Popkolumne, Folge 172

Frisches Geld und Gegenwind: Was ist da los bei der Luca-App, Smudo?


Heilsbringerin für die Eventbranche oder lediglich Ornament digitaler Corona-Bürokratie - oder gar beides gleichzeitig? Um kaum ein mobiles Anwendungsprogramm gab es soviel Diskussion wie um die Luca App. Bei ihrer aktuellen Neuausrichtung nun soll Geld eines russischen Oligarchen-Sohns im Spiel sein. Was hat es damit auf sich? Linus Volkmann lässt die Story der aufgeladenen App Revue passieren, spricht mit Veranstaltern – und am Schluss ruft sogar Smudo zurück. Die neue Popwoche.

Harte Tür

„Ja, komm mach!“

Der Türsteher ist genervt. Ich blockiere den Eingang. Ja, ja, ich mach ja schon – oder versuche es zumindest. Hektisch suche ich in meinem Smartphone, wo ist bloß diese Luca App, mit der man sich einloggen kann bei einer Veranstaltung? Die brauche ich jetzt. Sonst komme ich nicht in den Club rein. Sich mit Luca bei einem Event zu registrieren, ist Teil der Corona-Maßnahmen.

Es ist Herbst 2021, nach langer Durststrecke sind endlich wieder Live-Veranstaltungen möglich. Geile Sache – allerdings ist für mich gleich schon wieder Essig mit der neuen Freiheit, wenn ich nicht endlich diese App zur Corona-Nachverfolgung in meinem Handy finde.

Ein Barcode, den wir alle kennen

Da fällt es mir wieder ein: Mist, ich hatte Luca letztens gelöscht. Als ich wiederholt von Datenpannen gelesen hatte. Scheiße.

Die Diskussion um Datenschutz kann ich hier vor dem Laden wohl kaum heraufbeschwören. Es heißt eher: Friss oder stirb. Beziehungsweise: Lade Luca sofort wieder runter oder bleib draußen. Alles klar. Datenpannen my ass.

Man ist der Herrschaft seiner Apps ohnehin ausgeliefert, ist ohnehin bereits komplett gläsern – und vor allem: Ich will da jetzt rein. Hinter mir wartet bereits eine stattliche Zahl weiterer Gäste, im Rahmen eines Club-Festivals soll hier gleich eine New Wave Band spielen, von der gefühlt gerade jeder spricht. Ich versuche also gleichzeitig durch Small Talk Zeit zu gewinnen und parallel wie bekloppt im App-Store die virtuellen Türen einzurennen. Luca App, Luca App, Luca App!

Mein fahriges Gelaber beeindruckt den Türsteher wenig, mein Glück ist viel eher, dass er Verzögerungen wegen Einloggens, QR-Codes und ähnlich digitaler Folklore dieser Tage gewohnt zu sein scheint. Von hinten höre ich allerdings jemand rufen: „Danke für Nichts, Smudo!“

Smudo? Wird man so heute von den Kids beleidigt?

Ich drehe mich mit finsterer Miene um – soviel Zeit muss sein, wenn man nicht mal mehr „Hurensohn“, sondern stattdessen „Smudo“ genannt wird. Die zur Aussage gehörende Frau zwinkert mir verschwörerisch zu. Hä? Ach so, mit Verzögerung kapiere ich, sie adressiert in dieser lauen Nacht nicht mich, sondern wirklich Smudo von den Fantastischen Vier. Denn der ist ja das Gesicht beziehungsweise Mitentwickler jener Luca App, die hier gerade für alle am Einlass kurz so eine große Rolle spielt.

Smudo

Am 28. Februar 2021 hat der Rapper Michael Bernd Schmidt, besser bekannt als Smudo von den Fantastischen Vier einen großen Auftritt. Zwischen all den Politiker*innen bei Anne Will, deren Corona-Konzepte bis dato eher wenig Furore machten, wirkt der Musiker besonders gut. Einer, der zwar ebenfalls viel redet, aber der auch anpackt und der qua eigener Künstler-Expertise weiß, was wirklich los ist in der Event-Branche. Der Titel der „Anne Will“-Sendung lautet „Die große Ratlosigkeit – Gibt es einen Weg aus dem Dauer-Lockdown?“

Smudo hat offenbar einen aufzuzeigen – in Form der von ihm mitentwickelten Luca App der Culture4Life GmbH. Die App protokolliert Besuche in Restaurants wie Clubs – und erfüllt damit die Auflagen der Behörden. So könnte doch bald wieder was gehen, hofft in dem Moment eine ganze Branche.

