Dossier


Oasis und die Euphorie von Britpop und "Cool Britannia" sind untrennbar verbunden. Das waren Zeiten! Doch für Nostalgie ist Noel Gallagher kaum zu haben. Er sieht's eher nüchtern: "Es freut mich, dass wir die zwei Alben gemacht haben, die von Britpop bleiben werden." Noch Fragen?

Noel Gallagher sieht kein bisschen anders aus als auf seinen Fotos – also wie einer, der gerade auf dem Weg zum Pub ist. Wir treffen uns im Büro seines Managers im Londoner Stadtteil Marylebone. Noel ist zu Fuß gekommen, sein Londoner Stadthaus befindet sich in der Nähe. Überall in dem Büro hängen Oasis-Platin-Platten, Cover-Entwürfe und sonstige Souvenirs aus zwölf Jahren Bandgeschichte. Noel ist guter Laune. Seine Bewegungen sind zielstrebig und doch leger, lebhaft und doch laid-back. Sein Mund scheint in ständiger Bereitschaft, sich zu einem zynischen oder amüsierten Lächeln zu verziehen.

Vorab ein dickes Dankeschön – dafür, dass du die letzte CD von Shack (…The Corner of Miles And Gil, 2006) auf deinem eigenen Label Sour Mash Records veröffentlicht hast. Ohne Frage eines der Alben des Jahres.

Toll, nicht wahr? Ich hatte gehört, dass sie ohne Vertrag waren, hab bei ihnen vorbeigeschaut, und sie haben mir ein Demo vorgespielt. Als alter Fan hab‘ ich mir gesagt: OK, wenn es so aussieht, dass ich die Aufnahmen aus meiner eigenen Tasche bezahlen muss, damit ich ein neues Shack-Album zu hören bekomme, dann tue ich das eben. Und wenn dann noch ein paar CDs davon verkauft werden, umso besser.

Oasis. Vor einem Jahr hast du noch geschworen, es werde erst dann eine Oasis-Best-Of geben, wenn die Band am Ende ist. Was ist nun passiert?

Wir haben über ein paar Ecken gehört, dass Sony eine Best-Of-CD plante. Unser Manager erklärte uns, dass wir das nicht verhindern könnten, weil die Aufnahmen Sony gehören und sie damit machen können, was sie wollen, besonders jetzt, wo wir dort nicht mehr unter Vertrag sind. Dann gab es zwei Möglichkeiten. Entweder hielten wir an unseren Prinzipien fest, ließen Sony machen und rieten den Fans, die sicher mit all den falschen Songs bestückte CD nicht zu kaufen. Oder wir stellten das Album selber zusammen und wählten dafür dann auch tatsächlich die Stücke aus, die wir für unsere besten halten. Also haben wir unsere Prinzipien kurz mal außer Kraft gesetzt. Fuck it. Ist doch eh Wurscht.

Worum ging’s bei der Songauswahl? Die Compilation scheint ja nicht unbedingt für die Fans von heute gemacht zu sein.

Sie ist für die Kids in fünfzig Jahren. Ich weiß noch, wie ich damals in den Plattenladen ging, um rauszufinden, was denn nun eigentlich Sache war mit dieser Band namens Beatles. Ich sah mir die Covers an, und die waren total verwirrend. Hier sahen sie aus wie nette Boys, dort trugen sie Barte und Zaubererhüte. Also nahm ich den simplen Mittelweg:

Best Of. Die Rote und die Blaue. So wird das in fünfzig Jahren auch sein. Wichtig ist, dass so ein Album nicht zu lang ist. Das verwischt nur den Effekt. All die endlosen Stones- und Who-Best-Ofs. Man hört sich die Klassiker an, dann reicht’s. „Baba O’Reilly“, nein danke. Wichtig war bei der Auswahl auch, ob uns das Stück live etwas bedeutet. „Do You Know What I Mean“ – ein toller Song, den wir nie live spielen, und nie verlangt jemand danach. Weg damit!

Hat die Arbeit an der CD eine Flut von Erinnerungen wachgerufen?

Nein, überhaupt nicht. Da gab’s nichts wachzurufen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich jeden Ton geschrieben habe und jeden Fetzen Text. Das steckt alles fest in meiner Rübe. Ich musste mir „Go Let It Out“ nicht noch mal anhören, um zu merken, was für ein brillanter Song das ist. Ich wusste es. Außerdem waren wir auf Tournee und hörten „Cigarettes & Alcohol“, „Morning Glory“ und „Champagne Supernova“ jeden Tag. Die Songs gehören zu unserem Leben, nicht zum Vorgestern.

Was fühlst du, wenn du heute auf die frühen Tage zurückblickst?

Alle Bewegungen sind toll in dem Moment, wo sie geschehen. Es geht ums Erleben. Es geht um die Zeit, in der sie sich abspielen. Nichts geht ewig. Und aus all diesen Bewegungen – Glam, Punk, Baggy, was weiß ich -bleiben historisch gesehen je vielleicht zwei Alben zurück. Es freut mich, dass wir beide Alben gemacht haben, die von Britpop bleiben.

Lasst du keine anderen Britpop-Platten gelten?

Pulp hatten ein paar sehr gute Lieder. Blur auch. Aber wir reden hier von Alben, die die Zeit überdauern und bestehen bleiben. Und meine beiden LPs sind es, die auf jeder Top-io-Liste erscheinen. Mit dem Mann auf der Straße lässt sich nicht streiten. Er hat Recht. Die Punk-Ära hatte never mind THE bollocks und das erste Clash-Album. Glam Rock hatte ZIGGY STARDUST und ELECTRIC WARRIOR. Britpop hat DEFINITELY MAYBE und morning glory. Die Songs, die die Zeit definierten.

Es war eine unglaubliche Zeit in Großbritannien. Nicht nur die Musik blühte auf, auch Literatur, Film, Fußball und Kunst erlebten eine Blütezeit.

Und Politik. Vergiss nicht die Politik. 1996 war ein fantastisches Jahr. Die Europameisterschaft in England, die Labour-Partei, das wussten alle, würde die nächsten Parlamentswahlen gewinnen, Kate Moss war das wilde junge Ding auf den Catwalks, alle wichtigen Modehäuser waren englisch, alle Top-Designer sowieso, und die besten Bands auch. London war einfach der place to be. Jede Nacht auswärts auf Piste war eine tolle Nacht. Und jede Nacht daheim war eine monumentale Nacht. Es hat einfach alles gestimmt. Andererseits wurde oft der Vergleich gezogen mit den Sixties. Ich glaube, das kam nicht von ungefähr. Auch die Britpop-Zeit war sehr lässig, sehr thro w-away, sehr frivol. Aber wenn man genau hinsieht, hat sie letztlich kaum wirkliche Veränderungen gebracht. Vor allem keine politischen. Ein neuer Typ zog in die Downing Street No., ein, aber die Politik änderte sich wenig.

Das ahnte damals naturlich niemand – das lehrt uns erst die Ruckblende.

Stimmt. Damals ging echt die Fantasie mit uns durch. Wir waren überzeugt, die Zukunft würde nur eines: super! Aber im Grunde hat es wenig ausgelöst. Die Bands, die damals groß waren – wir und Radiohead – sind von denen, die überlebt haben, immer noch die Größten. Und Dämon Albarn. Der hat sich neu erfinden müssen, um etwas von bleibendem Wert hervorzubringen. Blur waren eine gute Band, niemand bestreitet das. Aber erst Gorillaz scheint jetzt sein Ego befriedigen zu können.

Magst du Gorillaz?