Eric Clapton: Blues und britische Noblesse


London, Royal Albert Hall. Schampus und Sitze aus rotem Samt. Das Delta des Mississippi könnte kaum weiter weg sein. Und doch beherbergt das ehrwürdige Gebäude den Blues. Immer dann, wenn Eric Clapton zu Gast ist.

Einhundertsiebzehn Konzerte seit 1987 in der ehrwürdigen Albert Hall. Und dennoch werden die Londoner nicht müde, ihrem prominenten Mitbürger immer und immer wieder die Reverenz zu erweisen. So auch an diesem Abend. Bei einer Show, die ‚From The Cradle‘, das aktuelle Album Claptons, in den Mittelpunkt stellt. Keine Frage also: Heute abend regiert in dem viktorianischen Rundbau im vornehmen Londoner Stadtteil Kensington der Blues – auch wenn das Mississippi-Delta von hier aus betrachtet einer fernen Galaxie anzugehören scheint. Denn in der Albert Hall genießt man den rauhen Sound der staubigen Südstaaten betont britisch. Ein Gläschen Schampus in der Hand, trifft die englische Upper Class auf eine eigens aus Tokio eingeflogene Reisegruppe, um es sich sodann im feinen roten Samt der Sitzgelegenheiten bequem zu machen. Schließlich ist man gekommen, um sich musikalisch wie auch vom festlichen Ambiente her verwöhnen zu lassen. Doch mehr als 100 Konzerte in der Albert Hall erheben E. C. fast schon zum Hausherrn. Hier kann Clapton kompromißloser als anderswo zu Werke gehen. Das schwer angegraute Haar adrett zurückgekämmt, mit Brille, dafür aber ohne Bart, präsentiert sich der 49jährige Gitarrengenius betont leger. Der Armani-Anzug ist Jeans und Sweat Shirt gewichen. Claptons Klasse jedoch bleibt von diesem veränderten Outfit unberührt. Immer wieder demonstriert der einstige Klangbildner von Cream, daß er mehr denn je zur Creme der zeitgenössischen Musiker zählt, daß Feeling, gepaart mit Virtuosität, immer noch weit mehr ist als Schnelligkeit. Clapton spielt den Blues wie seine großen Vorbilder. Doch er kopiert sie nicht, er interpretiert sie. Freddie King zum Beispiel oder Muddy Waters. Songs wie ‚Someday After A While‘ und ‚Hoochie Coochie Man‘ setzen die Highlights in einem rund zweistündigen Set, in dem Clapton von einer erstklassigen Band unterstützt wird – von Keyboarder Chris Stainton und Gitarrist Andy Fairweather-Low nämlich, von den Kickhorns, von David Bronze am Bass und dem einzigartigen Mundharmonikaspieler Jerry Portnoy. Drummer Steve Gadd schließlich ersetzt den nach der Amerika-Tournee gefeuerten Trommler Andy Newmark. Sie alle hören auf Claptons Kommando, der als Boss auf der Bühne seinen Musikern gegenüber fast völlig ohne Worte auskommt. Der Blues eint sie alle. Mit Blick auf das Parkett muß man da schon Abstriche machen. Nicht alle im Publikum sind Blues-Puristen, was 1993 schon einmal zu enttäuschten Reaktionen führte. Damals verließen einige, von leichter Tristesse befallen, nach dem 23. Zwölftakter die Halle. Und die meisten Verbliebenen hatten bis zum Schluß darauf gehofft, mit ‚Layla‘, ‚Tears In Heaven‘ oder ‚Wonderful Tonight‘ verwöhnt zu werden – vergebens. Statt dessen: Blues pur, was Claptons Konzerte, ob in London oder anderswo, für Fans des Genres zur Messe macht.