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Harte Tür (Reprise)

Endlich habe ich die Luca-App wieder auf dem Handy, ich scanne den QR-Code. Doch als ich mich einloggen will, um meine Ankunftszeit digital zu hinterlegen, kommt eine Fehlermeldung, auch das noch. Ich halte dem Türsteher trotzdem das Display hin, hinter mir drängt es, die Situation ist einigermaßen unübersichtlich, ich rutsche weiter – und bin drin. Nicht offiziell von der Luca App bezeugt, aber ich denke: Scheiß drauf.

Wenn diese Prozedur hier vor dem Club wirklich Einfluss auf die Pandemie nimmt, fresse ich einen Besen.

Luca App als Symbolpolitik

Dennoch scheint mir das „Danke für Nichts“ aus der Warteschlange nicht wirklich präzise. Denn vor der Luca App mussten Gastronomen und Veranstalter die Daten ihrer Gäste schriftlich aufnehmen. Das Buzzword der Corona-Eindämmung jener Tage heißt „Kontaktnachverfolgung“ – und eine solche wäre in dem vollen Club, den ich nun betrete, in schriftlicher Form einfach gar nicht möglich.

6. August 2021: Auf einem Schild steht „Our Berlin – Heute! Haltet bitte eure Luca App bereit, Zutritt nur: Geimpfte, Genesene, negativ Getestete“ vor dem Eingang am Festsaal Kreuzberg. Bei einem Pilotprojekt sollten sechs Clubs ein Wochenende lang öffnen – ohne Maske und Abstand, dafür mit PCR-Tests für die feiernden Menschen.

Doch auch die via Luca erhobenen digitalen Informationen sprengen schnell Kapazitätsgrenzen. So wird bekannt, dass Gesundheitsämter die Daten der App letztlich oft nicht nutzten für eine Nachverfolgung. Luca scheint seine Bedeutung eher auf symbolischer Ebene zu haben. Die darbende Clubkultur und die abgeschaltete Gastro verpflichten sich, alle Vorgaben behördlicherseits zu erfüllen: Sie kümmern sich um die Erhebung der Gästedaten und bekommen im Gegenzug die Chance, wieder öffnen zu können. Und die Umstellung von Zettel auf digital übernimmt 2021 die Luca App. Die Betreibergesellschaft Culture4Life sammelt dafür bei Bund und Ländern knapp 22 Millionen für die Lizenzen ihrer App ein. Im Zuge dessen wird die fehlende Ausschreibung kritisiert, außerdem ist die – mit noch mehr öffentlichem Geld bereits geförderte – Corona-Warn-App doch selbst mit einer Check-In-Funktion versehen. Doch der Schuh drückt so sehr, es muss schnell gehen, und Luca macht sich – nicht zuletzt mit ihrem prominenten Entrepreneur Smudo – zum Anwalt der Live-Branche und der Gastro. So wird Luca ein wichtiges Argument in den Öffnungsdiskussionen des in der Tat ratlosen Jahres 2021.

Vornehmlich in dessen Herbst geht die App dann in den Stress-Test eines neuen Ausgeh-Alltags unter den Bedingungen von Corona. Der persönliche Eindruck dürfte dann auch – nicht nur bei mir – oft genau selbiger gewesen sein: stressig… mit dem mehr als einem leichten Verdacht, dass das alles ziemlich sinnloser Datenwahnsinn ist, der keinen Einfluss auf die Pandemie nimmt.

Das bestätigt auch Jens Rieger vom Chaos Computer Club. In einem Interview mit dem SWR spricht er von keinem nennenswerten Effekt: „Der ersatzweise Einsatz der App, statt früher Papierlisten, ist nur noch Makulatur“.

Die Veranstalter-Perspektive

Angesichts solcher Aussagen scheint es mir besonders interessant, auch mal direkt bei einem Club nachzufragen, der mit dem System gearbeitet hat. David Lohdi, der unter anderem den Club Stereo in Nürnberg führt, sagt dazu Folgendes:

