verändern.“

Der vielleicht schönste Satz in den 29 Fragebögen kam übrigens von der Tochter des Die-Türen-Sängers und Labelbetreibers Maurice Summen: „Alle schreiben sie schöne Liebeslieder, nur mein Vater nicht.“ Kommst du mit in den Alltag?

Das Essay über Pop & Politik erschien zuerst im Musikexpress 10/2017. Die einzelnen Fragebögen zum Nachlesen findet Ihr nach und nach hier.