Gary Gary Numan & Tubeway Army


Ehe sich hierzulande so richtig rumgesprochen hatte, wer oder was Tubeway Army eigentlich ist, wurde der Begriff schon wieder liquidiert. Denn nach dem immensen Erfolg der Single "Are Friends Electric?" vor der LP "Replicas" (siehe ME 8/79) will mastermind Gary Numan das Projekt nur noch unter seinem eigenen Namen weiterführen.

Gary Numan ist 21 Jahre alt und sehr schüchtern. Als er vor zwei Jahren bei seiner späteren Band vorspielte, konnte er noch nicht ahnen, daß er mit der Zeit zum Produzenten, Komponisten, Sänger, Keyboardspieler avancieren sollte. All das neben seiner ursprünglich vorgesehenen Rolle als Leadgitarrist, versteht sich. Es war ein glücklicher Zufall: „Als ich vorspielte,“ gesteht Gary, der mittlerweile wieder von weißblond zu seiner natürlichen dunklen Haarfarbe zurückgekehrt ist, „war ich der einzige, der aufkreuzte, darum bekam ich den Job. Nach einer Woche hatte sich das Konzept der Gruppe total verändert, weil ich den Jungs älteres Material von mirvorgespielthatte.“ Es ist nicht gerade leicht, Gary auf Anhieb zu verstehen. Sein Hang zu Science Fiction und Depressionen ist so stark mit seinem Privatleben verstrickt, daß eigentlich nur eine Figur aus einem Orson Welles-Film ihn so richtig begreifen könnte. Außerdem verabscheut er Tourneen und mißtraut den meisten Leuten seiner Umgebung; will sie gleichzeitig aber mit seinen musikalischen Ideen unterhalten und darüber hinaus populär und berühmt werden.

„Es hängt mit dem Ego zusammen,“ erklärt er ungerührt, wenn die Sprache auf den Split von Tubeway Army kommt. „Ich bin lieber Solist als Teil einer Band, obwohl ich ja immerhin das Rückgrad von Tubeway Army ausmache.“ Naja, seinen Willen bekommt er im Herbst, wenn er als Gary Numan auf Tournee geht. „Ich will, daß man Tubeway Army einzig und allein als mein Sprungbrett betrachtet. Ich kann nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die mir vorschreiben, was ich zu tun habe. Ich arbeite lieber mit Leuten zusammen, denen ich erkläre, was sie machen sollen. Davon abgesehen dreht sich in der Band sowieso alles um mich. Keiner kommt mal mit einem Song oder anderen Initiativen.“ So wird es also bei zwei Tubeway Army-Alben bleiben: Das erste war einfach bekannt unter dem Titel „The Blue Album“, das zweite war dann das erfolgreiche „Replicas“. Die neue LP, „The Pleasure Principle“, erscheint bereits unter Gary Numan (in England im September). Aber wer bitteschön ist eigentlich Herr Numan?

„Der Name ist nur ein Bühnen-Pseudonym. Ich hab ihn im Branchenverzeichnis entdeckt unter der Rubrik ‚Haushaltsgeräte‘. Mein eigener Name ist nämlich so gewöhnlich wie der Staub auf der Straße.“ Als Gary Numan kennt man unseren Mann erst seit den Anfangstagen von Tubeway Army. Diese Formation durchlief zahlreiche Reinkarnationen. Nur Bassist Paul Gardiner hielt sich immer an Garys Seite. „Ich stieg mal in eine Band ein, die sich The Lasers nannte,“ berichtet Gary. „Nach einem Gig im Roxy hatte ich Krach mit dem anderen Gitarristen, weil der mit irgendeiner blöden Ausrede einen Übungstermin abgesagt hatte. Es war mir klar, daß es schwer sein würde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich ging und Paul kam mit, weil er auf meine Songs stand.“

Tubeway Army wurde im Frühjahr ’77 gegründet. Gary: „Mein Vater gab uns 24.000 DM für das Equipment. Und mein Onkel Jess Lidyard spielte bei uns Schlagzeug. Zunächst hat er versucht, uns mit Wirbeln und allen möglichen anderen Kunststückchen zu imponieren, verzichtete dann aber schnell darauf, nachdem ich ihn mit New Wave-Material vertraut gemacht hatte. Punk und New Wave waren damals unheimlich angesagt und wir haben natürlich immer gepogot. Als wir dann bei Beggars’s Banquet unterzeichneten, änderten wir das Konzept, und Jess verließ die Band. Für ihn kam ein Drummer namens Gerald, aber es stellte sich heraus, daß er wegen seines festen Jobs nicht auftreten konnte. Später nahmen wir noch einen zweiten Gitarristen dazu: der hieß Sean, und sein Freund Barry spielte Schlagzeug. Zu unseren Gigs kam nie jemand. Die beiden zogen auch bald wieder ab, weil sie das neue Material nicht mochten, an dem Paul und ich arbeiteten. Also holten wir wieder Uncle Jess ins Studio, um „Replicas“ aufzunehmen.“