„Wir durften Anfang Oktober letzten Jahres sehr kurzfristig für ein paar Wochen wieder aufmachen. Da haben wir vor allem überlegt, wie uns der wenigste Stress beim Einlassprozedere entsteht. Wir haben uns für Luca entschieden, weil wir der Ansicht waren, das ist die effizienteste Lösung – auch im Hinblick auf unsere Lage in einer engen Altstadtgasse und die zu erwartende, längere Verweildauer der Gäste vor dem Club. Es existierten damals auch bei uns im Team kritische Stimmen. Aber es gab auch viele Kommunen, die die App zur Kontaktnachverfolgung genutzt haben – und Nürnberg war eine davon. Dort lief irgendwie eine gute Kampagne zugunsten von Luca hier. Im Einsatz vor Ort war die App meiner Ansicht nach genau so gut oder schlecht wie alle anderen Apps. Die sieben Wochen, die bei uns geöffnet war im letzten Herbst, sind für mich rückblickend vor allem Bundestagswahlkampf gewesen. Ich sehe aber auch, dass die verschiedenen Ansätze und Maßnamen in den verschiedenen europäischen Ländern am Ende ein sehr ähnliches Ergebnis hatten. Die Luca App werden wir übrigens, sollte es nochmal zu einer Kontaktdatenerfassung in unserem Bereich kommen, nicht mehr nutzen. Teamentscheid.“

Die Sache mit der Pressemeldung

Geht man davon aus, dass die Luca App gar nicht so sehr praktischen, sondern argumentativen Nutzen hatte, muss natürlich auch diese Story Erwähnung finden: In ihrer Pressemeldung vom 15. November 2021 preist das Luca-Projekt seine millionenfache Nutzung – außerdem wird eine Statistik veröffentlicht. Diese liest sich in ihrer äußerst vereinfachten Darreichungsform vor allem für Clubs einigermaßen verheerend, dort sollen laut Luca ein Großteil von Infektionen stattgefunden haben. Das schiebt unzählige Berichte an, die zu Ungunsten von Veranstaltungsorten berichten und die sich dabei auf Luca berufen. Einen wirklich Impact dürfte die verkürzte Luca-Statistik allerdings nicht auf das Clubgeschehen gehabt haben – denn der Omikron-Winter 2021/2022 kassierte die meisten Öffnungen des Herbsts ganz von selbst. Corona hatte erneut seine eigene Agenda.

Nicht nur von Clubtüren bekannt: Schilder mit dem Aufdruck „Maskenpflicht“ und „Für die Nutzung im Innensitzbereiches gelten die 2G-Regeln Geimpft Genesen“ hängt neben dem Eingang zu einer Bäckerei mit Cafe über einem Schild für die Luca-App.

Und jetzt?

Interessanter ist dagegen ohnehin ein ganz anderer Punkt, mit dem diese Pressemeldung seinerzeit Luca selbst beschrieb: Knapp 40 Millionen User habe man. Damit ist halb Deutschland Kunde dieser App. Der Anschub von Bund und Länder habe der App zu diesem punktuellen Must-Have-Status verholfen. Und genau mit diesem Pfund gehen die Betreiber nun ganz neu an den Markt.

Culture4Life verkündet aktuell, ihr Angebot zu „Luca Pay“, also zu einer Bezahl-App fürs Ausgehen umzuwandeln. Um das Venture-Kapital für diesen Schritt aufzutreiben, fungieren jene 40 Millionen registrierten Nutzer*innen als Anreiz. Dass so viele Menschen diese App kennen und besitzen (mussten), macht sie auf dem freien Markt äußerst wertvoll. So konnte man von Investor*innen 30 Millionen Euro erhalten. Damit wird Luca also zu „Luca Pay“ – ein cleveres Geschäft mit und nach der Pandemie. Aber ganz so knitterfrei ist dieses neue Erfolgsgeschichtenkapitel dann doch nicht: Seit einigen Tagen steht der Vorwurf steht im Raum, Luca ließe sich dabei auch bezahlen von dem Sohn eines russischen Oligarchen.

Die Sache mit dem Oligarchen-Sohn

Das für die Neuausrichtung der Luca App eingesammelte Geld stammt unter anderem von der Firma Target Global. Jene wurde ursprünglich in Russland gegründet, als CEO und Mitgründer fungiert Alexander Frolov. Dessen – gleichnamiger – Vater ist ein russischer Oligarch, dessen Vermögen sich auf 2,6 Milliarden Dollar belaufen soll – und der sich seinen Reichtum als Stahlbaron unter Putin angehäuft hat.

Ist es nun böswillig oder doch eher verständlich, wenn man die Millionengeschäfte von Frolov junior vor dem Hintergrund des Geldes seines Vaters problematisch sieht? Fakt ist jedenfalls, dass auch andere Start-Ups (wie zum Beispiel der Lieferdienst Flink) sich von Target Global haben finanzieren lassen.

