Die Ärzte: Helden des Alltags


Fanatische Teenager, Regenstürme und Seniorenhotels: Wenn die am härtesten arbeitende deutsche Band nach Truck Stop auf Tour geht, kann das schon mal in Spaß ausarten.

TIEFES OBERBAYERN. SAMSTAGNACHMITTAG. DIE HOCHZEIT DER COUSINE.

Wir befinden uns im Weinstuben, der Stätte der traditionell feuchtfröhlichen Aufwärmphase für einen even feuchterfröhlicheren Abend mit Tanz und Gesang. Auch hier wird gesungen: das Stimmungsduo in der Ecke hat die Gäste schon mit dem eisten Stück zum Schunkeln auf die Bänke geschickt, „Jetz trink‘ ma no a Glaserl Wein“ und „Lustig ist das Zigeunerleben“ haben ihre Wirkung nicht verfehlt, doch jetzt ist die Zeit reif für einen echten Killer. Der Bassist zupft vertraute Töne an, und gleich springt noch der Letzte auf seinen Stuhl: „Hallo, mein Schatz, ich liebe dich/du bist die einzige für mich/Die andern find ich alle doof/deswegen mach ich dir den Hof… – „Danke, daß du uns das jetzt erzählst!“ unterbricht Farin Urlaub gequält grinsend die Schilderung bajuwarischen Gaudi-Idylls. Aber was hilft’s, es ist so: Mit „Männer sind Schweine“ haben sich Die Ärzte, phasenweise Feindbild Nr. 1 der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, im letzten lahr auf dem Terrain des staatstragenden Spaßliedes breiter gemacht, als es zehn kleinen Bommerlundermeistern je möglich war. Die Frage: Ist das noch Punkrock? Die Antwort: Jein. Zum einen hat die Firma Ärzte mit dem gar so strapazierten Begriff seit jeher eher kokettiert als ihn im traditionell-kitschigen „Attitood-Sinn zu „leben“, ihn vielmehr eingearbeitet in ihren Entwurf von Popstartum, einem Reich der gebrochenen Ironien zwischen kreischenden Teenagern und beinharten Prinzipien, zwischen „nur bullshit“ und „no bullshit“. Und eine subversive Reminiszenz ist da ja auch im Radiohit: enthält der trojanische Gassenhauer doch zwei Zeilen aus der Mutter aller schweinsbösen Index-Songs, fröhlich in die Auslaufspur geträllert: „Wir wollen keine Bullenschweine/Mollies und Steine für Bullenschweine“, jeden Tag x-mal im deutschen Dudelfunk – das will erstmal getoppt werden. „Das war für uns ja die Riesengenugtuung“, freut sich Farin, „der „Wies’n-Hit des Jahres‘ und dann diese Zeile drin. Ich mein‘, okay, das ist ein kindlicher Humor, aber… sehr schön.“ Lind was sagt der Zensor dazu? „Es war wahrscheinlich zu leise“, meint Farin. „Und die, die’s gehört haben, haben wohl ihren Ohren nicht getraut. Außerdem werden die nicht den Fehler machen, uns nochmal zu indizieren.“ Und wieso das? Ja, wie groß sollen wir denn noch werden?“

