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Geheimtipps: Diese 10 Freistil-Alben solltet Ihr Euch anhören


Albert Koch empfiehlt 10 essenzielle, aber doch eher unbekannte Platten aus Rock, Folk, Techno, Dream Pop und Soundtrack, auf denen freigedacht und gemacht wird.

Experimentelle Musik kennt keine Grenzen. Künstler*innen mit Forschergeist gibt es in allen Genres. Diese „andere Musik“, mit der Hörgewohnheiten infrage gestellt und Spielarten aufgelöst werden, ist das Spezialgebiet von Albert Koch. Er empfiehlt 10 essenzielle, aber doch eher unbekannte Platten aus Rock, Folk, Techno, Dream Pop und Soundtrack, auf denen freigedacht und gemacht wird.

La Monte Young / Marian Zazeela – DREAM HOUSE 78’17“ (1974)

Minimal- und Drone-Musik haben sich über die Jahre in allen möglichen Genres ausgebreitet. Erfunden wurde beides von La Monte Young in den 60er-Jahren. Seinem Projekt Theatre Of Eternal Music gehörten neben ihm seine Ehefrau Marian Zazeela an, die anderen Mitglieder wechselten ständig – u.a. John Cale –, auf diesem Album sind es der Trompeter Jon Hassell und der Posaunist Garrett List. Zusammen erzeugen die Stimmen und Instrumente einen „ewigen“ fernöstlich inspirierten Drone. Auf der B-Seite: eine elektronische Minimal-Komposition mit drei unterschiedlichen Sinus tönen, die beim Hörer Phantommelodien erzeugen. DREAM HOUSE 78’17“ demonstriert außerdem, dass 40 Minuten Musik mühelos auf eine LP-Seite passen.

https://www.youtube.com/watch?v=sxmgvPQnU9k

John Cale spielt „The Velvet Underground & Nico“ mit The Libertines

Ennio Morricone – DRAMMI GOTICI (1978)

Mit Sicherheit hat Ennio Morricone mehr Filmsoundtracks mit experimenteller Musik komponiert als solche mit der leicht verdaulichen, die ihn so berühmt gemacht hat. Die Musik zum italienischen TV-Vierteiler „Drammi Gotici“ aus dem Jahr 1978 fällt eindeutig in die erste Kategorie. Die Stimmung ist düster, die Musik dissonant, inspiriert von Musique concrète und der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts. Wie zufällig webt Morricone kurze Zitate von Mittelaltermusik und italienischer Volksmusik ein. Am besten aber wird es immer dann, wenn das Violaspiel von Dino Asciolla auf den wortfreien Gesang von Edda Dell’Orso trifft.

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Ennio Morricone ist tot

This Heat – HEALTH AND EFFICIENCY (1980)

Eine EP, die zwei gegensätzliche Seiten der Experimental-Rock-Band aus Camberwell zur Schau stellt. Der Titeltrack ist der vielleicht konventionellste Song von This Heat, eine Art Sonic Youth vor Sonic Youth, bevor das Stück in der Mitte übergeht in einen repetitiven Rhythmus, ein Solo auf der verstimmten Gitarre, Tape Collagen menschlicher Stimmen und nach einem Fadeout in Faustischer (die Band!) Kakophonie endet. „Graphic/Varispeed“ variiert in 15 Minuten Tape-Loops von Drone-artigen Tönen auf minimale Weise. Die Hörer durften/dürfen frei wählen, welche Geschwindigkeit sie an ihren Plattenspielern einstellen.

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John Fahey – WOMBLIFE (1997)

Wie gefährlich kann eine akustische Gitarre klingen? Der große Folk-Fingerpicking-Stilist und Begründer der „American Primitive Guitar“ zeigt es auf einem seiner letzten Alben. John Fahey hatte in den Jahrzehnten vorher immer wieder seine Hörer mit Experimenten und Soundcollagen verstört, treibt das aber auf WOMBLIFE, das zu Hause bei Produzent Jim O’Rourke aufgenommen wurde, auf die Spitze. Im künstlichen Hallraum dekonstruiert Fahey die (Slide-)Gitarre, quält die Saiten und legt Donner, Drone, Feedback und Ambient-Soundscapes darüber. Und kommt damit nah an andere große Gitarrenzerstörer wie Derek Bailey und Loren Connors.