Die Betreiber der Luca App selbst sehen kein Problem mit ihrem frischen Geld. Gegenüber tagesschau.de betont Luca-Chef Patrick Hennig derweil, die Culture4Life GmbH habe die Gespräche mit Target Global schon im Januar und damit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine beendet. Zudem komme ein Großteil des Kapitals von Target Global aus Europa. Target sei dabei, den Anteil russischen Geldes Stück für Stück zurückzuführen. „Insofern ist das für uns okay“, erklärt Hennig. Die Russland-Verbindungen von Target beunruhigten ihn nicht. „Wir haben uns bewusst für Target entschieden aufgrund ihrer Expertise und ihrer Kenntnis des Ökosystems in Deutschland und Europa.“

Smudo (Reprise)

„Das Drumherum muss stimmen, sonst ist alles null und nichtig“
(Aus „S.M.U.D.O. Ich bin halt so“ – Die Fantastischen Vier)

Also ich weiß nicht: So richtig befriedigt lässt mich die letzte Aussage nicht zurück. Man will sicher nicht die eigene Ohnmacht hinsichtlich des Überfalls auf die Ukraine an der neuen Luca-App-Ausrichtung auslassen. Was hätte das für einen Sinn? Dennoch: Je mehr ich mich über die quasi fantastilliardenschwere Familie Frolov informiere, desto mehr bleibt für mich etwas übrig, das der Schwabe „ein Geschmäck’le“ nennen würde.

Apropos Schwabe… Ich möchte diese Fakten- und Erfahrungssammlung nicht schließen, ohne noch mal bei einer zentralen Person nachgefragt zu haben. Ich schicke also eine Mail an die Agentur der Fantastischen Vier. Ich will wissen, wie Smudo das Ganze bewertet. Ob er darauf wohl antworten wird? Bestimmt nicht. Viel zu unangenehm.

Doch nach kurzer Zeit klingelt das Handy. Smudo ruft an. Er habe die Anfrage bekommen, ja, er wolle sich schriftlich äußern. Er wirkt angefasst von dem Thema, also nicht so sehr von der Sache mit Target Global, als vielmehr dass jetzt Luca-Abrechnungen erscheinen könnten, die sich auf den Link zwischen seiner App und dem Ukraine-Krieg stürzen.

Ich kann ihn gut verstehen, denke allerdings auch, wer mit den Medien im Fahrstuhl nach oben fährt (man erinnere den Coup dereinst bei Anne Will), muss natürlich auch damit rechnen, großes Thema zu sein, wenn es um nicht so günstige Schlagzeilen geht (was der App bereits mehr als einmal geschehen ist). Der ganze Clickbait-Kampagnenjournalismus und die Social-Media-Tribunale, die heute an die Stelle öffentlicher Debatten getreten sind, sind natürlich dennoch die Pest.

Smudo spricht hier im Dezember 2020 bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung der App „Luca“.

Na, dann lassen also doch zumindest wir alle Seiten zu Wort kommen. Smudo äußert sich so:

Wie stehen Sie zu der aktuellen Neu-Aufstellung der Luca App? 

SMUDO: Luca ist für mich immer die Antwort der Veranstaltungswirtschaft auf die Zettelwirtschaft gewesen. Den Gastronomen haben wir erfolgreich bei der Erfüllung ihrer Dokupflicht im Rahmen der Coronaschutzverordnung geholfen. Im Zuge der gemeinsamen Erfahrung haben wir von den Gastrobetrieben viele Feature-Wünsche an Luca empfangen und wollen die nun umsetzen.

Welche Rolle spielen Sie 2022 bei culture4life?

SMUDO: Ich bin (wie auch die anderen der Fantastischen Vier) nach wie vor Gesellschafter, spiele operativ aber keine Rolle.

Wie bewerten Sie das finanzielle Engagement von Target Global, dessen CEO Alexander Frolov ist, Sohn eines unter der Putin-Administration reich gewordenen Oligarchen?

SMUDO: Target Global ist ein internationaler Fond, in dem hauptsächlich bekannte europäische institutionelle Anleger investieren wie zum Beispiel UBS, Allianz und so weiter. Obendrein haben sie das europäische Start-Up-Ökosystem maßgeblich mit aufgebaut und viele bekannte Startups begleitet (u.a. Delivery Hero, Flink, Auto1). Es sind weder sanktionierte Personen involviert und es ist kein sanktioniertes Geld in dem Fond investiert. Auch Frolov senior ist nicht sanktioniert. Und auch er ist nicht beteiligt. Weder direkt noch über einen Fond. Und die bei Target Global beteiligten Personen verurteilen wie wir den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine aufs Schärfste.

Soviel also von Smudo selbst. Ich selbst will hier gar kein Fazit vorgeben. Für mich reicht an dieser Stelle folgendes Zitat völlig aus: Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.

Peace, Leute.

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