Filmreif


Auf dem Papier sah das Filmjahr 1999 nach einer abgemachten Sache aus-. Star Wars: Episode 1 und Wild Wild West die Renner, Eyes Wide Shut das künst- lerische Schmankerl, Notting Hill der Geheimfavorit. Bloß nichts anbrennen lassen, bloß die im Lauf des Jahrzehnts erkämpfte Ruhe nicht stören, war die Devise. Doch dann kam alles anders. Krasse Außenseiter liefen den haushohen Favoriten den Rang ab, Hollywoods altes Studiosystem hatte dieses Jahr eine herbe Erschütterung der Macht zu verzeichnen. Klar, Nummer-Sicher-Geschichten wie Big Daddy oder Die Braut, die sich nicht traut konnten gar nicht so schlecht sein, um nicht doch ihr Publikum zu finden. Trotzdem war eine Aufbruchsstimmung zu spüren wie seit s Easy Rider-Zeiten nicht mehr. Die machte 1999 zu einem aufregenden Filmjahr, in dem auch Studiofilme es sich erlaubten, mehr Risikos einzugehen. Fight Club, der Film des Jahres, und The Sixth Sense sind nur die Speerspitze. American Beauty mit Kevin Spacey, Three Kings mit George Clooney, Bringing Out The Dead von Martin Scorsese,Tim Burtons Sleepy Hollow und Man On The Moon mit Jim Carrey-allesamt in den USA bereits angelaufen-werden den Trend auf deutschen Leinwänden anno 2000 fortsetzen. 1999 war aber vor allem ein Jahr der Zweikämpfe, der Duelle, der konkurrierenden Projekte, der unterschiedlichen Film- und Weltanschauungen. Nachfolgend eine Abfolge der wichtigsten Trends - nach benutzerfreundlichen Fight Club-Regularien. Let's get ready to rumble...

SHAKESPEARE IN LOVE gegen DER SOLDAT JAMES RYAN Der ultimative symbolbeladene Zweikampf stand bei der Oscar-Verleihung im März ins Haus: Der Meister der Klassik gegen Hollywoods ungekrönten König; leichte, unbeschwerte Unterhaltung mit bestechenden Dialogen gegen ein patriotisches Geschütz mit Bildern hart an der Schmerzgrenze; England gegen Amerika; Independent gegen Studio; Außenseiter gegen Favorit; kurz: David gegen Goliath. Seitdem Der Soldat James Ryan in den USA Ende Juli 1998 in die Kinos gekommen war, stand fest, dass Spielbergs Alptraum über den D-Day der Film war, den es bei den Oscars zu schlagen galt. Shakespeare In Love hingegen wurde von Miramax im Dezember in einer Handvoll Kinos gestartet und, mit hymnischen Kritiken im Rücken, langsam hochgepäppelt. Als drei Monate später die Verleihung anstand, war die Erinnerung an Ryan verblichen, während Shakespeare immer noch in den Kino-Top-Ten und Gwyneth Paltrow der Liebling des Landes war.

Der Rest ist Geschichte: Shakespeare In Love gewann sieben Mal, u. a. als bester Filrn – und schickte damit Spielberg vergleichsweise in die Wüste sowie Schockwellen durch die Filmgemeinde. Anno 1999 war nichts heilig, nichts sicher, alles war möglich. Und das Studiosystem in den Grundfesten erschüttert.

STAR WARS gegen MATRIX

1977 hatte Hollywood-Außenseiter George Lucas eine kleine Revolution angezettelt und mit Krieg der Sterne nicht nur das Ende des filmemacherfreundlichen New Hollywood eingeläutet, sondern auch den Science-Fiction-Film revolutioniert. 1999 kehrte Lucas zurück, um Star Wars: Episode 1 -Die dunkle Bedrohung auf seine gigantische Fangemeinde loszulassen. Und auch 1999 gab es eine Revolution des Genres. Nur: Episode 7 hatte nichts damit zu tun. Während aller Augen auf die Kindheitsgeschichte Darth Vaders gerichtet waren, landete bereits im Frühjahr Matrix im Kino. Für 90 Mio. Dollar in Australien gedreht, sorgte der irrwitzige Film der Wacho1999 die filme

wski-Brüderfür eine regelrechte Hysterie. Nicht nur die originellen Effekte und der eigenwillige Look erregten die Kinogänger. Es waren die gesellschaftskritischen Elemente, die Ratlosigkeit über grundlegende Fragen von Realität und Identität, die vor allem jugendliche Fans ins Mark trafen. Wenn nach einem zweistündigen Feuerwerk der Ideen „Wake Up“ von Rage Against The Machine den letzten Nagel in den Sarg herkömmlicher Science Fiction-Ware trieb, war das wie ein Start schuss. Episode i – im Vorfeld als innovatives Spektakel gehypet – konnte mit seiner braven Heldengeschichte wie aus den 50s und wenig dynamischen Bildkompositionen nicht mithalten. Mit 115 Mio. Dollar Budget und einem weltweiten Einspielergebnis von mehr als einer Milliarde Dollar war Lucas‘ Baby freilich allemal der Film mit den höchsten Gewinnen in diesem Jahr.

EYES WIDE SHUT gegen DOGMA ’95 George Lucas war nicht der einzige Regiegigant, der sich 1999 nach Jahren der kreativen Ruhe wieder mit einem Werk zu Wort gemeldet hatte. Bereits zu Beginn des Jahres hatte Hollywood-Eremit TerrenceMalick die Kriegs-Elegie Der schmale Grat vorgelegt, seinen ersten Film seit 20 Jahren. Dieser flashback in eine Ära, als Filme noch Gefühle und persönliche Vision transportierten, vergrößerte den Appetit auf die neuen Filme der lange stummgebliebenen Regiegrößen Stanley Kubrick und Warren Beatty. 13 Jahre nach Füll Metallacket in i8-monatiger Drehzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstanden und drei Tage vor Kubricks Tod im März fertiggestellt, stellt die Verfilmung von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ ein Vermächtnis voller Rätsel dar. Und auch wenn Tom Cruise nervt und man Kubricks Drive nicht in seiner ganzen Bedingungslosigkeit spürt, ist Eyes Wide Shut doch ein Juwel, dem man stets die Handschrift eines Meisters ansieht. Eigenartiger noch war die Entstehung von Bulworth, Warren Beattys erster Regiearbeit seit Dick Tracy von 1990. Denn niemand bei Fox kann sich heute daran erinnern, wer Beattys 32-Mia-Dollar-Budget bewilligte oder grünes Licht für die Produktion gab und man war verblüfft, als Beatty eine der inhaltlich provokativsten und substanziellsten Komödien des Jahrzehnts vorlegte. Während die Altmeister mit einem Hochmaß an handwerklicher Fertigkeit ahnen ließen, was Film sein kann, vereinbarte eine Handvoll dänischer Regisseure an der Basis eine Rückkehr zum Wesentlichen des Filmemachens-dem Geschichten erzählen -und verbot sich via „Dogma 95“ (Regeln u.a.: kein künstliches Licht, Handkamera, Originalschauplätze, keine Effekte) jede Abweichung davon. Sie trafen einen Nerv, und Dogma verbreitete sich >>