Frau Nachbarin


Sie wußte immer, was sie wollte. Und mit einem Part in der Seifenoper "Neighbours ließ sich die Karriere von Natalie Imbruglia auch glänzend an. Doch dann kam der herbe Knick. Jetzt ist die Dame aus Down Under wieder obenauf: als Musikerin.

Daß eine Seifenoper gleichzeitig ein Segen und ein Fluch sein kann, davon kann Natalie Imbruglia (sprich: Imbrulia) ein Lied singen. Die zierliche Australierin italienischer Abstammung spielte zwei Jahre lang eine Hauptrolle in der australischen Soap „Neighbours“ („Nachbarn“), in der bereits spätere Sangeskünstler wie Kylie Minogue, deren Schwester Danii und Grinskiste Jason Donovan erste Schritte in die Öffentlichkeit taten. Nun ist auch für Natalie die Zeit gekommen, neben ihrem schauspielerischen auch ihr musikalisches Talent unter Beweis zu stellen, über das sie – im Gegensatz zu manchem ihrer Vorgänger – erfreulicherweise tatsächlich verfügt. Dafür nimmt sie zuversichtlich den Kampf gegen das Klischee vom nichtskönnenden Fernsehpüppchen auf. „Viele Leute, die mich bisher nur aus der Soap kannten, hassen meine Musik schon aus Prinzip, weil sie denken, ‚die ist da doch nur wegen der Serie reingerutscht, das kann ja nur Mist sein'“, bringt das Energiebündel die gängigen Vorurteile auf den Punkt und kontert sogleich: „Klar erleichterte mir meine Popularität den Einstieg ins Musikbusiness.Tatsache ist aber, daß die Leute von der Plattenfirma gar nicht wußten, wer ich bin, als sie mein Demotape angehört haben. Ich bekam den Deal wegen der Qualität meiner Musik und nicht, weil ich als Ex-Fernsehstar gut zu vermarkten bin.“ Da spricht eine, die ihr Licht nicht mehr unter den Scheffel stellt. Muß sie auch nicht. Denn-Vorurteile hin oder her-die Fakten sprechen für sich. Natalies erste Single („Torn“) eroberte im Sturm die Playlists der einschlägigen Radio- und Fernsehstationen sowie die internationalen Charts. Und auch der zu „Torn“ gehörende Longplayer „Left Of The Middle“ kann sich hören lassen. Denn erstens erweist sich das Fräulein mit der samtenen Stimme als talentierte Songwriterin, und zweitens wurde für das Debütwerk auch auf Produzentenseite nichts dem Zufall überlassen. Da griffen Natalie eine Handvoll erfahrener Profis unter die Arme: neben Mark Palati (er produzierte David Bowies letztes Album) und Andy Wright (Alisha’s Attic, Mick Hucknall) war das vor allem Cure-Bassist Phil Thornally, der schon bei The Cure und Acts wie Duran Duran und Edwyn Collins die Finger maßgeblich mit im Spiei hatte. Natalie selbst ist immer noch überwältigt von diesem Staraufgebot: „Manchmal kann ich das alles selbst noch nicht glauben und sage mir‘ Hey, könnte mich bitte mal jemand in den Arm kneifen?'“ Gerne doch, Euer Bescheidenheit. Ändert aber nichts. Denn rückblickend wird deutlich: Schon von Kindesbeinen an standen für das Showtalent Natalie Imbruglia die Zeichen auf Erfolg. Noch bevor sie in die Schule ging, begann sie zu tanzen. Später nahm sie Tanz-, Gesangs- und Schauspielunterricht und bekam mit 14 Jahren ihren ersten Plattenvertrag angeboten („Den wollte ich aber nicht, es war nicht meine Musik, und ich hätte keinerlei Kontrolle gehabt – unerträglich“). Drei Jahre später kam das Angebot für „Neighbours“, jene unendliche TV-Geschichte, die Natalie selbst schon zu Kylie Minogue- und Jason Donovan-Zeiten verfolgt hatte.Jch wußte schon immer, daß ich schauspielern wollte und auch,daß ich mal eine Platte aufnehmen würde. Aber als ich die Chance bekam, bei ‚Neighbours‘ einzusteigen, dachte ich nur, ‚wow, cool‘. Und nicht, ‚Oh Moment, könnte diese Entscheidung vielleicht später meinen Plattenplänen schaden?“‚ 1994 kehrt Natalie Imbruglia „Neighbours“ und Australien den Rücken. Die Arbeit in der Serie hat sich für sie totgelaufen. Bester Dinge macht sie sich auf, ihr Glück in London zu suchen. „Ich stürzte mich da erst mal voll ins Nachtleben. Ich liebte es, mich durchzustylen“, begeistert sie sich, und als wäre das etwas ganz und gar Ungeheuerliches,fügt sie hinzu: „Stell‘ Dir vor, ich bin sogar in solchen hochhackigen Schuhen rumgelaufen! Heutzutage kriegt man mich aus Turnschuhen nicht mehr raus.“ So auch jetzt. Kaum geschminkt, in Schlabberjeans, Lieblingspulli, Cordjacke und in besagten Turnschuhen hockt Natalie auf dem Sofa – und erzählt von der härtesten Zeit ihres Lebens. Entgegen ihren Erwartungen ließ sich die England Karriere nämlich erst mal ganz und gar nicht rosig an. „Irgendwann fiel ich in ein regelrechtes Loch. Es war, als hätte jemand auf die Stop-Taste meines Lebens gedrückt“, sinniert sie. „Ich hatte zwei Jahre lang keinen Job, das Geld ging zur Neige, und ich bekam eine richtige Depression. Aber im nachhinein betrachtet, war es das Beste, was mir passieren konnte. Ich blieb viel alleine zu Hause und glaube, daß ich mich in dieser Zeit selbst kennengelernt habe. Irgendwann war es egal, daß ich mir nicht mehr so viele neue Klamotten kaufen konnte. Es machte mir nichts mehr aus, zu dieser oder jener Party nicht eingeladen zu sein.“ Wichtige Erkenntnisse.aber bei weitem nicht die einzigen: „Ich erkannte damals erst, wieviel Glück ich bisher gehabt hatte. Ein bißchen Pech und ein paar Fehler, und du kommst ganz schnell auf den Teppich zurück. Früher war ich ein bißchen arrogant. Dann habe ich am eigenen Leib erfahren, was der Satz ‚wie gewonnen, so zerronnen‘ bedeutet.“

