Hirnflimmern

Ein bisschen Frieden: Wie Helge Schneider zuletzt für ordentlich Bohei sorgte


Aufregungsentschlackungstipp fürs Frühjahr: weniger Internet, mehr Television. Die Hirnflimmern-Kolumne von Josef Winkler aus der ME-Ausgabe 04/2023.

„IchheißeSieherzlichwillkommen Zueinerhalbenstundechormusik“, sagt der Mann im Radio, und mal im Ernst, was ist DAS denn für ein bescheuerter Name? Waahaha. Ja, sorry. Ich heiße Sie herzlich willkommen zu 45 Zeilen Hirnflimmern, aber das ist natürlich viel zu kompliziert, jetzt sagt man: „Ich grüße Sie.“ Nicht „Guten Tag“, „Willkommen“, „Grüß Gott“, „Ja, servus, oide Fischbixn, lebst du aa no?“ oder Ähnliches, sondern: „Ich grüße Sie.“ Man beschreibt also, was man beabsichtigt zu tun resp. tun würde, wenn man’s jetzt nicht schon gesagt hätte.

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Moderner Begrüßungsdialog: „Ich grüße Sie!“ – „Ich grüße Sie auch!“ – „Wir grüßen uns gegenseitig!“ Und statt „Arschloch!“ könnte man auch sagen: „Ich beleidige Sie!“, und sich im Zweifelsfall einen Haufen Ärger ersparen. Zum Beispiel achtsam eskalierender Streit: „Ich beleidige Sie!“ – „Ich Sie auch!“ – „Ich hau Ihnen eine rein!“ – „Ich hol die Polizei!“ Alles gut. Ach, die Achtsamkeit. Gerade sind alle ganz säd und aufgeregt, weil Helge Schneider so bös über den Diskurs um die kulturelle Aneignung geredet hat. Im deutschen Hauptabendtalkshowfernsehen! Freilich, wo sonst werden solche Soundbites so professionell extrahiert.

Ui ui ui, ja geht denn das noch mit dem Helge?!

Sandra Maischberger, augenscheinlich noch auf der Suche nach ein bisschen pizzazz, schwenkt aufs Thema und konfrontiert den passionierten Jazzmusiker Schneider spitzen Blickes mit dem vielleicht randständigsten neben vielen mehr oder weniger sinnigen „Points“ der Diskussion, nämlich dass „Weiße keinen Jazz spielen sollten“. Was so kaum jemand ernsthaft vertritt und mir ungefähr so geistesfrisch erscheint wie zu fordern, dass Afrikaner nicht Fußball spielen sollten, weil den die Engländer erfunden haben.

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Schneider, von dem man sich wohl nicht erwartet hatte, er würde darauf mit lustiger Mümmelstimme irgendwas Dadaistisches sagen, lässt sich nach einem recht schönen Redebeitrag über die kulturenübergreifende Kraft der Musik dann noch dazu hinreißen, die Diskussion kühl und im Abgang irgendwie lahm aus der Hüfte geschossen als „Dreck“ zu bezeichnen. Die Leude: geschockt. Ui ui ui, ja geht denn das noch mit dem Helge?! Bitte diskutieren! *seufz*

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Jetzt hätte man natürlich überlegen können, ob man in einer Woche, in der neben einem tobenden Angriffskrieg auch noch eine Naturkatastrophe fürchterliches Leid über Hunderttausende in relativer globaler Nähe bringt, im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie mal ein bisschen Frieden hätte geben können – aber hey! The Bohei must go on. Und dann noch FDP-Panzkampfer Strack-Zimmermann in der Bütt: Darf man SO über den Oppositionsführer reden? Flugzwerg. Gut, meine Wortwahl wäre das auch nicht. Da würden mir für Friedrich Merz ein paar andere Vokabeln einfallen, aber die sag’ ich Ihnen mal bei einem Bier oder neun. Mein Vorschlag: Bis dahin in diesem Frühjahr weniger Internet glotzen, lieber ganz viel linear Television hören und Tom Verlaine einen guten Mann sein lassen. Friede seiner Asche.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 04/2023.