Das ist nämlich genau der Punkt: Die Ärzte sind größer denn je. Sie haben ihren größten Hit gehabt. Sie haben 1998 die längste Tournee ihrer Karriere absolviert, vor durchweg ausverkauften Häusern. Und ein Ende ist nicht abzusehen – oder doch? „Wenn wir uns schon verabschieden, dann richtig!“ verkündet Farin mit breitestem Grienen ob der vielen bunten Sachen, die da diesen Spätherbst auf den Ärzte-Fan zukommen. Da ist vor allem „Wir wollen nur deine Seele“, das erste offizielle Ärzte-Livealbum seit „Nach uns die Sintflut“, mit dem sich die Band 1988 für fünf lahre verabschiedete. Dazu gibt es demnächst eine Compilation mit allen Ärzte-Videos seit der Reunion zu erwerben. Daraufenthalten wird dann auch der neue Clip zur Live-Version des berüchtigen Ärzte-Klassikers „Elke“ sein, eine Zeichentrick-Monströsität von Hauszeichner Schwarwel, irgendwo zwischen „Akira“, „Attack Of The 50 ft. Woman“ und „The Blob“. Ein dicker Packen zum Abschied??? Nur Spaß, es ist ja alles immer nur Spaß. Bis es ernst wird – auch so ein Begriff, der im Ärzte-Kosmos relativ zu betrachten ist. Wie sagt Farin so schön: „Es ist nicht immer alles nur lustig. Aber schon der größte Teil, glücklicherweise. Und lustiger, als auf der Bank zu arbeiten, ist es allemal – und man hat mehr mit Geld zu tun.“ Dafür, daß letzteres so bleibt, wird hier und heute was getan: Promotag! Jan „Farin“ Vetter, Dirk „Bela“ Felsenheirner und Rod Gonzalez halten Hof im samtigen Hinterzimmer eines Hamburger Restaurants. Zwei Drittel der „Arzte aus Berlin (aus Berlin)“ wohnen mittlerweile an der Elbe. Nur Bassist Rod hält die Stellung in der neuen Hauptstadt, wo sich Farin und Bela längst nicht mehr frei bewegen können. „Felse ist auch zu gut für diese Welt“, meint Violetta Cyrol von der für Ärzte-Belange zuständigen Agentur „Zuständige Agentur“ mit fast mütterlichem Kopfschütteln. „Der kann definitiv nicht nein sagen. Der geht durch Kreuzberg, und alle naslang haut ihm einer auf die Schulter, ‚ey, Alter!‘, und Felse bringt’s nicht fertig, ihn stehenzulassen, sondern quatscht und fragt noch nach, wies der Katze geht, weil er sich dran erinnert, daß die Katze von dem Typen krank war.“

Die Bagels sind saftig, die Stimmung den Umständen entsprechend gut, und wenn Unlustiges angesprochen wird, dann im Zusammenhang mit dem vermaledeiten Regensommer’98, dem Sommer der dreieinhalbmonaügen „Attacke Royal“-Open-Air-Tour, der sogar den notorisch humorigen Ärzten bisweilen an die Nieren ging. „Die Crew, die auf Tour ja sowas wie Deine Familie ist“, erzählt Rod, „ist halt irgendwann genervt, wenn die Tag für Tag im Schlamm den Kram auf- und abbauen dürfen. Und deren Stimmung schlägt natürlich auf einen über“ Farin: „Wenn Du das zehnte Konzert hintereinander bei Regen spielst und durchgefroren bist, das geht aufs Gemüt. Du weißt ja auch, wies den Leuten da unten geht. Die taten mir zum Teil richtig leid. Und dann kommt natürlich auch nicht so ’ne Mordsstimmung auf.“ – „Obwohl“, wirft Rod ein, „Xanten war das nasseste Konzert und die beste Stimmung.“ – „Aber Hildesheim? Flughafengelände? Das hätten wir fast abgebrochen. Da hat’s so gepisst, daß die Crew nicht mehr für unsere Sicherheit garantieren konnte, so „Wenn ihr näher ans Mikro geht, dann kann es sein, daß ihr 220 Volt kriegt‘. Es ging dann gut, aber da hat’s wirklich zum Teil den Mikroständer umgeweht und umgeregnet. Echt unfaßbar.“