Für „Pleasure Principle“ gilt dasselbe line up; für die bevorstehende Herbst-Tournee werden allerdings noch fünf weitere Musiker angeheuert. Numans Sci-Fi-Trip wird sich im Bühnenbild weiterspiegeln. Geplant sind zum Beispiel sechs Meter hohe Türme für die Keyboards, ferngesteuerte Roboter, Laserkanonen und spezielle Lichteffekte. Eine besondere Überraschung noch: Bill Currie. Ultavox-Keyboardmann wird mit auf Tournee gehen. Eine Tatsache, über die Gary mehr als erfreut ist, um es mal mit typisch englischem Understatement auszudrücken.

Ultravox gehört neben Bowie und einer neueren englischen New Wave-Band namens Human League zu Numans absoluten Favoriten. ,,’Replicas‘ bewegt sich ja auch völlig auf der Ultravox-Linie,“ gibt er zu; „sie hat mich stark beeinflußt. Ultravox-Songs sind teilweise richtig unheilverheißend, und das ist genau mein Stil. Und dann Bowie: Als ich 16 war, schrieb ich eine Menge Songs, die sich alle auf Ziggy Stardust bezogen; jeder einzelne war vom Ziggy-Album geklaut. Ich mache es heute in Wirklichkeit noch genauso, aber ich vertusche das natürlich jetzt besser. Ja, ich stehe auf Ziggy’s Image. Ich bin noch immer ein Bowie-Fan, obwohl ich mit seinen Texten heute nicht mehr viel anfangen kann. Ich wünschte, er hätte damals in dem Stil weitergemacht. Eine bessere Beziehung habe ich zu Kraftwerk und Eno und natürlich zu Ultravox.“

Wohinter Gary Numan sich auch immer verstecken mag, sein Hang zur Depression wird ihn immer verraten. Da macht auch seine dritte LP keine Ausnahme. „Das ist beabsichtigt.

Die meisten Songs werfen die Frage auf ‚Was wäre wenn?‘. ‚Are Yor Real‘ von der ersten LP zum Beispiel dreht sich um das Herstellen von Duplikaten (Clones) nach menschlichem Vorbild; ‚My Love Is A Liquid‘ handelt von Retortenbabies. In ‚The Machman‘ geht es um einen Mann, der es mit einer Maschine treibt. ‚The Life Machine‘ handelt von diesen, Lebenserhaltungsmaschinen, die die Ärzte nicht einmal dann abschalten, wenn der Patient den Wunsch hat zu sterben. Ich beschäftige mich sehr viel mit derartigen Dingen und versetze mich in die Situation anderer Personen. Darum benutze ich auch oft die ich-Form in meinen Texten wie in ‚Life Machine‘ zum Beispiel. Da denke ich mich in die Situation eines Menschen, der sterben will. Ich finde, wenn jemand tot ist, dann sollte man abschalten. Es gibt keinen Grund dafür, das Herz länger am Schlagen zu halten, wenn der Betroffene gar nicht mehr merkt, daß er noch lebt. Auch wenn es meine Mutter wäre. Das ist deprimierend…zumindest für mich.“

Gary ergeht sich gern in Selbstzerfleischung: „Ich bin ein erbärmlicher Typ. Immer wenn ich mit anderen enger zusammenkomme, bereite ich ihnen auch nur Elend. Mit 17. nahm ich Valium; das machte einen Zombie aus mir! Es stoppte meine Gefühle, meine Emotionen, überhaupt alles. Gleich danach fing ich an, diese deprimierenden Songs zu schreiben. Aber das war schon okay, denn ich kann nur schreiben, wenn ich deprimiert bin. Also das heißt: wenn meine Karriere als Musiker noch fünf oder zehn Jahre dauern sollte, muß ich solange als elende Kreatur weitermachen. Ich bin auf eine gewisse Weise glücklich, wenn ich deprimiert bin, so ironisch das auch klingt. Zum Beispiel, als ich den Schallplattenvertrag mit Beggar’s Banquet bekam: Meine Familie hat sich wirklich gefreut und sie fragten mich, wie alles kam und so weiter, und ich war richtig mies zu ihnen. Ich habe mich ihnen gegenüber wie ein Schwein aufgeführt. Ich verstehe selbst nicht, warum ich mich manchmal so benehme. Ich bin übrigens kein religiöser Mensch. Ich glaube an Geister. Ich glaube, daß da irgendetwas vor sich geht, aber ich kann es nicht so richtig packen. Es ist wie das All und das Universum, also schwer zu begreifen…“

Genau wie Tubeway Army und Gary Numan eben.