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Grouper – DRAGGING A DEAD DEER UP A HILL (2008)

Es ist kein Dream Pop, es ist kein Folk, kein Ambient, keine Psychedelia – es ist alles auf einmal, und möglicherweise alles in einem einzigen Song. Das fünfte Album von Liz Harris unter dem Namen Grouper trägt den schönen Titel DRAGGING A DEAD DEER UP A HILL. Aus dem Rauschen des Meeres schält sich ein Song, der klingt, als würde er aus schlechten Lautsprechern auf einem großen Platz gespielt und man hörte ihn durchs geschlossene Fenster. Einfache Folksongs werden von einem dicken Schleier aus Ambience umgeben und irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen Instrumenten und Geräuschen. Musik aus einer Zwischenwelt.

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Heather Leigh – I ABUSED ANIMAL (2015)

Die Pedal-Steel-Gitarre wird mit genau einem Genre assoziiert: Country. Heather Leigh hat sie aus ihrem gewohnten Umfeld geholt und in neue Kontexte gesetzt, sie spielt einzelne Töne, wiederholt sie ohne große Variationen, bis sie sich im Hallraum verlieren. Neben der hohen Stimme, die alte Folk-Traditionen in Erinnerung ruft, ist die Stille das bestimmende Instrument auf diesem Album. Die Amerikanerin zeigt aber auch, wie man die Pedal Steel verzerren kann, bis eine Art von Noisecore entsteht, oder lässt sie wie eine Hawaii-Gitarre klingen.

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Dean Blunt – ROACHES 2012–2019 (2020)

Egal, wie man die Musik von Dean Blunt auch nennen mag – zum Beispiel Art-Pop-Folk –, es sind die kleinen Dinge, die den Unterscheid ausmachen: das Metal-Gitarrensolo, die wunderbar singende Violine, Samples von Sitar und Streichern, Dope Beats und Spoken Words, die eine Art HipHop ergeben, der hypnagogische Hall und natürlich Blunts unnachahmliche Crooner-Stimme. Die Skizzenhaftigkeit, die Zerrissenheit und die stilistische Diversität der 26 Tracks, die der Produzent aus London im vergangenen Jahrzehnt auf diversen digitalen Plattformen hochgeladen hat, machen aus dieser Compilation ein „normales“ Dean-Blunt-Album.

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Vladislav Delay – MULTILA (2000)

Es war die Zeit, in der der Techno sich von der rein funktionalen Aufgabenstellung emanzipiert und sich als Kunstform und Experimentierfeld begriffen hatte, die Zeit der Berliner Labels Basic Channel/Chain Reaction und der Erfindung des Dub-Techno. Das dritte Album des finnischen Produzenten Vladislav Delay aka Sasu Ripatti kompiliert die beiden EPs HUONE und RANTA, die er 1999 für Chain Reaction aufgenommen hat. Das ist verhallter Ambient-Techno, bei dem ausgefranste Effekte, „unsaubere“ Loops und gegenläufige Minimal-Rhythmen eine dystopische Soundlandschaft in den allerschönsten Grautönen erschaffen.

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Nicolas Jaar – POMEGRANATES (2015)

Schon lange bevor sich Nicolas Jaar offenbar von den Denkmustern der herkömmlichen (elektronischen) Musik befreit hat, war seine Neigung zur Avantgarde zu erkennen. Zum Beispiel auf dem Album POMEGRANATES, das zunächst nur als YouTube-Stream veröffentlicht wurde. Mit diesem imaginären Soundtrack zu dem sowjetischen Film „Die Farbe des Granatapfels“ (1969) gelang Jaar über 20 Tracks und 67 Minuten ein kleines elektro-akustisches Meisterwerk zwischen Ambient und Neuer Musik, Melodie und Atonalität. Fragmentarische Sounds aus Orchestersamples und Field Recordings fügen sich zu musikalischen Stimmungsbildern. Dazu gibt es wunderbare Melodien wie im Fiebertraum halluziniert.

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Nicolas Jaar: „Ich spiele den ganzen Tag lang mit kleinen Tieren“

Speaker Music – OF DESIRE, LONGING (2019)

Wenn Planet Mu, eines der wichtigsten englischen IDM/ (Post-)Dubstep-Labels, das Album eines Musikers, Aktivisten, Journalisten und Bildenden Künstlers veröffentlicht, das an AMM, die britischen Pioniere der Improvisationsmusik, erinnert, dann ist zu erahnen, welchen Stellenwert die experimentelle Musik zurzeit einnimmt. DeForrest Brown Jr. entwickelt unter dem Alias Speaker Music aus seinen Theorien über Afrofuturismus und soziale Klassen im heutigen Amerika zwei LP-Seiten lange Tracks, die sich zäh wie ein Lavastrom fortbewegen: Abstraktionen, Geräusche und stolpernde Beats, die im Hintergrund von einem Saxofon begleitet werden, im einen, perkussives Brodeln mit beinahe jazzigem Vibe im anderen.

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Dieser Artikel erschien erstmals im ME 06/2020.