Es passiert ja eher selten, daß „die am meisten tourende deutsche Band nach Truck Stop“ (Urlaub) an ihre Grenzen stößt. Dafür sorgen die Fans. Hat jede Band, Fans, jaja. Nur scheinen die der Arzte ein ganz besonderes Völkchen zu sein, ausgestattet mit einem raren Ethos aus augenzwinkernder bis beinharter Teenie-Ergebenheit, aufrichtiger Verehrung und einem guten Schluck Traditionssinn. „Wenn wir auf eine lange Tour gehen“, erläutert Farin, „formiert sich nach spätestens drei Konzerten die gültige erste Reihe. Die reist dann mit. Die lassen sich vorne an den Absperrgittern festketten.“ Rod ergänzt: „Die werden dann nach der Show gleich mit Fans in die Trucks gefahren und dann in der nächsten Stadt wieder ausgeladen.“ Es gibt wirklich Typen, die ganze Tourneen mitmachen? „Typen?“ ereifert sich Bela. „Ich würd‘ von Frauen sprechen!“ Die Bandbreite reicht von 15-, 16 jährigen, die „Mordsärger mit ihren Eltern“ (Rod) in Kauf nehmen bis zu Leuten wie Markus Karg. Karg ist Ärzte-Fan der ersten Stunde, gibt die Ärzte-Fanpostille „Der Spacken“ heraus, hat seine Bewerbung als Kandidat bei der Quiz-Show „Risiko“ laufen (Spezialgebiet:… genau) und konnte kürzlich seinen Postboten-Job an den Nagel hängen: als wandelndes Ärzte-Lexikon arbeitet er neuerdings für die Ärzte-Firma Hol Action Records, Abteilung Spezielle Aufgaben. „Leute wie der Markus, die gehen nicht mehr die ganze Tour mit, sondern sehen nur noch zehn Konzerte – und fühlen sich dann auch ein bißchen schlecht dabei“, weiß Earin, während Bela im Fan-Gros einen steten, altersbedingten Generationswechsel feststellt: „Es gibt so eine Halbwertzeit bei Konzertgängern: Wenn du den sogenannten Ernst des Lebens auf dich zukommen siehst, so mit 20, 25, rennst du halt nicht mehr mit wehenden Fahnen rum, um am Erstverkaufstag ’ne Karte für die Ärzte zu kriegen. Und später ist eben meist ausverkauft. Dementsprechend ist das enthusiastischere Publikum dann im Konzert.“

„Hallo Mädels!“ – „Frau Schulz!!!“ Manager Axel Schulz stapft in den Raum. Der Hüne blinzelt mit unterspielter Leutseligkeit in die Runde und hält einen Autoschlüssel hoch. Für einen Porsche, „450 PS, ein völlig absurdes Auto“, den ihm ein Kumpel aus der Branche aufgedrängt hat, und mit dem er eben aus Berlin eingerauscht ist. „Das sind so die Späßchen der Reichen, weißte“, murmelt Rod, „‚Ich leih dir mal meinen Jet‘ – ‚Du, mein Lear-Jet ist schneller’…“ – „Das gilt aber nur für die Manager!“ lacht Schulz. Von wegen. Vor allem auf Tournee darf s neben gelegentlichen abendlichen Festivitäten mit der Crew (Dialoe-Intermezzo. Rod: „Wenn wir schon mal mit der Crew im selben Hotel sind, dann versuchen wir auch, strengen uns auch an, Party zu machen. Hat oftmals geklappt. “ Farin: “ Da sitzt man dann in einer plüschigen Hotelbar…“ Bela: „…mit dem Plüschpianisten…“ Farin: „…der ‚Yesterday‘ mit dreimal soviel Noten spielt.“ Bela: „Alle zehn Konzerte kann mal einer ‚Stairway To Heaven. ‚Born To Be Wild‘ konnte noch nie einer. Dann werden halt Getränke getrunken. Und das endet manchmal völlig sinnlos, besoffen im Bett und du hast dich den ganzen Abend unterhalten über… Schrauben? Aber ich sag mal, ich hab mit meinem Drumroadie mehr gemeinsam als mit irgendeiner aufgedonnerten Friseuse in einer Vorort-Disco.“ Farin: „Mit der mußt Du ja auch keine Gemeinsamkeiten haben, wiederum.“ Bela: „Na, besser nicht. Ausblende.) auch mal etwas Flotteres sein. Eine hübsche Fingerübung in Sachen Dekadenz konnte Bela seinerzeit tags drauf in der Hannoveraner Boulevard-Presse nachlesen. „Da hab ich Sushi vom Körper einer nackten Frau gegessen“, rückt er, von dem Thema leicht angenervt, heraus. „Das ist so ne Sache, die die Japaner einfach irgendwann angefangen haben zu machen.“ Ein Barmann hatte dem experimentierfreudigen Arzt angeboten, er ‚könne das organisieren.‘ „Da haben wir – meine damalige Freundin, unsere Tourbegleiterin und unser Securitymann – nachts im Suff gesagt ‚okay‘. Und am nächsten Tag stand’s in der BILD, so in der Art ‚Ist das denn jetzt moralisch noch einwandfrei blabla‘. Ich wußte halt nicht, daß der Restaurantbesitzer ein total publicitygeiler Typ war.“ Gelohnt hat sich’s trotzdem: „Da kamen dann noch ein paar Leute von Fury in the Slaughterhouse vorbei, und ich saß da mit Zigarre, vor mir ’n nacktes Model, noch halb mit Fisch belegt, und die dachten „Haah! Ist der dekadent und cool!'“ Farin wiegelt ab: „Aber die haben dann belegte Brote von ihrem Hausmeister gegessen, heißt es.“