Seit sie dank eines rührigen Managements einen Plattenvertrag in der Tasche hat, stehen Singen und das Schreiben von Songs im Mittelpunkt von Natalie Imbruglias Leben. Am Anfang der neuen Karriere stand statt Freude jedoch reinste Panik. „Als ich den Vertrag bekam, dachte ich nur die ganze Zeit,’Oh, Mist, Mist, Mist! Jetzt mußt du das durchziehen! Jetzt kommt‘ raus, daß du es gar nicht kannst!“‚ Komplexe, die erst durch die Zusammenarbeit mit Phil Thornally beseitigt wurden: „Phil ist einfach brillant. Er holt das Beste aus meiner Stimme heraus.“ Derart gestärkt, plant Natalie derzeit für Ende dieses Jahres eine Tournee und läßt sich auch die obligatorischen Vergleiche mit Meredith Brooks, Alanis Morissette und Sheryl Crow geduldig gefallen. „Ich mag eben diese Art von Musik und mache sie auch selbst, allerdings ohne jemanden zu kopieren zu wollen. Ich schätze, jede moderne Rockmusikerin wird mit den dreien verglichen. Aber das ist okay. Man könnte schließlich mit viel schlimmeren Leuten verglichen werden.“ Mit Danii oder Kylie Minogue zum Beispiel? Nein, auf letztere läßt Natalie schon mal gar nichts kommen: „Kylie ist fantastisch. Ich fand sie schon immer supercool. Sie kann gar nichts falsch machen. Sie ist eine wahre Ikone der Popmusik.“