Der ganz alltägliche Rassismus


Mit einem Tritt wird der junge Schwarze in die Nacht befördert. Vor ihm: Bäume, Dickicht und Sumpf. Hinter ihm: Ein Dutzend schwerbewaffneter Weißer mit Hunden. Für die Meute aus Getreuen des Geheimbundes Ku Klux Klan gilt: Nur ein toter Nigger ist ein guter Nigger – Szene eines Films, der am 9. März ins Kino kommt.

14 Tage später kommt ein anderer Film, der folgende Szene zeigt: Ein Sheriff entläßt einen Schwarzen aus der Haft. Er tut es mit der Genugtuung, daß den Mann keineswegs die Freiheit erwartet. Im Dunkel der Nacht parkt ein Wagen mit laufendem Motor. Drin sitzen eingeschworene Ku Klux Klan-Schergen, für die gilt: Nur ein toter Nigger ist ein guter Nigger.

Unbändige Wut wollen beide Filme auslösen. Wut auf Dummheit, Brutalität und Menschenverachtung, auf reaktionäre Verführer und die, die sich verführen lassen. Der politische Hintergrund unterscheidet sich gewaltig: „Mississippi Burning“ von Alan Parker spielt 1964. „Verraten“ von Constantin Costa-Gavras spielt im Amerika von heute!

Die Filme entstanden im Abstand von einem Jahr. Daß sie in Deutschland gleichzeitig laufen, ist Zufall. Weil sich die Bilder gleichen, den Schluß zu ziehen, daß sich in 25 Jahren nichts geändert habe, wäre aber zu einfach.

Alan Parker drehte nach zwei Filmen mit surrealistischen Elementen – „Angel Heart“ und „Birdy“ – wieder einen harten Thriller, der stellenweise an seinen „Midnight Express“ erinnert. „Mississippi Burning“ beruht auf wahren Ereignissen aus der Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung: Zwei junge Weiße und ein Schwarzer machten im amerikanischen Süden für das Wahlrecht Schwarzer mobil. Von einem Trupp Fanatiker wurden die drei regelrecht hingerichtet. Gene Hackmann und Willem Dafoe kommen als FBI-Agenten in das Kaff. Bei der Suche nach den Leichen und den Mördern stößt das denkbar unharmonische Duo auf eine Mauer des Schweigens und der Feindseligkeit.

„Verraten“ benutzt die Tatsache, daß der Ku Klux Klan heute noch aktiv ist wie eh und je. Meldungen Polit-Picknick: Mit Frau und Kind unterm Flammenkreuz — der Ku Klux Klan heute häufen sich über Gruppen, die Schwarze und Juden und alle, die nicht in ihr Weltbild passen, verbannen möchten. Constantin Costa-Gavras, durch Filme wie „Z“ und „Vermißt“ ein Routinier im politischen Thriller, erzählt die Geschichte einer FBI-Agentin (Debra Winger), die sich in ihr Beobachtungsobjekt (Tom Berenger) verliebt. Der junge Farmer, der für den Mord an einem liberalen Radio-DJ in Chicago verantwortlich sein soll, bietet seiner neuen Liebe eine perfekte Heile-Welt-Kulisse. Bald glaubt sie selbst nicht mehr, es mit einem gesuchten Mörder zu tun zu haben – da steht sie schon mitten drin im rassistischen Klan.

Beide Filme sind packend und spannend und sie machen auf beklemmende Weise deutlich, daß es nicht nur um die Mörder, nicht nur um Einzelne geht. Schuldig machen sich alle, die Grausamkeiten stillschweigend geschehen lassen.

„Mississippi Burning“ greift Ereignisse auf, die damals die TV-Nachrichten füllten, die als Kino-Thema aber undenkbar waren. Kino-Thema wurde dafür heute „Verraten“, der mitten im Amerika von heute spielt. Großes Budget, prominente Besetzung – die Vermutung, daß sich in 25 Jahren nichts geändert habe, ist also nicht richtig.

Auch der Ku Klux Klan hat sich geändert. Zum Start von „Mississippi Burning“ meldeten sich Rädelsführer im Fernsehen zu Wort. Ohne Masken, unter ihren richtigen Namen verteidigten sie die Morde von damals.

Daß Hollvwood nicht mehr die Gene Hackman und Willem Dafoe gegen den allgegenwärtigen Klan Augen verschließt vor Abgründen einer Gesellschaft, die eben dieses Hollywood mit Film-Sujets füttert, ist ein Fortschritt. Damit einherzugehen scheint ein Prozeß des Sich-Arrangierens mit einer sozialen Situation, die man nicht in den Griff bekommt. Ohne diesen Prozeß wären die beiden Filme auch wohl nie entstanden.