Doch im Tour-Alltag ist auch die Beste Band der Welt nicht vor schweren Glamour-Einbußen gefeit, gerade wenn’s mal wieder quer durch die Provinz geht. „Da ist dann die Hölle los backstage“, erklärt Bela. „Es gibt auch immer mehr Feiertage in so Dörfern. Aus den absurdesten Gründen sind die Geschäfte zu. Du kannst nicht shoppen gehen, weil heute vor vierhundert Jahren einer der Stadtväter … gepupt hat oder was.“ Ein Reizwort: Lahnstein. „Lahnstein – ein Mensch pennt“ steht im Tourtagebuch auf der DÄ-Homepage (www.bademeister.com) notiert. Vier Tage lang hatte man die Herren Rockstars während einer Tourpause in der Kleinstadt am Rhein einquartiert. „Es hieß ‚Die Jungs brauchen Ruhe, ein schönes Hotel mit allen Annehmlichkeiten'“, erinnert sich Farin mit Grauen. Bela: „Und dann kamen wir da an und das war so ein Kurhotel, Durchschnittsalter der Gäste 60 Jahre. Der Direktor hat uns gehaßt.“ Wer bucht sowas? Farin lacht: „Leute, die mit 450 PS … Egal. An einem Tag bin ich durch diesen Park gelaufen …“ – „Jeden Tag!“ Rod starrt vorsich hin. „Ich bin jeden Tag durch den Park gelaufen.“ – „…den Berg runter zum Rhein. Dann waren aber wirklich die Freizeitmöglichkeiten erschöpft.“ Was tut man? Leseratte Farin versuchte mit Büchern zu überbrücken, „aber das ist ja nicht das, was du auf Tour willst. Du bist voll mit Adrenalin, aber kannst ja nicht in einen Seniorentanz reinplatzen, ‚Hey, hey, hey! What’s going on?!?'“ – „Pay-TV war unser bester Freund“, murmelt Rod. „Nichts“, meint Bela, „was eine rechte Hand nicht geradebiegen könnte.“ Also doch auch schön, wieder zu Hause zu sein. Und trotzdem: die nächste Tour wird kommen, so sicher wie die nächste Herbstoffensive. Die ist nämlich für 2000 in Planung. Dann mit neuem Studioalbum und einem ominösen Buchprojekt, an dem – eigentlich noch geheim – Markus Karg arbeitet. Und bis dahin? Farin: „Hängen wir mit Models ab. Machmal hängen wir auch so lange mit Models ab, daß es nervt. Dann geben wir zwischendurch ein paar Interviews.“ Rod: „Damit man sich wieder auf die Models freut.“ Nadann. Bis dann.